Periodenschmerz: Was ist noch „normal“?
Eine der häufigsten Erkrankungen in der gynäkologischen Praxis wird laut Experten in ihrer Bedeutung unterschätzt und laut Statistik viel zu spät erkannt. Um welche handelt es sich?
Fallbeispiel1: unerträgliche Regelschmerzen
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Als Frau S., 28 Jahre, die Praxis ihrer Frauenärztin betritt, hat sie ein schlechtes Gewissen. Seit sie die Pille vor zwei Jahren abgesetzt hat, ist sie nicht mehr hier gewesen. Jetzt kommt die junge Frau mit einer Überweisung vom Hausarzt: Verdacht auf Ovarialzyste.
- Im Anamnesegespräch berichtet Frau S. von heftigen Regelschmerzen, die bis ins Kreuz ausstrahlen und sie seit längerem plagen. Vor wenigen Tagen fühlte sich morgens nicht nur ihr ganzer Bauch wund an. Erstmals verspürte die junge Frau auch einen stechenden Schmerz im rechten Unterbauch – jeder Schritt und jede Bewegung taten ihr weh. Deshalb suchte die verheiratete Büroangestellte ihren Hausarzt auf. Im Blut war die Leukozytenzahl normal und das CRP nur minimal erhöht, also keine Entzündung erkennbar. Das Abtasten des rechten Unterbauchs war äußerst schmerzhaft. In der anschließenden Ultraschalluntersuchung stellte der Hausarzt eine Zyste am Ovar fest und überwies die Patientin an die Frauenärztin.
- Auf Nachfrage stellt sich heraus, dass die Periodenschmerzen schon ein bis zwei Tage vor der Monatsblutung beginnen und mit ihrem Einsetzen nachlassen. Zudem sind die Schmerzen auch beim Geschlechtsverkehr und beim Stuhlgang vorhanden. Trotz Kinderwunsch ist es bisher nicht zur Schwangerschaft gekommen.
Damit steht als Verdachtsdiagnose eine Endometriose im Raum.
- Bei der gynäkologischen Untersuchung ist eine mindestens 4–5 cm große, prall-elastische und druckschmerzhafte Umfangsvermehrung in der rechten Adnexregion tastbar. Zudem besteht ausgeprägter Druckschmerz im Douglas-Raum und im Septum rectovaginale. Weitere mögliche klinische Hinweise wie etwa eine Retroflexio uteri fixata oder bläuliche Knoten an Muttermund, Scheide oder Vulva sind nicht erkennbar.
- In der transvaginalen Sonografie zeigt sich im Bereich des rechten Eierstocks eine etwa 5 cm große, glatt begrenzte Raumforderung mit homogen echoarmem Inhalt.
- Die Patientin wird zur Laparoskopie in die Klinik eingewiesen. Es zeigt sich ein Endometriose-typisches Bild: bräunlich-schwarze, stecknadelkopf- bis erbsengroße Herde, insbesondere im Douglas-Raum, aber auch auf dem linken Eierstock; gelblich-bräunliche peritoneale Flecken mit kleinen Bläschen, auch hellrote, flammenartige Areale; Verwachsungen, v. a. im Bereich der Eileiter. Die Zyste lässt sich laparoskopisch gut aus dem Douglas-Raum hervorluxieren und aus dem Ovar schälen. Sie ist mit dunkelbraun-roter Blutmasse gefüllt und entspricht damit dem klassischen Befund einer Schokoladenzyste.
Unterbauchschmerz: das unspezifische Leitsymptom der Endometriose
Unterbauchschmerz, häufig kombiniert mit Sterilität, ist das wenig spezifische Leitsymptom der Endometriose, die über das Auftreten endometriumartiger Zellverbände außerhalb des Cavum uteri definiert wird.2 Zyklusabhängige Schmerzen wie Dysmenorrhoe, Dyspareunie, Dyschezie und Dysurie zählen zu den typischen Beschwerden. Das heterogene Krankheitsbild kann sich allerdings, je nach Lokalisation, auch ganz anders manifestieren, z. B. mit Übelkeit, Darmsymptomen, Kopfschmerzen und Schwindel, Magenbeschwerden, Thoraxschmerzen, Atemproblemen, bis hin zu häufigen Infektionen und subfebrilen Temperaturen.3,4
Nur etwa bei der Hälfte der betroffenen Frauen tritt die Endometriose spürbar in Erscheinung. Dabei korreliert die Symptomatik nicht mit dem Schweregrad der Erkrankung. Im Einzelfall ist deshalb nicht immer klar, ob tatsächlich eine Erkrankung oder eher ein Befund vorliegt.2,3,4 Der maskierende Effekt der variationsreichen Symptomatik erschwert die Differentialdiagnose der Endometriose in den Fachbereichen Gynäkologie, Gastroenterologie, Urologie, Psychosomatik und Allgemeinmedizin, wodurch es häufig zu Fehldiagnosen kommt (z. B. Adnexitis, psychogene Beschwerden oder prämenstruelles Syndrom).5
Zu wenig ernst genommen?
