Gestagen-Monopräparate in der Stillzeit geeignet

Bei der Verwendung hormoneller Kontrazeptiva während der Stillzeit besteht oft große Unsicherheit. Während von Kombinationspräparaten eher abgeraten wird, können reine Gestagene in der Stillzeit empfohlen werden. Doch die Datenlage ist begrenzt. Ein systematisches Review gibt Aufschluss.

Ideale Ernährung für den Säugling und Schutz für die Mutter

Die Muttermilch deckt den gesamten Nährstoffbedarf bis zum sechsten Lebensmonat und bietet damit die bestmögliche Versorgung für Säuglinge. Daneben dient das Stillen als Schutzfaktor für die Mutter, indem es das Risiko für einige Krebserkrankungen, Typ-2-Diabetes und Hypertonie verringern kann.1

Obwohl das Stillen selbst auch einen gewissen Verhütungsschutz bieten kann (sogenannte Laktations-Amenorrhoe-Methode, LAM), wünschen sich viele stillende Frauen eine höhere kontrazeptive Sicherheit. Während nicht-hormonelle Methoden unumwunden empfohlen werden können, gibt es bei hormonellen Kontrazeptiva immer wieder Bedenken: Beeinflussen sie den Stillprozess? Können sie die Entwicklung des Säuglings beeinträchtigen?

„Kann“-Empfehlung von Gestagenen in S3-Leitlinie

Bei kombinierten hormonellen Verhütungsmethoden (KOK), die Östrogen und Gestagen enthalten, gibt es Hinweise, dass sie die Milchproduktion verringern könnten. Zudem gehen sie teilweise in die Muttermilch über – mit möglichen Risiken für das Kind.2

Demgegenüber gelten Gestagen-Monopräparate als vergleichsweise sicher und werden stillenden Frauen daher in der S3-Leitlinie Hormonelle Empfängnisverhütung empfohlen.2 Allerdings handelt es sich dabei lediglich um eine „Kann“-Empfehlung (Empfehlungsgrad 0) auf der Basis von Fall-Kontroll- und Kohortenstudien mit hohem Bias-Potenzial (Evidenzgrad 2-).

Um Wirksamkeit und mögliche unerwünschte Wirkungen von Gestagenen in der Stillzeit besser bewerten zu können, haben polnische Forscher der Universität Posen anhand einer breiten Literaturrecherche eine systematische Übersicht erstellt.3 Dabei analysierten sie:

POP: Übertritt in die Muttermilch marginal

Gestagen-Monopräparate erzielten mit einem Pearl-Index von 0,14 bei idealer bzw. 0,41 bei typischer Anwendung eine hohe Sicherheit, wobei die Wirksamkeit von Drospirenon bei adipösen Patientinnen mit einem BMI ≥ 30 kg/m2 deutlich eingeschränkt sein kann.3

Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass die Aufrechterhaltung des Stillens unter POP im Vergleich zu kombinierten hormonellen Verhütungsmitteln höher ist. So betrug in einer prospektiven Kohortenstudie die Wahrscheinlichkeit, 4 Monate nach der Entbindung noch zu stillen, 97 % bei Mono- und 61 % bei Kombinationspräparaten.3

Doch welche möglichen Risiken birgt die Übertragung von Gestagenen mit der Muttermilch auf den Säugling? Desogestrel wird nach oraler Aufnahme rasch resorbiert und in den aktiven Metaboliten Etonogestrel umgewandelt. Berechnungen zufolge können pro Tag 0,01–0,05 Mikrogramm davon über die Muttermilch vom Kind aufgenommen werden.4 Nach bisheriger Studienlage scheint dadurch aber weder die Milchzusammensetzung und -produktion noch die langfristige körperliche und psychomotorische Entwicklung des Kindes beeinträchtigt zu werden.3

Ähnliches gilt für Drospirenon, das in minimalen Mengen von weniger als 1 % der mütterlichen Dosis täglich auf den Säugling übergeht, ohne unerwünschte Wirkungen hervorzurufen.5

