Topiramat und Schwangerschaft: Diese Kontraindikation sollte Migränepatientinnen bekannt sein

Auf Basis aktueller Studiendaten wurde der Stellenwert von Topiramat in der Migräneprophylaxe neu bewertet. Es besteht ein erhöhtes Risiko für Fehlbildungen und Entwicklungsstörungen beim Kind, wenn während der Schwangerschaft Topiramat eingenommen wird.

Die Prävalenz der Migräne erreicht bei Frauen zwischen dem 16. und 50. Lebensjahr das Maximum. Damit sind vor allem Frauen im gebärfähigen Alter betroffen. Nicht wenige dieser Patientinnen sind schwer betroffen und benötigen eine medikamentöse Migräneprophylaxe.

Studiendaten geben Anlass für verschärfte Abgabebedingungen

Topiramat zeigt eine gute migräneprophylaktische Wirksamkeit und ist seit vielen Jahren zur Migräneprophylaxe zugelassen. Aktuelle Studienergebnisse weisen jedoch jetzt auf ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von schweren angeborenen Fehlbildungen und fetalen Wachstumsstörungen (vermindertes Geburtsgewicht) hin. Denn Topiramat ist plazentagängig. Darüber hinaus gibt es zunehmend Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen, Autismus-Spektrum-Störungen, geistige Behinderungen und Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen (ADHS), wenn die Mutter während der Schwangerschaft Topiramat eingenommen hat. Aus diesem Grund informieren die Zulassungsinhaber von topiramathaltigen Arzneimitteln in Abstimmung mit der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) über die Implementierung eines Schwangerschaftsverhütungsprogramms für Topiramat.

Die dargestellten Studiendaten stammen überwiegend aus der Anwendung von Topiramat zur Behandlung von Epilepsie. In der Migränetherapie werden häufig niedrigere Dosen eingesetzt als in der Epilepsiebehandlung. Ein Schwellenwert, unterhalb dessen solche Risiken bei der Anwendung von Topiramat nicht auftreten, lässt sich aus den Daten bisher jedoch nicht ableiten. Eine eindeutige Dosis-Wirkungs-Beziehung ist ebenfalls nicht bekannt. Daher gelten für Patientinnen mit Migräne die gleichen Vorsichtsmaßnahmen wie bei der Anwendung von Topiramat zur Behandlung der Epilepsie. Hieraus ergeben sich folgende neue Kontraindikationen:

Topiramat ist kontraindiziert zur Migräneprophylaxe in der Schwangerschaft und bei Frauen im gebärfähigen Alter, die nicht hochwirksam verhüten. Die Behandlung von Mädchen und Frauen im gebärfähigen Alter sollte von einem in der Behandlung von Epilepsie oder Migräne erfahrenen Arzt oder einer erfahrenen Ärztin eingeleitet und überwacht werden.

Was bei der Aufklärung von Patientinnen berücksichtigt werden muss

Alle Frauen im gebärfähigen Alter vor und während der Behandlung mit Topiramat müssen vom behandelnden Arzt oder der Ärztin über die beschriebenen Risiken aufgeklärt werden. Hierzu wird dringend empfohlen, das auf der Internetseite des BfArM verfügbare Formular zur Bestätigung der Risikoaufklärung zu verwenden. Darüber hinaus wurde eine Patienteninformation erstellt, die allen Frauen im gebärfähigen Alter, die mit Topiramat behandelt werden, zur Verfügung gestellt werden soll. Zusätzlich wird ein Warnhinweis auf alle Umverpackungen von topiramathaltigen Arzneimitteln aufgedruckt. Nebenwirkungen sollen wie bisher dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gemeldet werden.

So schützt ein Schwangerschaftsverhütungs-Programm

Vor Beginn einer Behandlung mit Topiramat sollte bei Frauen im gebärfähigen Alter ein Schwangerschaftstest durchgeführt werden. Alle Patientinnen müssen darüber aufgeklärt werden, dass Topiramat (dosisabhängig) die Wirkung oraler Kontrazeptiva („Pille“) abschwächen kann. Darüber hinaus sind oben genannte embryotoxische Effekte von Topiramat bekannt. Aus diesem Grund ist eine weitere „Barrieremethode“ (z. B. Kondom) zusätzlich zur hormonellen Kontrazeption indiziert. Dies gilt bis vier Wochen nach Beendigung einer Topiramatbehandlung. Bei allen Frauen, die derzeit bereits mit Topiramat behandelt werden, ist die Behandlungsindikation zu überprüfen und die notwendigen Maßnahmen sind einzuleiten. Die Notwendigkeit einer Weiterbehandlung mit Topiramat ist einmal jährlich zu kontrollieren und von Arzt/Ärztin und Patientin auf dem oben genannten Formular zu dokumentieren. Sollte es trotz der oben genannten Vorsichtsmaßnahmen zu einer Schwangerschaft kommen, muss die Behandlung mit Topiramat sofort beendet werden.

Topiramat stellt eine der notwendigen Vorbehandlungen für die Verordnung von monoklonalen Antikörpern gegen den CGRP/CGRP-Rezeptor dar. Muss es im Fall der beschriebenen Kontraindikation oder aufgrund der genannten Sicherheitsbedenken abgesetzt werden oder kann es deshalb nicht verordnet werden, sollte dies für Rückfragen der Kostenträger zu Vorbehandlungen entsprechend dokumentiert werden.

Fazit

Zur Migräneprophylaxe darf Topiramat in der Schwangerschaft nicht eingenommen werden. Frauen, die schwanger werden könnten, dürfen Topiramat zur Migräneprophylaxe nur einnehmen, wenn sie eine sichere, d. h. doppelte Methode zur Empfängnisverhütung anwenden.

Mehr praxisrelevantes Wissen finden Fachkreise online im Migräne- und Kopfschmerz-Guide unter www.mk-guide.org, einem Projekt der DMKG-Initiative „Attacke! Gemeinsam gegen Kopfschmerzen“.

Literatur

https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RV_STP/s-z/topiramatschwangerschaft.html

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