Ein Grund für die unbefriedigende Diagnoselatenz könnte aber auch sein, dass die Endometriose trotz ihrer Häufigkeit unter Frauen zu wenig bekannt ist und in der Ärzteschaft nicht im Fokus des Interesses steht. „Endometriose ist immer noch nicht in der Praxis kompetent vertreten. Von vielen Frauenärztinnen und Frauenärzten wird diese Erkrankung noch als relativ selten, bedeutungslos und uninteressant eingestuft“, schrieb etwa Prof. Karl-Werner Schweppe, Vorstand der Stiftung Endometriose-Forschung, im vergangenen Jahr in einem Beitrag zum Qualifizierungsprogramm mit Zertifikat für Niedergelassene, das die Stiftung anbietet.6
Mit einer geschätzten Prävalenz von 5–15 % ist die Endometriose bei Frauen im reproduktiven Alter keineswegs selten. Die Inzidenz wird mit bis zu 40.000 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland beziffert. Die Krankenhausstatistik weist 20.000 Behandlungsfälle aus, was eine stationäre Behandlungsrate von 50 % bedeutet.6,7 Die Endometriose ist also nicht nur eine der häufigsten gynäkologischen Erkrankungen. Sie ist auch gesundheitsökonomisch ein ernstzunehmendes Problem, das hohe Kosten und oft über Jahre hinweg krankheitsbedingte Ausfälle der Betroffenen verursacht.2
Stichwort „ernst nehmen“: Angesichts der fließenden Übergänge zwischen Regel- und Endometrioseschmerzen besteht die Gefahr, die Beschwerden als „normal“ einzustufen und die Patientinnen mit ihrer Erkrankung nicht ernstzunehmen, wie Prof. Stefan Renner (Böblingen), Präsident der Europäischen Endometriose-Liga, kürzlich auf apotheken-umschau.de mahnte. Dabei müssen viele Frauen schon im privaten Bereich mit mangelndem Verständnis fertig werden. Auch die Patientin aus dem obigen Fallbeispiel berichtete im Arztgespräch davon, dass die anfängliche Fürsorge ihres Partner in Unverständnis für ihren „Weiberkram“ umgeschlagen sei.
Wichtiges für die Praxis4,8–13:
- Endometriose ist häufig, Leitsymptom ist eine sekundäre Dysmenorrhoe. Typisch sind auch zyklusabhängige bzw. chronische Dysurie, Dyschezie und Dyspareunie.
- Endometriose ist eine häufige Ursache für unerfüllten Kinderwunsch.
- „Dran denken“ ist häufig ausreichend, um sich der Diagnose einer Endometriose anzunähern. Bei diesem „gynäkologischen Chamäleon“ gilt, dass „es nichts gibt, was es nicht gibt“!
- Auch Adoleszente können bereits von schwergradiger Endometriose betroffen sein.
- Ein Paradigmenwandel vom bisherigen klinischen Fokus auf die Endometriose-Läsionen und deren Beseitigung hin zu den Symptomen und ihrer pragmatischen Behandlung erscheint angebracht.
- Die frühzeitige Diagnose und Therapie verhindert eine Chronifizierung der Endometriose.
- Für die Diagnostik in der gynäkologischen Praxis sind nur selten Zusatzuntersuchungsverfahren notwendig. Im Vordergrund stehen Anamnese, klinische Untersuchung mittels zweiblättrigem Spekulum, rektovaginale Untersuchung und die Sonografie.
- Organinfiltrationen, die zu Schädigungen mit Spätfolgen führen können, müssen bei Verdacht auf Endometriose aktiv gesucht werden.
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Nicht jede Patientin mit Endometriose-Verdacht muss zur Laparoskopie überwiesen werden. Allerdings darf die Diagnostik und Behandlung nicht verschleppt werden, gerade bei jungen Patientinnen mit Kinderwunsch. Es sollte bedarfsgerecht eine frühzeitige Überweisung zum Endometriose-Spezialisten bzw. in ein zertifiziertes Endometriose-Zentrum erfolgen.
