Mit optimistischem Blick startete der DGIM-Vorsitzende Professor Dr. Markus M. Lerch in die Diskussion: Der Mensch sei das vermutlich klimatoleranteste Säugetier der Welt, das mit Jahresmitteltemperaturen von minus fünf Grad, wie sie in manchen Gebieten Kanadas oder Russlands herrschen, ebenso zurechtkomme wie mit tropischen Mittelwerten von 25 Grad – etwa in Bangladesch. „Dennoch gehen die steigenden Temperaturen, wie wir sie in den vergangenen Jahren auch hier in Deutschland erlebt haben, mit verschiedenen gesundheitlichen Problemen einher“, so der Ärztliche Direktor des LMU-Klinikums München. So hätten die seit der Jahrtausendwende vermehrt aufgetretenen Hitzewellen, bei denen die Temperatur im Wochendurchschnitt bei 23 Grad oder mehr gelegen habe, jeweils mehrere Tausend Todesopfer gefordert. Viele dieser Todesfälle werden nicht direkt mit den hohen Temperaturen in Verbindung gebracht – denn die meisten Betroffenen sterben nicht etwa am Hitzschlag oder an exotischen Infektionskrankheiten. Vielmehr treibt die mit den hohen Temperaturen einhergehende Kreislaufbelastung das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall in die Höhe, aufgrund von Flüssigkeitsmangel nehmen auch Nierenprobleme zu.
Ärztliche Begleitung bei Hitze
Gerade ältere und vorerkrankte Patienten benötigten in Phasen mit ungewohnt hohen Temperaturen oft eine intensive ärztliche Begleitung, berichtete die in Köln niedergelassene Internistin Dr.med. Susanne Balzer aus ihrer Praxis – eine Herausforderung für das Zeitmanagement, gerade in Zeiten der großen Nachfrage nach Coronaimpfungen. Für multimorbide Patienten müssten vermehrt Hausbesuche eingeplant, Menschen mit Herz-Kreislaufproblemen eher in den kühleren Morgenstunden einbestellt werden. Auch der Aufklärungs- und Monitoringbedarf sei hoch, so Balzer, die Mitglied in der AG Hausärztliche Internisten der DGIM ist. „Viele Medikamente müssen bei Hitze anders dosiert oder die Patienten besonders instruiert werden“, betonte sie. Manche Wirkstoffe vermindern das Durstgefühl, andere stören die Temperaturregulation, bei Verschlechterung einer Niereninsuffizienz müssen gewisse Medikamente entsprechend angepasst oder vorübergehend abgesetzt werden.
Wärmere Sommer und mildere Winter führen auch dazu, dass die Allergiesaison sich um Wochen verlängert, die Pollenbelastung zunimmt und neue, hochallergene Arten wie etwa die Beifuß-Ambrosie sich ausbreiten. „Hinzu kommt, dass sich bei hoher Feinstaubbelastung Allergien verschlechtern können“, sagte Balzer.
Geographische Verschiebung von Infektionskrankheiten
Wie eng Umweltverschmutzung, Klimawandel, Lebensraumzerstörung und menschliche Gesundheit miteinander verflochten sind, zeigt sich auch am Beispiel der Infektionskrankheiten, dem Forschungsgebiet von Dr. Anahita Fathi, Internistin in der Sektion Infektiologie am UKE Hamburg und Sprecherin der Jungen DGIM. „Je weiter der Mensch in bislang unberührte Lebensräume vordringt, desto größer ist das Risiko für Zoonosen, also Infektionserkrankungen, die vom Tier auf den Menschen überspringen“, so Fathi. Auch sei in den vergangenen Jahren eine deutliche geographische Verschiebung bereits bekannter Infektionskrankheiten zu beobachten. Hierzu zählen unter anderem die von Mücken übertragenen und ursprünglich tropischen Krankheiten Dengue oder West-Nil-Fieber, aber auch die von Zecken übertragene FSME. Nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie sieht Fathi jedoch ein wachsendes Problembewusstsein für diese Entwicklung. „Nun müssen wir Ärztinnen und Ärzte auch Teil der Lösung werden“, forderte sie – und begrüßt den Beschluss des diesjährigen Deutschen Ärztetages, die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit in die ärztliche Weiterbildungsordnung aufzunehmen.
Erreichte Klimaziele könnten 160.000 Todesfälle verhindern
Einen „Drive“ durch die Pandemie, eine neue Wachheit für öffentliche Gesundheitsthemen sieht auch Isabel Auer, Public Health Expertin und Referentin bei Hirschhausens Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen. „Über ‚Public Health‘-Ansätze ließe sich viel erreichen“, sagte sie. Wenn die Klimaziele in Deutschland erreicht würden, ließen sich allein dadurch pro Jahr rund 160.000 Todesfälle verhindern – der größte Effekt käme dabei durch die Ernährung, aber auch durch mehr Bewegung infolge einer klimafreundlicheren Mobilität. „Das sind Win-Win-Effekte“, betonte auch von Hirschhausen. Eine pflanzenbasierte Ernährung und der Verzicht aufs Auto schonten Ressourcen, führten zugleich aber auch zu einem „Verzicht“ auf Herzinfarkt und Schlaganfall. Ärzte als Vertrauenspersonen müssten diese Themen mit ihren Patienten besprechen – aber auch den eigenen CO2-Abdruck im Auge behalten. Einwegmaterialien, Energieverbrauch, Gebäudedämmung, Kantinenessen – vom Weg zur Arbeit bis hin zur Wahl des Narkosegases gäbe es viele Möglichkeiten, Kliniken und Praxen klimafreundlicher zu gestalten. Dass die Diskussionsrunde damit einen Nerv getroffen hat, zeigte ein Zuschauervotum gegen Ende der Sendung: Immerhin drei Viertel der zugeschalteten Ärztinnen und Ärzte gaben an, sich für mehr Klimaschutz im beruflichen Umfeld zu engagieren – oder dies in Zukunft tun zu wollen.
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