Cholesterinsenkung: (Fehlende) Therapietreue im Fokus<sup>1</sup>

Bei der medikament&ouml;sen Behandlung erh&ouml;hter Cholesterinwerte geht es prim&auml;r darum, das Risiko f&uuml;r Herzinfarkt und Schlaganfall zu minimieren. Entscheidend f&uuml;r den Erfolg ist hier die dauerhafte Senkung des LDL-Cholesterins unter die Zielwerte.<sup>2</sup>

Das Wichtigste auf einen Blick:

a Einzelne subkutane Injektion zu Behandlungsbeginn, nach 3 Monaten und danach alle 6 Monate.4
b Daten einer gepoolten Analyse der drei zulassungsrelevanten Studien ORION-9, -10 und -11 zeigten eine zeitlich gemittelte, placebokorrigierte LDLC-Senkung um 50,5 % (p < 0,0001) zwischen Monat 3 und 18 (Tag 90–540) im Vergleich zum Ausgangswert zusätzlich zu einer maximal tolerierten Statin-Therapie und ggf. weiteren lipidsenkenden Medikamenten. LEQVIO wurde an Tag 1 und Tag 90, gefolgt von zusätzlichen Injektionen in 6-Monats-Intervallen an Tag 270 und Tag 450, verabreicht.a
Die Wirkung von Inclisiran auf die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität wurde bisher noch nicht nachgewiesen.4

ESC-Richtwerte für das LDL-Cholesterin

An der Bedeutung der Cholesterinwerte für das kardiovaskuläre Risiko besteht schon lange kein Zweifel mehr. Insbesondere das LDL-Cholesterin spielt hier eine entscheidende Rolle. In den jüngsten ESC-Empfehlungen wurde das noch einmal untermauert (s. Abb. 1). Bei Patient*innen mit erhöhtem Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall wurden für das LDL-Cholesterin Zielwerte von unter 70 mg/dl definiert.2,8 Nach einem Herzinfarkt sollen die LDL-Cholesterin-Werte laut den ESC-Leitlinien sogar unter 55 mg/dl liegen.2,8

Abb. 1:
Erläuterung zu a: Bei Patient*innen mit atherosklerotisch bedingten Veränderungen, die innerhalb von zwei Jahren ein zweites vaskuläres Ereignis erleiden (nicht notwendigerweise vom gleichen Typ wie das erste), während sie eine maximal verträgliche Statintherapie erhalten, sollte ein LDL-Cholesterin-Zielwert von < 40 mg/dl (1,0 mmol/l) in Betracht gezogen werden.2,8

EAS: European Atherosclerosis Society, ESC: European Society of Cardiology

Insbesondere bei Patient*innen, die bereits einen Herzinfarkt oder Schlaganfall hatten, ist eine konsequente und dauerhafte Senkung der LDL-Cholesterin-Werte unverzichtbar. Denn die Gefahr einer Wiederholung ist groß.

Dauer der LDL-Cholesterin-Senkung ebenso wichtig wie Höhe der Senkung

Allerdings kommt es hier nicht nur auf die absoluten LDL-Cholesterin-Werte an, sondern auch auf die Dauer, für die diese Werte erreicht werden. Und diese beiden Ziele beeinflussen sich gegenseitig, wie eine im Jahr 2017 im „European Heart Journal“ publizierte Arbeit aufzeigt: Mendelsche Randomisierungsstudien weisen auf die Vorteile einer langfristigen Senkung des LDL-Cholesterin-Spiegels hin.6 Eine anhaltende Reduktion des LDL-Cholesterin-Wertes ist mit einer bis zu dreimal stärkeren Verringerung des kardiovaskulären Risikos verbunden als eine kurzzeitige Behandlung mit Statinen im höheren Lebensalter, wenn sich die Atherosklerose bereits manifestiert hat.6,11 Dies lässt darauf schließen, dass sowohl die Höhe als auch die kumulative Dauer der Exposition gegenüber LDL-Cholesterin einen kausalen Effekt auf das kardiovaskuläre Risiko haben.6

Ein anschauliches Beispiel hierfür liefern J. Brandts und K.K. Ray in einer 2020 in „Circulation“ publizierten Arbeit5: Eine relativ überschaubare LDL-Cholesterin-Senkung von 13 mg/dl über 50 Jahre führt zu einem vergleichbaren Effekt wie eine viel höhere LDL-Cholesterin-Senkung um 39 mg/dl, die aber nur 5 Jahre anhält.5

Studie zur Adhärenz bei Hypercholesterinämie: 80 % Therapieabbrüche bei Statinen

Womit wir beim Thema Therapietreue oder Adhärenz sind. Erhöhte Cholesterinwerte verursachen in der Regel keine Beschwerden. Das erhöht per se schon die Wahrscheinlichkeit für Therapieabbrüche. Wozu täglich Tabletten nehmen, wenn einem gar nichts fehlt? Die Bedrohung durch einen möglichen Herzinfarkt oder Schlaganfall kommt längst nicht immer so in den Köpfen der Betroffenen an, wie sich das die verordnenden Kolleg*innen wünschen mögen.

