Kalt, kälter, Kältekammer? Sind frostige Temperaturen bei Rheuma von Vorteil?

Befeuern kalte Temperaturen die Beschwerden von Menschen mit rheumatischen Erkrankungen oder kann Kälte im Gegenteil sogar eine positive Wirkung haben? Zu Beginn des Winters klären wir auf.

Der kalendarische Herbst neigt sich dem Ende zu und mit ihm auch die oft noch milden Temperaturen. Viele Menschen mit rheumatischen Erkrankungen sehen dem Winter mit Unbehagen entgegen, da sich ihre Symptome bei kaltem Wetter zu verschlimmern scheinen. Ein Blick ins Wartezimmer bestätigt das: Im Winterhalbjahr suchen Betroffene häufiger ärztlichen Rat.

Die Frage, ob sich Gelenkschmerzen im Winter tatsächlich messbar verstärken, haben schon viele Studien zu klären versucht – mit kontroversen Ergebnissen:1,2 Unstrittig ist dagegen, dass die Beschwerden von Menschen mit Autoimmunerkrankungen jahreszeitlichen Schwankungen unterliegen. Das gilt sowohl für das erste Auftreten von Beschwerden als auch für die Krankheitsaktivität bei schon länger manifesten Erkrankungen.

Winter = Kälte = mehr Beschwerden?

Die Ätiopathogenese von Autoimmunerkrankungen, zu denen auch viele rheumatische Erkrankungen gehören, ist zweifellos komplex, heterogen und noch nicht vollständig aufgeklärt.2 Zwillingsstudien haben gezeigt, dass genetische Faktoren nur teilweise verantwortlich sein können.2 Ein entscheidender Part entfällt auch auf verschiedene Umwelt- und intrinsische Faktoren, die zwischen den Jahreszeiten variieren können. So lassen sich Schwankungen in der Krankheitsaktivität im Jahresverlauf erklären.2

Die Temperatur ist allerdings weniger ausschlaggebend. In verschiedenen Studien wurden unter anderem der Vitamin D- und der Melatonin-Spiegel, sowie Infektionen als beschwerdefördernde Faktoren untersucht.2

Vitamin D: hohe Spiegel korrelieren mit verminderter Krankheitsaktivität

Seit der Entdeckung des Vitamin D-Rezeptors in Immunzellen wird Vitamin D als ein Immunregulator betrachtet.3 Bei Patientinnen und Patienten, die an Rheumatoider Arthritis (RA) leiden, wurden durchschnittlich niedrigere Vitamin D-Level gemessen als in gesunden Kontrollpersonen.2

Im Winterhalbjahr treten nicht nur bei Menschen mit rheumatischen Erkrankungen durch die reduzierte Sonneneinstrahlung oft niedrige Serumlevel von Vitamin D auf. Der Tiefpunkt ist im späten Winter oder zeitigen Frühjahr erreicht.2 Diese Tatsache passt zu Ergebnissen einer großen Studie, die einen Peak der RA-Krankheitsaktivität (signifikant für alle Kriterien) im Frühjahr und einen Tiefpunkt im Herbst nachwies.2

Eine weitere Studie ermittelte die breitengrad-abhängige Prävalenz von RA: Sie betrug knapp 0,8 % in Finnland, jedoch nur 0,3 % in Italien.3 Auch diese Ergebnisse könnten auf einen Einfluss von Vitamin D- hindeuten.

Melatonin: kann proinflammatorisch wirken

Die Synthese und Ausschüttung von Melatonin ist tageslichtabhängig und erreicht bei Dunkelheit die höchsten Level. Entsprechend ist auf der Nordhalbkugel die durchschnittliche Melatonin-Ausschüttung in nördlicheren Breitengraden höher als in südlichen Ländern und im Winter höher als im Sommer. Melatonin stimuliert die Produktion von proinflammatorischen Botenstoffen (Interleukin 6, Interleukin 2, T-Helferzellen Typ 1 (Th1) und Interferon γ).4

Auch der circadiane Rhythmus spielt dabei eine Rolle. Der Höhepunkt der Melatonin-Konzentration im Körper in den frühen Morgenstunden passt zur häufig auftretenden Morgensteifigkeit bei Menschen mit Rheuma.4 Denn das Melatonin-Maximum tritt gleichzeitig mit einem Peak der Cytokin-Produktion auf.5

Infektionen: RA kann mit Auftreten bakterieller Erreger korrelieren

Verschiedene Studien konnten signifikant erhöhte Konzentrationen von Proteus mirabilis in Blut und Urin von RA-Patient:innen im Vergleich zu gesunden Personen nachweisen. Auch E. coli und EBV wurden mit dem Erstauftreten einer RA in Verbindung gebracht. Um die näheren Zusammenhänge zu klären, sind jedoch weitere Studien nötig.2

Zurück zur Kälte…

Die Datenlage zum Zusammenhang zwischen Temperatur und rheumatischen Beschwerden ist kontrovers.1 Eine Metastudie aus den Niederlanden fand nur in zwei Dritteln der analysierten Studien überhaupt Hinweise auf Einflüsse des Wetters. In der Mehrheit dieser Fälle wurde eine Verschlechterung der Beschwerden bei Kälte registriert, es gab aber auch Daten, die auf eine Schmerzlinderung hinwiesen.6

Ist die Luftfeuchtigkeit der springende Punkt für die unterschiedlichen Ergebnisse? Sind Rheumapatient:innen kaltem und nassem Wetter ausgesetzt, scheinen die Schmerzen zuzunehmen. Das ist nicht unbedingt ein Widerspruch zu Studien, die eine Verschlechterung im Sommer festgestellt haben: Bei heißen Temperaturen entsteht auf unserer Haut durch Schwitzen ein feuchtes Mikroklima. Es wird angenommen, dass dieser Effekt sich ähnlich wie die Luftfeuchtigkeit in der Umgebung auswirkt.

Daher sollten für die Beantwortung der Frage, wie das Klima Beschwerden bei Rheuma beeinflusst, immer auch die jahreszeitlichen und geografischen Gegebenheiten in Betracht gezogen werden. Zum Beispiel kann der Einsatz von Klimaanlagen, der in manchen heißen Ländern üblich ist, die Ergebnisse von Studien deutlich beeinflussen.6

Kälte als Therapie

Während Wärme mit seiner entspannenden Wirkung vielen Patient:innen mit Arthrose wohltut, wendet man bei Entzündungen bekanntlich eher Kälte an.7 So ist bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen wie Rheumatoider Arthritis oder axialer Spondyloarthritis Kälte oft die bessere Wahl. Abschwellend und entzündungshemmend wirken zu Hause Eispackungen oder Quarkwickel.7 In manchen Praxen stehen Kaltluftgebläse zur Verfügung, die eisige Luft auf die Gelenke strömen.8 Am intensivsten ist jedoch die Anwendung einer Ganzkörperkältekammer, die bis zu -180 °C erreicht und eine Reihe von positiven Veränderungen bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen in