Überflüssige, falsch dosierte oder für den jeweiligen Patientenungeeignete Arzneimittel – Verordnungsfehler wie diese sind in Deutschland nicht selten und für Patientinnen und Patienten mit erheblichen Risiken verbunden. Wie die Arzneimitteltherapie trotz einer stetig zunehmenden Zahl von Wirkstoffen sicherer gemacht werden kann, diskutierten Experten beim DGIMTalk am 21. Februar.
Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) genießt im Alltag von Ärztinnen und Ärzten nicht die notwendige Priorität, stellte Professor Dr. med. Daniel Grandt zu Beginn des DGIMTalk fest. „Rund jeder fünfte neu in die Klinik aufgenommene Patient hat im Vorfeld Medikamente in zu hoher Dosierung verschrieben bekommen, knapp jeder vierte problematische Arzneimittelkombinationen und 28 % erhielten Wirkstoffe, für die eine absolute Kontraindikation bestand“, sagte der Chefarzt der Klinik für Innere Medizin I am Klinikum Saarbrücken und Vorsitzende der DGIM-Kommission Arzneimitteltherapie-Management (AMTM) & Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS). Ursache solcher Fehlverschreibungen sei unter anderem die Komplexität der Arzneimitteltherapie selbst. So verzeichnet der BARMER-Arzneimittelreport 2018 allein 1860 verschiedene Wirkstoffe, die den Versicherten verschrieben wurden, sowie 454.012 Zweierkombinationen – jede mit dem individuell zu beurteilenden Risiko für Wechselwirkungen. „Diese Vielzahl an Kombinationen ist ohne eine digitale Datenbank nicht mehr zu überblicken“, so Grandt. Oft stünde der AMTS aufgrund einer „patient journey“ durch viele Praxen und Kliniken das Fehlen von Informationen zu Vorerkrankungen, Kontraindikationen oder früherer Behandlungen im Wege – ein Problem, zu dessen Behebung die Digitalisierung beitragen könne.
Wodurch die Digitalisierung in der täglichen Praxis behindert wird, berichtete Dr. med. Philipp Stachwitz, ehemaliger Director Medical Care beim health innovation hub (hih) des Bundesministeriums für Gesundheit, der die DGIM in Fragen der Digitalen Transformation berät. Er stellte den 2016 eingeführten Bundeseinheitliche Medikationsplan BMP als Schritt zu mehr AMTS vor. Diesen erhalten Patienten zwar noch auf Papier, über einen QR-Code kann ihn jedoch der weiterbehandelnde Arzt digital übernehmen. „Der BMP und seine digitale Weiterentwicklung, der eMP, sind noch nicht in der Versorgung angekommen“, konstatierte Stachwitz – zu aufwändig sei das Einpflegen aktueller Daten, zu schwierig die technische Handhabung. Abhilfe schaffen könne hier der eMP-Online, der in den kommenden Jahren eingeführt werden soll, sowie die Nutzung von in der Versorgung anfallenden Verordnungs- und Dispersierdaten.
Vorerst mangele es in vielen Krankenhäusern aber selbst an der digitalen Grundausstattung. „In mehr als der Hälfte der Krankenhäuser erfolgen Verordnungen ausschließlich auf Papier, bei einem Drittel ist nicht auf allen Stationen WLAN verfügbar“, berichtete Dr. Karl Blum, Vorstand des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) in Düsseldorf, über eine eigene Studie zum Stand der Digitalisierung in Krankenhäusern. Eine elektronisch unterstützte AMTS- Prüfung fehle in drei Vierteln der befragten Krankenhäuser. Optimierungsansätze bestehen aus Sicht der Krankenhäuser bei der digitalen Ausstattung wie auch bei der Refinanzierung der Aufwendungen etwa für Personal im Bereich der Apotheke oder IT.
Bei 80 % der Notfallpatienten, die im Krankenhaus aufgenommen werden, liegen keine oder nur unzureichende behandlungsrelevante Informationen vor, so ein Ergebnis aus der DKI-Studie. Die Krankenhaus-Aufnahme ist daher auch ein Fokus des sogenannten TOP- Projekts (Transsektorale Optimierung der Patientensicherheit), das Schlussredner Benjamin Westerhoff vorstellte, Abteilungsleiter Produktstrategie und -entwicklung der BARMER Ersatzkasse. Die gesetzlichen Krankenkassen verfügen über einen besonders reichen Schatz an Patientendaten. „Diagnosen, Behandlungsgrund, verordnete und abgegebene Arzneimittel, durchgeführte Diagnostik und Therapie – unsere Daten sind umfassend und stehen in verwendbarer Form zur Verfügung“, sagte Westerhoff. Im Rahmen des TOP-Projekts wird daher unter Federführung der BARMER erprobt, wie Krankenkassen die AMTS im Krankenhaus unterstützen können. Mehr als 95 % der befragten Patientinnen und Patienten stimmten dabei der Nutzung ihrer Krankenkassendaten zur Behandlungsunterstützung zu und sahen dies teils sogar als selbstverständlich an. Danach befragt, ob die Sicherheit der Daten bei der elektronischen Verarbeitung durch die Krankenkassen gewährleistet sei, antwortete Westerhoff: „Die Daten werden auf sicherem Wege im Rahmen der Telematik-Infrastruktur (TI) übermittelt.“ Das Problem sei allerdings eher umgekehrt, so der Experte weiter, denn drei Viertel der Versicherten würden gerne die elektronische Patientenakte nutzen. Der Zugang sei aufgrund der Richtlinien des Datenschutzes jedoch so kompliziert, dass nur 0,5 bis 1 % dies wirklich täten. „Wir müssen aufpassen, dass der Datenschutz nicht zum Selbstzweck und Patientennutzen stiftende digitale Versorgungsformen verhindert oder bis zur Praxisuntauglichkeit erschwert“, zitiert Moderator Grandt zum Abschluss das aktuelle Gutachten des Sachverständigenrats.
Ankündigung
DGIMTalk Health innovation day (hid): Digitalisierung
04. April 2022, 18–19.30 Uhr
Auch der zweite DGIMTalk im Jahr 2022 befasst sich mit den Möglichkeiten der Digitalisierung in der Inneren Medizin. Professor Dr. med. Claus Vogelmeier, Vorsitzender der Kommission Digitale Transformation in der Inneren Medizin, wird die Veranstaltung moderieren und mit Expertinnen und Experten der DGIM verschiedene Aspekte der Digitalisierung diskutieren. Themen sind unter anderem Digitale Gesundheitsanwendungen in der Inneren Medizin, Telemedizin sowie Mobile Health. Einschalten lohnt sich!