Dies zeigen Daten einer deutschen Studie, die 2023 im „Clinical Research in Cardiology“ veröffentlicht wurde.1 In der retrospektiven Real-World-Kohortenstudie wurden über 900.000 Patient*innen mit Hypercholesterinämie nachverfolgt, denen eine medikamentöse Therapie verordnet worden war. Das Ergebnis (siehe auch Abb.2) ist ernüchternd:1

Die Praxis zeigt: Therapietreue bei LDL-Cholesterin-senkenden Therapien ist ungenügend

Abb. 2: Nicht-Persistenz wurde definiert als Absetzen der lipidsenkenden Therapie mit einer Verordnungslücke von ≥ 90 Tagen zwischen dem Ende der ursprünglichen Verschreibung und der Verschreibung eines neuen Medikaments.1

Modifiziert nach Koenig W, et al. 2023.1

Einfluss der Therapieform auf die Adhärenz

Angesichts dieser Daten sind die postulierten Therapieerfolge der medikamentösen Behandlung mit Vorsicht zu genießen, wie J. Brandts und K.K. Ray deutlich machen.5 Denn der Effekt auf die LDL-Cholesterin-Werte wird in den Studien zum einen in aller Regel kurz nach Behandlungsbeginn gemessen. Zum anderen ist die Adhärenz unter Studienbedingungen naturgemäß höher als unter Real-World-Bedingungen.

Das Problem ist leider nur schwierig zu mindern. Am ehesten führen laut Brandts und Ray noch Erinnerungs-Mails, persönliche Betreuung durch Pflegedienste oder fixe Kombipräparate zu einer Besserung der Adhärenz.5,12

Brandts und Ray ziehen daraus folgenden Schluss: Eine zum Beispiel unter Statintherapie kurz nach Behandlungsbeginn erreichte LDL-Cholesterin-Senkung um 39 mg/dl führt theoretisch über 5 Jahre zu einer Senkung des Risikos für Herzinfarkt und Schlaganfall um 22 %. Rechnet man aber die hohe Abbrecher-Quote ein, reduziert sich der Benefit innerhalb von fünf Jahren auf rund 14 %.5 Ähnlich verhält es sich bei den anderen oralen Therapeutika.

Möglicher Vorteil für Leqvio®

Einen möglichen Vorteil bieten hier laut den Autor*innen die PCSK9-Synthese-Hemmer wie Inclisiran (Leqvio®). Leqvio® wird nach den ersten beiden Spritzen im Vierteljahresabstand nur noch halbjährlich subkutan durch Ärzt*innen oder medizinisches Fachpersonal appliziert.4,5

Das Fazit der Circulation-Publikation von Brandts und Ray5: Bei der Bewertung der Medikamente zur Cholesterinsenkung muss auch die Therapietreue eingerechnet werden. Inclisiran (Leqvio®) könnte hier wegen seiner halbjährlichen Applikation einen Vorteil bieten.

Leqvio® auf einen Blick

Seit Herbst 2020 ist der PCSK9-Synthese-Hemmer Inclisiran (Leqvio®) bei Erwachsenen zur Behandlung der primären Hypercholesterinämie (heterozygot familiär und nicht-familiär) oder der gemischten Dyslipidämie als Ergänzung zu einer diätetischen Therapie zugelassen. Der Wirkstoff darf zusammen mit einem Statin bzw. einem Statin in Kombination mit anderen lipidsenkenden Arzneimitteln eingesetzt werden, wenn die LDL-Cholesterin-Ziele trotz maximal verträglicher Statindosis nicht erreicht werden. Auch bei Patient*innen mit Statinintoleranz oder -kontraindikation kann Inclisiran allein oder in Verbindung mit anderen Lipidsenkern eingesetzt werden.1

Inclisiran ist eine sogenannte small interfering RNA (siRNA), die subkutan injiziert wird. Letztlich hemmt Leqvio® über die RNA-Interferenz den PCSK9-vermittelten Abbau hepatischer LDL-Cholesterin-Rezeptoren. In der Folge kann vermehrt LDL-Cholesterin in die Leber aufgenommen werden und der LDL-Cholesterin-Spiegel im Plasma kann sinken.

In den plazebokontrollierten Zulassungsstudien führte Leqvio® im Mittel zu einer Halbierung a der LDL-C-Werteb,13.

Die Standarddosis besteht aus 284 mg Inclisiran. Die subkutane Injektion erfolgt im Anschluss an die Erstgabe erneut nach drei Monaten und anschließend alle sechs Monate.1

a Daten einer gepoolten Analyse der drei zulassungsrelevanten Studien ORION-9, -10 und -11 zeigten eine zeitlich gemittelte, placebokorrigierte LDLC-Senkung um 50,5 % (p < 0,0001) zwischen Monat 3 und 18 (Tag 90–540) im Vergleich zum Ausgangswert zusätzlich zu einer maximal tolerierten Statin-Therapie und ggf. weiteren lipidsenkenden Medikamenten. LEQVIO wurde an Tag 1 und Tag 90, gefolgt von zusätzlichen Injektionen in 6-Monats-Intervallen an Tag 270 und Tag 450, verabreicht.c
b In Kombination mit einem Statin oder einem Statin und anderen lipidsenkenden Therapien oder als Monotherapie oder in Kombination mit anderen lipidsenkenden Therapien.4
c
Einzelne subkutane Injektion zu Behandlungsbeginn, nach 3 Monaten und danach alle 6 Monate.

