Die neoadjuvante endokrine Therapie als erste Wahl

Weshalb bietet sich bei Patientinnen mit luminalen Brustkrebstumoren gerade in Pandemie-Zeiten die neoadjuvante endokrine Therapie als Option der ersten Wahl an?

„Es liegen bislang keine größeren Berichte vor, dass es bei Patientinnen oder Patienten mit Mammakarzinom zu schwereren Verläufen von COVID-19 kommt“, heißt es Im Kapitel 6.2.41 (Mammakarzinom) der onkopedia-Leitlinie zu COVID-19 bei Krebspatienten1 in der Version vom 29. Mai 2020. An eben diesem Tag wurden allerdings zwei multizentrische Kohortenstudien2,3 publiziert, deren Ergebnisse nahelegen, eine (Brust-) Krebserkrankung durchaus als besonderen Risikofaktor für schwere COVID-19-Verläufe und eine erhöhte Sterberate zu werten.

Kohortenstudien: erhöhtes COVID-19-Risiko für Mammakarzinom-Patienten

Die retrospektiven Kohortenstudien wurden in der chinesischen Provinz Hubei, dem ursprünglichen Epizentrum der Pandemie, unabhängig voneinander durchgeführt. In beiden Patientenkollektiven zählte Brustkrebs mit 20 % (n = 40 von 205) bzw. 13 % (31 von 232) zu den häufigsten Tumorarten, in der einen Studie vor Darm- und Lungenkrebs, in der anderen hinter Blasen- und vor Darmkrebs. Das mittlere Lebensalter lag in beiden Studien bei über 60 Jahren und rund die Hälfte der Patienten wies neben dem Tumorgeschehen weitere Krankheiten auf.2,3

Eine in den letzten vier Wochen vor Beginn durchgeführte Chemotherapie war mit einer 3,5-fach erhöhten Krankenhausmortalität der krebskranken COVID-19-Patienten assoziiert.2 In einer Multivariatenanalyse ergab sich unter Berücksichtigung von Tumorart und -stadium, Begleiterkrankungen, Alter und Geschlecht ein 3,3-fach erhöhtes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf speziell nach zielgerichteter Therapie oder Immuntherapie.3

Laut einem begleitenden Kommentar4 zu den beiden Studien zeigt sich auch bei Betrachtung aller bisher vorliegenden Studien in China ein ähnlicher Trend: Die COVID-19-Fallsterblichkeit unter Krebspatienten erscheint deutlich erhöht und das Sterberisiko im Krankenhaus liegt für sie fast viermal so hoch, wenn sie in den Wochen vor der stationären Aufnahme eine Chemo-, Immun- oder zielgerichtete Therapie erhielten oder sich einer Operation unterzogen. Andererseits ist bei der Frage, ob und unter welchen Umständen anstehende Krebstherapien in Pandemiezeiten besser verschoben werden sollten, höchste Vorsicht angebracht.4

Weltweit verändertes Behandlungsmanagement

So heben auch die DGHO-Experten in ihren Onkopedia-Empfehlungen die gegenwärtige Einschätzung hervor, dass „zum jetzigen Zeitpunkt in den meisten Fällen die effektive Behandlung der Krebserkrankung für das Überleben der Patienten wichtiger ist als übertriebene Vorsichtsmaßnahmen im Sinne unnötiger Unterbrechungen oder Verschiebungen“.1 Dass sich das Behandlungsmanagement beim Mammakarzinom im Rahmen der Corona-Pandemie weltweit verändert hat, zeigt eine Ende Mai veröffentlichte Umfrage5.

Daran nahmen 377 Brustzentren in 41 Ländern innerhalb von zehn Tagen teil. Mit folgenden Häufigkeiten wurden die verschiedenen Maßnahmen ergriffen:

Ob und wie sich diese beträchtlichen Veränderungen auf die onkologischen Behandlungsergebnisse auswirken, wird sich in künftigen Untersuchungen zeigen.5

Vereinfachtes NET-Protokoll in Pandemie-Zeiten

Ein pragmatischer Vorschlag zum Therapiemanagement bei Mammakarzinom-Patientinnen kommt aus Spanien, einem von der Corona-Pandemie besonders stark betroffenen Land. Zwei Brustkrebs-Experten vom Hospital Universitario La Paz in Madrid plädieren angesichts des Krisenszenarios in einem aktuellen Paper6 für den Einsatz der neoadjuvanten endokrinen Therapie (NET) als sichere und effektive Option der ersten Wahl bei Patientinnen mit luminalen Brustkrebstumoren. Damit lässt sich, so die Überlegung, zu einer Verschiebung, Reduzierung und Vermeidung von Krankenhausbesuchen und Operationen beitragen.

Im Brustkrebszentrum der spanischen Kliniker gehört die NET seit drei Jahren zum Spektrum der Routinetherapie und kommt bei etwa einem Fünftel der Patientinnen zur Anwendung. Nach dem epidemiologischen Notfall, den COVID-19 verursacht hat, vereinfachten die Gynäkologen ihr eigenes Behandlungsprotokoll und passten es an die sich ergebenden Umstände an. Ihrer Einschätzung nach kann es nicht nur in spezialisierten Brustzentren, sondern auch in Primärversorgungszentren leicht umgesetzt werden.6

Bei postmenopausalen Patientinnen bevorzugt Aromatasehemmer

Unter normalen Umständen erwägen die Ärzte die NET bei postmenopausalen Frauen mit Hormonrezeptor-positiven (luminal-like)/HER2-negativen Mammakarzinomen (ER+) gemäß den St. Gallen-Kriterien 20137, die eine Größe über 1 cm aufweisen. Alle Fälle werden in einem multidisziplinären Tumorboard besprochen. Die Mediziner bevorzugen für die NET Aromataseinhibitoren (AI) und dabei üblicherweise Letrozol als Medikament der ersten Wahl. Bei AI-Intoleranz kommt Tamoxifen in Betracht.6

