Bis auf die Zeit der Coronapandemie waren Videoschulungen im Rahmen der strukturierten Behandlungsprogramme (Disease-Management-Programme, DMP) von Menschen mit Diabetes bisher nicht möglich. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) plant aktuell in einer Anpassung der Richtlinien zu den DMP-Anforderungen, auch die Videoschulung zu ermöglichen. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG), ihre Arbeitsgemeinschaften „Diabetes & Technologie“ und „Pädiatrische Diabetologie“ sowie die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendendokrinologie (DGKED), der Bundesverband der niedergelassenen Diabetologen e.V. (BVND) und der Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e.V. (VDBD) begrüßen dies, fordern aber in ihrer gemeinsamen Stellungnahme an den G-BA wichtige Anpassungen.
In vielen internationalen Studien konnte die Effektivität von Video-Schulungen bei chronisch Erkrankten nachgewiesen werden. „Die Bereitschaft ist insbesondere bei jungen Menschen, Familien und Kindern hoch, Online-Angebote zu nutzen, und wird inzwischen von vielen als Standard gefordert“, so Privatdozent Dr. med. Thomas Kapellen von der DDG AG „Pädiatrische Diabetologie“.
DDG, DGKED und VDBD begrüßen daher, dass der G-BA Videoschulungen in seine Richtlinie zu den DMP-Anforderungen mitaufnehmen möchte und als Alternative zu Präsenzschulungen akzeptiert. „Die Richtlinie ermöglicht eine zeitgemäße moderne Schulung der im Rahmen der DMP-Anforderungen zugelassenen Schulungs- und Behandlungsprogramme und bietet Menschen mit Diabetes eine Alternative zur Präsenzschulung. Es muss jedoch sichergestellt sein, dass die Qualität der Schulung erhalten bleibt “, erklärt Dr. med. Tobias Wiesner, Vorstandsmitglied der DDG und des BVND.
Im Beschlussentwurf über eine Änderung der DMP-Anforderungen-Richtlinie (DMP A-RL) ist bislang uneindeutig formuliert, was unter einer digitalen Schulung verstanden wird und wer die Patientenschulungen per Video durchführen darf. „Videoschulungen sind lediglich eine andere Form der Schulung – an den Grundsätzen einer strukturierten Patientenschulung sollte sich nichts ändern“, gibt Wiesner zu Bedenken. Die Verbände plädieren daher dafür, in der Richtlinie den Begriff der Videoschulung zu präzisieren und schlagen vor: Die Schulung von Versicherten sollte wahlweise in Präsenz, online oder in einer Kombination aus Präsenz- und Onlineeinheiten mit evaluierten Programmen erfolgen. Sie wird von den an den DMP teilnehmenden Leistungserbringern mit krankheitsspezifischer Expertise umgesetzt, um die Integration von Therapie und Schulung zu gewährleisten.
So muss in der Richtlinie klar formuliert sein, dass Videoschulungen – äquivalent zu Präsenzschulungen – in der qualifizierten Arztpraxis durchgeführt werden, welche die betroffenen Patientinnen und Patienten auch sonst medizinisch betreut. „Strukturierte Schulungs- und Behandlungsprogramme sind ein unerlässlicher Bestandteil der Diabetestherapie, ein integraler Bestandteil der Langzeitbetreuung und sollten daher unbedingt von Leistungserbringern mit krankheitsspezifischer Expertise umgesetzt werden“ führt Professor Dr. med. Dirk Müller-Wieland von der DDG aus.
Damit soll auch sichergestellt werden, dass es eine Abgrenzung zwischen strukturierten Schulungs- und Behandlungsprogrammen und anderen digitalen Angeboten wie beispielsweise reinen Onlinevorträgen, Videos (z.B. Tutorials), Videosprechstunden zur Beratung oder ´self-guided´ Onlinetools (z.B. DiGAs) erfolgt. „Diese stellen keinen Ersatz für eine strukturierte Patientenschulung dar, sondern sind nur ein Add-on“, ergänzt Dr. Nicola Haller vom VDBD.
Die G-BA-Richtlinie sollte zudem im Sinne der in der Diabetesschulung inzwischen üblichen Methode der Partizipativen Entscheidungsfindung (PEF) im Wortlaut angepasst werden. „Die Formulierungen sind nicht mehr zeitgemäß. Betroffene und ihre aktive Rolle im Behandlungsprozess müssen gewürdigt und entsprechend eingebunden werden“, sagt DDG Experte Professor Dr. Bernhard Kulzer. So regen die Autoren der Stellungnahme an, den „§ 4 zu Anforderungen an die Schulungen der Leistungserbringer und der Versicherten“ im Duktus der PEF zu formulieren.
Da qualifizierte Video-Schulungsprogramme lediglich eine andere Darbietungsform der bereits evaluierten Präsenz-Schulungen sind, ist eine Neubewertung, wie der G-BA in seiner Richtlinie formuliert, nicht notwendig. „Bereits bestehende Schulungsprogramme sollten von der zusätzlichen Evaluationspflicht freigestellt werden, da dies keinen wissenschaftlichen Mehrwert erbringt sowie eine unangemessene Härte für die Anbieter und eine weitere Verzögerung des Patientenangebots bedeuten würde“.