- Interview Lilly mit Prof. Dr. med Manfred Schedlowski, medizinischer Psychologe und Verhaltensimmunbiologe aus Essen.
- Schedlowski M et al. Pharmacological Reviews, July 2015, 67 (3) 697-730.
Der berühmte Placebo-Effekt ist bekannt als eine positive Wirkung von Arzneimitteln, die gar keinen Wirkstoff enthalten. Dabei ist der Begriff viel weiter gesteckt und es gibt ebenso die Kehrseite der Medaille: den Nocebo-Effekt. Was hat es damit auf sich und welche Rolle spielen die beiden Effekte in der Sprechstunde?
Der Placebo-Begriff (lateinisch für „ich werde gefallen“) beinhaltet, dass eine medizinische Intervention einen positiven Effekt auf die Heilung oder das Befinden eines Menschen ausübt.1 So kann mit wirkstofffreien Medikamenten eine Wirkung erzielt werden. Dabei können biochemische Vorgänge im Körper ausgelöst werden, die über den Kopf gesteuert werden.1 Der Placebo-Effekt kann aber auch dazu genutzt werden, um die Wirkung von Arzneimitteln zusätzlich zu verstärken.1
Über dieselben neuro-psychologischen Mechanismen wirkt jedoch auch der Nocebo-Effekt.1 Er bewirkt das Gegenteil, da die Betroffenen hier von einer negativen Auswirkung einer medizinischen Intervention ausgehen (lateinisch nocebo = «ich werde schaden»).1 Diesen Effekt kann man häufig bei Medikamenten beobachten, die für oft auftretende oder spezifische Nebenwirkungen bekannt sind.
Bisher sind in der Placeboforschung zwei verschiedene Mechanismen bekannt, die Behandlungserwartung und die assoziative Lernerfahrung (Konditionierung).1 Erstere können Behandelnde und RFA mittels Kommunikation beeinflussen. Ist die Erwartung an die Wirkung der Therapie positiv, wird der wirkverstärkende Placebo-Effekt ausgelöst. Entsprechend verhält es sich gegenteilig bei negativer Therapieerwartung – der Nocebo-Effekt tritt auf. Die assoziative Lernerfahrung läuft eher autonom ab und ist durch Kommunikation kaum zu steuern.1 Hier geht es darum, wie der Mensch eine Therapie erfahren hat.
Beide Mechanismen arbeiten mit denselben Strukturen. Beteiligt sind insbesondere der präfrontale Kortex, aber auch die Insula und die für Emotionen zuständige Amygdala. Bei den Erfahrungen oder dem Gelernten ist sehr gut geklärt, dass die Effekte auf einer Weiterleitung der Information an den Hypothalamus beruhen. Dieser wirkt auf das sympathische Nervensystem ein. In Milz und Lymphknoten werden bestimmte Botenstoffe, Neurotransmitter, allen voran Noradrenalin, ausgeschüttet. Diese binden an Rezeptoren der Immunzellen und regulieren so deren Zirkulation und Aktivität.1
Jedoch ist längst nicht alles über diese Abläufe bekannt. Die Mechanismen können bei unterschiedlichen Erkrankungen verschieden ablaufen.1 Obwohl viel über die Abläufe beim Placebo- und Nocebo-Effekt bekannt ist, sind noch viele Fragen offen. Manche Menschen haben in Bezug auf Schmerz einen großen Placebo-Effekt, während andere nur mittelmäßig stark oder gar nicht positiv beeinflussbar sind. Dafür sind diese z. B. in anderen Bereichen außer dem Schmerz für diesen Effekt empfänglich.1 Die Suche nach guten Prädiktoren für den Placebo-Effekt läuft noch.
Gerade aus dem Schmerzbereich gibt es viele Nachweise. Rheuma-Patient:innen und -Patienten sind sehr häufig von Schmerz betroffen. Es kann einen großen Unterschied machen, wie ein Medikament angeboten wird.1 Ein Beispiel lautet: «Sie bekommen gleich ein Rezept und das Arzneimittel nehmen Sie dann bitte regelmäßig ein.» Viel erfolgversprechender könnte aber diese Ansage sein: «Mit diesem Medikament haben wir hier in der Praxis sehr gute Erfahrungen gemacht. Es greift hier oder dort ein und wird von den meisten unserer Patientinnen und Patienten sehr gut vertragen. Es wirkt schnell und zuverlässig…».1
Ebenfalls bei Schmerztabletten gibt es auch Beispiele aus dem Bereich der Lernerfahrung. Hat ein Patient eine gute Erfahrung mit einem Schmerzmedikament gemacht, kann bei Wiedergebrauch die Wirkung des Mittels schneller einsetzen, als es biochemisch zu erklären ist.1 Doch wie bereits beschrieben, ist dieser Effekt kaum zu beeinflussen.
Nocebo-Probleme bei Rheumapatient:innen entstehen häufig durch die zahlreichen Biosimiliars. Der Begriff ist bei vielen Anwendern negativ behaftet, weil sie bei dem Wort „similar“ an ein Imitat denken, dass nicht die gleiche Wirksamkeit aufweist wie das Original. Sie werden also als minderwertig empfunden, obwohl sie die gleichen Wirkstoffe beinhalten und vergleichbar wirken.1 Für Generika gibt es ähnliche Tendenzen.1
Der Nocebo-Effekt kann die Wirkung einer medizinischen Intervention durchaus um die Hälfte reduzieren, während der Placebo-Effekt die Wirkung um bis zu 50 % steigern kann.1,2
Ärzt:innen können also im Gespräch mit den Betroffenen einiges lenken. Positiv ist auch, wenn Inhalt und Art der Kommunikation individuell nach dem Gegenüber ausgerichtet werden. In der medizinischen Psychologie werden zwei Arten von Patient:innen und Patienten unterschieden: die «Represser» und die «Sensitivierer».1 Represser möchten möglichst wenig über ihre Erkrankung hören. Sie kommen, um ein Rezept abzuholen. Es ist wenig effektiv, sie mit zu vielen Informationen zu überladen. Ganz anders die Sensitivierer: Sie haben bereits einen hohen Wissensstand zu ihrer Erkrankung und möchten noch mehr dazulernen, um besser mit ihrer Krankheit umgehen zu können. Dieser Informationsdurst sollte gestillt werden.1 Die Aufgabe der Aufklärung und Beratung kann an das RFA-Team delegiert werden.
Fazit:
Es liegt in der Hand von Ärzt:innen und Praxispersonal, Erwartungen an die Therapie positiv (oder auch negativ) zu lenken. Mit diesem Hintergrundwissen und unseren Tipps können Patientengespräche mehr in Richtung Placebo- als in Richtung Nocebo-Effekt verschoben werden.
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