Hormonimplantat und IUS: kein Unterschied zur nicht-hormonellen Spirale

Auch subkutane Implantate und IUS bieten eine umfassende kontrazeptive Sicherheit und zugleich einen hohen Anwendungskomfort. Etonogestrel gelangt über Implantate ebenfalls in geringen Mengen in die Muttermilch, jedoch mit der Dauer der Anwendung in abnehmender Konzentration. Nach bisherigen Daten beträgt das Risiko für eine Stillhemmung durch das Etonogestrel-Implantat etwa 0,9 %. Ein Vergleich mit stillenden Frauen, die eine nicht-hormonelle Spirale erhielten, ergab keine statistisch signifikanten Unterschiede in Bezug auf das Milchvolumen, den Laktose-, Protein- und Fettgehalt der Milch oder die Stilldauer. Auch die Wachstumsraten der Säuglinge unterschieden sich in beiden Gruppen nicht.3

Menge und Qualität der Muttermilch werden nach aktueller Datenlage auch durch Levonorgestrel-freisetzende IUS nicht beeinträchtigt. Im Vergleich zur Kupferspirale zeigte eine Nachbeobachtung über ein Jahr zudem weder Unterschiede bei der Stilldauer noch bei Wachstum und Entwicklung der Säuglinge.3

Stillpause nach Notfallkontrazeption kontrovers diskutiert

Schließlich wurde in der Studie auch eine hormonelle Notfallverhütung mit Levonorgestrel bzw. Ulipristalacetat hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit in der Stillzeit evaluiert. Da bislang keine ausreichenden Daten zu den möglichen Auswirkungen für den Säugling vorliegen, gibt es Empfehlungen, das Stillen nach Einnahme der „Notfallpille“ sicherheitshalber zu pausieren, wobei die Spannweite der empfohlene Stillpause bei Levonorgestrel 8 Stunden und bei Ulipristalacetat eine Woche beträgt.3,6,7

Feststeht, dass beide Wirkstoffe wiederum in die Muttermilch übergehen, allerdings bei Levonorgestrel ohne nennenswerte unerwünschte Wirkungen beim Säugling. Für Ulipristalacetat liegen keine relevanten Veröffentlichungen über die Auswirkungen der Anwendung auf gestillte Säuglinge, die Laktation und die Muttermilch vor.3

Individuelle Verhütungsberatung unverzichtbar

Die Anforderungen an eine Verhütung während der Stillzeit sind hoch. Sie muss sicher sein, ohne die Muttermilch, den Stillprozess und die Entwicklung des Babys zu beeinflussen. Darüber hinaus sollte sie auch für das Paar akzeptabel sein und weder Geschlechtsverkehr noch Libido beeinträchtigen.

Aus Sicht der Autoren der genannten polnischen Studie sind hormonelle Verhütungsmittel mit Gestagenen nach aktueller wissenschaftlicher Evidenz als „relativ sichere Lösung“ zu bewerten. Gleichwohl sei stets eine umfassende, fachlich fundierte Beratung notwendig, die sich an den individuellen Bedürfnissen der Betroffenen orientiert und potenzielle Risiken miteinbezieht. Hier sind alle Gynäkologinnen und Gynäkologen gefragt.

Abkürzungen:
BMI = Body-Mass-Index
IUS = Intrauterinsystem
KOK = Kombinierte Orale Kontrazeptiva
LAM = Laktations-Amenorrhoe-Methode
POP = Progesteron Only Pills

Quellen

  1. Binns C et al. The Long-Term Public Health Benefits of Breastfeeding. Asia Pac. J. Public Health. 2016; 28: 7–14. doi: 10.1177/1010539515624964.
  2. Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe: S3-Leitlinie Hormonelle Empfängnisverhütung. AWMF-Register-Nr. 015-015, September 2020.
  3. Chmaj-Wierzchowska K et al. Safety of Progestogen Hormonal Contraceptive Methods during Lactation: An Overview. Clin Pract. 2024 Jun 4 ;14(3): 1054-1064. doi: 10.3390/clinpract14030083.
  4. Fachinformation Desogestrel Aristo®. Stand: August 2020.
  5. Fachinformation Slinda®4 mg Filmtabletten. Stand März 2024
  6. Fachinformation Levonoraristo®. Stand 12-20218
  7. Fachinformation Ulipristal Aristo®. Stand 03-2022