- Wenn eine Laparoskopie durchgeführt wird, sollte sie auch primär therapeutisch geplant werden. Eine primäre gezielte hormonelle Therapie kann, auch ohne histologische Sicherung, eine alternative Behandlungsoption sein.
- Die Therapie hängt von der Lebenssituation der Patientin ab und muss anhand der aktuellen Situation laufend angepasst werden. Es stehen verschiedene medikamentöse, chirurgische und komplementäre Optionen zur Verfügung. Die Behandlung erfordert oft eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und speziell bei Patientinnen mit Kinderwunsch die Ausarbeitung eines Gesamtkonzepts unter Berücksichtigung aller Parameter.
- Ein chirurgisches Vorgehen ist bei klarer Indikation vorteilhaft (z. B. Endometriosezysten). Im Anschluss daran wird eine adjuvante hormonelle Therapie empfohlen. Bei entsprechender Wirksamkeit und akzeptiertem Nebenwirkungsprofil muss sie zeitlich nicht limitiert werden. Sie verbessert allerdings nicht die Fertilität bei Kinderwunsch.
- Gestagene sind die Therapie der Wahl bei Endometriose, wobei Unterschiede in der Wirksamkeit und den Nebenwirkungen zu beachten sind. Dienogest ist als einziger Wirkstoff in dieser Indikation zugelassen. Bei einer Adenomyosis gelten Levonorgestrel-haltige Intrauterinsysteme (LNG-IUS) als First-line-Therapie.
- Neben einem möglichen Erschöpfungssyndrom sollte der komplexen Beziehung zwischen Endometriose und Depression Beachtung geschenkt werden. Für das Screening einer depressiven Erkrankung ist der einfache Zwei-Fragen-Test hoch sensitiv: 1.) Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig, bedrückt oder hoffnungslos? 2.) Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun?
- Je nach Bedarf sollte der Patienten auch eine Sexualberatung und/oder eine psychosomatische Beratung angeboten werden.
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modifiziert nach Pedain C, Garcia JH. Kasuistik Endometriose. Fachartikel, 22.09.2005 (thieme.de; Zugriff am 07.02.2020)
- DGGG Leitlinienprogramm. S2k-Leitlinie: Diagnostik und Therapie der Endometriose. AWMF-Register Nr. 015/045. Gültig bis 30.08.2018 (abrufbar unter: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/015-045.html)
- Imboden S, Mueller M. Ein Chamäleon unter den gynäkologischen Erkrankungen – Endometriose. Schweiz Med Forum 2017;17(32):654-9
- Fessler B. Warum die Endometriose noch immer ein Problemfeld ist. Basierend auf: Hauptthema: Allgemeine Gynäkologie, Vortrag „Endometriose", FOKO Fortbildungskongress der Frauenärztlichen Bundesakademie, Düsseldorf, 23. Februar 2019 (springermedizin.de; Zugriff am 07.02.2020)
- Zeppernick F, Zeppernick M. QS ENDO Real. Eine Studie der Stiftung Endometrioseforschung (SEF) zur Realität der Versorgungsqualität von Patientinnen mit Endometriose in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Endometriose-Aktuell 2019;1:18-9
- Schweppe KW. Qualifizierung von endometrioseinteressierten Niedergelassenen durch Erwerb eines Zertifikats: „Spezielle Qualifizierung auf dem Gebiet der Endometriose“, welches von der Stiftung Endometriose-Forschung und der Europäischen Endometriose-Liga nach Prüfung der Qualifikation verliehen wird. Endometriose-Aktuell 2019;1:13-5
- Reichert VM et al. Schritt für Schritt zur schnelleren Diagnose. Endometriose — ein Überblick. Gynäkologie + Geburtshilfe 2017;22(5):42-50
- Renner S, Müller A. Endometriose. In: Leidenberger F., Strowitzki T., Ortmann O. (Hrsg). Klinische Endokrinologie für Frauenärzte. 2014. Springer, Berlin, Heidelberg
- Donutiu R at al. Gynäkologie – highlighted. Bayerisches Ärzteblatt 2019;4:144-9
- Agarwal SK et al. Clinical diagnosis of endometriosis: a call to action. Am J Obstet Gynecol 2019;220(4):354.e1-354.e12
- Gambadauro P et al. Depressive symptoms among women with endometriosis: a systematic review and meta-analysis. Am J Obstet Gynecol 2019;220(3):230-41
- Römer T. Update - Endometriose - Langfristig weniger Schmerzen und mehr Lebensqualität. Webinar, 18.04.2018 (arztcme.de; Zugriff am 10.02.2020)
- Boosz A et al. Zertifizierung von Endometriosezentren. Endometriose-Aktuell 2019;1:8-12