Fazit

Bei Patient*innen mit Hypercholesterinämie ist eine dauerhafte Senkung der LDL-Cholesterin-Werte von enormer Bedeutung. Das kann aber nur bei konsequenter Einnahme der Medikamente gelingen, und die Realität zeigt leider eine sehr ungenügende Adhärenz. Nach drei Jahren nehmen demnach nur noch kann 21 % der Statin-Patient*innen ihre Medikamente ein.1 Einen möglichen Vorteil könnte vor diesem Hintergrund das Applikationsintervall des PCSK9-Synthese-Hemmers Inclisiran (Leqvio®) haben, weil es nach der Initialdosis nur halbjährlich subkutan appliziert werden mussa,4.

a Einzelne subkutane Injektion zu Behandlungsbeginn, nach 3 Monaten und danach alle 6 Monate.4

Quellen

  1. Koenig W, Lorenz ES, Beier L, Gouni-Berthold I. Retrospective real-world analysis of adherence and persistence to lipid-lowering therapy in germany. Clinical Research in Cardiology. 2023. doi: 10.1007/s00392-023-02257-6.
  2. Mach F, Baigent C, Catapano AL, et al. 2019 ESC/EAS guidelines for the management of dyslipidaemias: Lipid modification to reduce cardiovascular risk: The task force for the management of dyslipidaemias of the european society of cardiology (ESC) and european atherosclerosis society (EAS). Eur Heart J. 2019;41(1):111-188. doi: 10.1093/eurheartj/ehz455.
  3. Gebrauchsinformation: Leqvio® 284 mg Injektionslösung in einer Fertigspritze. Stand 08/22. Herausgeber: Novartis Europharm Limited. https://www.novartis.com/de-de/sites/novartis_de/files/419991_GI_Leqvio.pdf. Aufgerufen am 15.04.2024.
  4. Leqvio® aktuelle Fachinformation.
  5. Brandts J, Ray KK. Low density lipoprotein cholesterol-lowering strategies and population health: Time to move to a cumulative exposure model. Circulation. 2020;141(11):873-876. doi: 10.1161/CIRCULATIONAHA.119.043406.
  6. Ference BA, Ginsberg HN, Graham I, et al. Low-density lipoproteins cause atherosclerotic cardiovascular disease. 1. evidence from genetic, epidemiologic, and clinical studies. A consensus statement from the european atherosclerosis society consensus panel. Eur Heart J. 2017;38(32):2459-2472. doi: 10.1093/eurheartj/ehx144.
  7. Wright RS, Ray KK, Raal FJ, et al. Pooled patient-level analysis of inclisiran trials in patients with familial hypercholesterolemia or atherosclerosis. J Am Coll Cardiol. 2021;77(9):1182-1193. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0735109721000164. doi: 10.1016/j.jacc.2020.12.058. Aufgerufen am 09.04.2024.
  8. Visseren FLJ, Mach F, Smulders YM, et al. 2021 ESC guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice: Developed by the task force for cardiovascular disease prevention in clinical practice with representatives of the european society of cardiology and 12 medical societies with the special contribution of the european association of preventive cardiology (EAPC). Eur Heart J. 2021;42(34):3227-3337. doi: 10.1093/eurheartj/ehab484.
  9. Stahmeyer JT, Stubenrauch S, Geyer S, Weissenborn K, Eberhard S. The frequency and timing of recurrent stroke: An analysis of routine health insurance data. Dtsch Arztebl Int. 2019;116(42):711-717. doi: 10.3238/arztebl.2019.0711.
  10. Zeymer U, Riedel K, Hahn M. Medical therapy and recurrent ischemic events in high risk patients surviving their myocardial infarction for at least 12 months: Comparison of patients with ST elevation versus non-ST elevation myocardial infarction. Cardiol Ther. 2017;6(2):273-280. doi: 10.1007/s40119-017-0093-7.
  11. Ference BA et al. Effect of long-term exposure to lower low-density lipoprotein cholesterol beginning early in life on the risk of coronary heart disease: a Mendelian randomization analysis. J Am Coll Cardiol 2012;60:2631–2639.
  12. Fuller RH, Perel P, Navarro-Ruan T, Nieuwlaat R, Haynes RB, Huffman MD. Improving medication adherence in patients with cardiovascular disease: A systematic review. Heart. 2018;104(15):1238-1243. doi: 10.1136/heartjnl-2017-312571.
  13. Padam P, Barton L, Wilson S, et al. Lipid lowering with inclisiran: A real-world single-centre experience. Open Heart. 2022;9(2):e002184. doi: 10.1136/openhrt-002184. doi: 10.1136/openhrt-2022-002184.