Liegt die initiale Ki67-Expressionsrate bei ≥ 10 %, wird nach 4 Wochen erneut eine Kernbiopsie durchgeführt. Ein reduzierter Wert spricht dann für die Wirksamkeit der Therapie. Um die Nachbeobachtung kümmert sich meistens der Gynäkologe und in manchen Fällen der internistische Onkologe. Dabei werden die Patientinnen für gewöhnlich alle 2 oder 3 Monate klinisch untersucht und sonografiert (RECIST-Kriterien). In Ausnahmefällen, etwa bei Schwierigkeiten mit dem Follow-up per Ultraschall oder bei manchen lobulären Tumoren, wird eine Magnetresonanztomografie durchgeführt.6

Bei zu beobachtender Verkleinerung des Karzinoms erfolgt die Fortführung der Therapie, bis eine maximale Reduktion des Tumorumfangs erzielt werden konnte. Das ist üblicherweise nach 6–12 Monaten der Fall, so die spanischen Autoren. Im Allgemeinen wird dann im Anschluss daran operiert. Bei ausbleibender Reduktion des Ki67-Werts, nachgewiesener Tumorprogression oder signifikanter axillärer Beteiligung ist nach konventionellen Kriterien eine Radiotherapie indiziert und die Chemotherapie verbleibt als Option.6

NET-Protokoll unter normalen Bedingungen:


nach Martí et Sánchez-Méndez6

Herausforderung: Identifizierung der Patientinnen mit den besten Erfolgschancen

Wie lassen sich die Patientinnen identifizieren, die von einer NET am meisten profitieren? Bekanntermaßen wird eine bessere Ansprechbarkeit in Fällen mit starker ER-Expression (Allred-Score 7–8) beobachtet. Allerdings lässt sich aus der Intensität der ER-Expression nicht immer auf ein gutes Behandlungsergebnis der Antihormontherapie schließen. Andere Parameter wie etwa die PgR-Expression und Veränderungen der Proliferationsrate (Ki67) spielen für die Vorhersage des Ansprechens ebenfalls eine Rolle. Wird ein paar Wochen nach Therapiebeginn erneut biopsiert, lassen sich Informationen über eine mögliche Tumorresistenz gewinnen, vor allem in jenen Fällen mit unverändert hohem Ki67. So können mit der NET auch neue potenzielle Resistenz-Biomarker untersucht werden.6

Mit einer angeborenen Resistenz gegenüber der endokrinen Therapie ist in etwa 20–30 % der Fälle zu rechnen. Unter normalen Umständen ergibt sich ein entsprechender Verdacht, wenn die Ki67-Rate nach wenigen Behandlungswochen nicht signifikant sinkt. In der Corona-Ausnahmesituation sollte das Ultraschall-Monitoring zur Beurteilung des NET-Ansprechens ausreichen und auf wiederholte Biopsien eher verzichtet werden, so die Autoren. Im Fall der Behandlung eines resistenten Tumors über 2–3 Monate befürchten sie keinen relevanten Schaden und betrachten dafür die Feststellung einer Resistenz als Chance, um später einen erfolgversprechenderen Ansatz zu finden.6

Fazit für die Praxis

Autor: Dr. Hubertus Glaser

Referenzen:

  1. von Lilienfeld-Toal M et al. Coronavirus-Infektion (COVID-19) bei Patienten mit Blut- und Krebserkrankungen. onkopedia-Leitlinie, Version vom 29. Mai 2020 (onkopedia.com; Zugriff am 09.06.2020)
  2. Yang K et al. Clinical characteristics, outcomes, and risk factors for mortality in patients with cancer and COVID-19 in Hubei, China: a multicentre, retrospective, cohort study. Lancet Oncol 2020. doi:10.1016/S1470-2045(20)30310-7
  3. Tian J et al. Clinical characteristics and risk factors associated with COVID-19 disease severity in patients with cancer in Wuhan, China: a multicentre, retrospective, cohort study. Lancet Oncol 2020. doi:10.1016/S1470-2045(20)30309-0
  4. Tang LV, Hu Y. Poor clinical outcomes for patients with cancer during the COVID-19 pandemic. Lancet Oncol 2020. doi:10.1016/S1470-2045(20)30311-9
  5. Gasparri ML et al. Changes in Breast Cancer Management During the Corona Virus Disease 19 Pandemic: An International Survey of the European Breast Cancer Research Association of Surgical Trialists (EUBREAST). Breast 2020;52:110-5
  6. Martí C, Sánchez-Méndez JI. Neoadjuvant endocrine therapy for luminal breast cancer treatment: a first-choice alternative in times of crisis such as the COVID-19 pandemic. Ecancermedicalscience 2020;14:1027
  7. Goldhirsch A et al. Personalizing the Treatment of Women With Early Breast Cancer: Highlights of the St Gallen International Expert Consensus on the Primary Therapy of Early Breast Cancer 2013. Ann Oncol 2013;24(9):2206-23
  8. AGO. Diagnostik und Therapie früher und fortgeschrittener Mammakarzinome. Neoadjuvante (Primäre) systemische Therapie. Version 2020 (ago-online.de; PDF-Link)
  9. ESMO. ESMO management and treatment adapted recommendations in the COVID-19 era: Breast cancer (esmo.org; PPT-Link)

Abkürzungen:
AGO = Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie
DGHO = Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie
ER = Estrogenrezeptor
ESMO = European Society for Medical Oncology
MRT = Magnetresonanztomografie
PgR = Progesteronrezeptor
RECIST = Response Evaluation Criteria In Solid Tumors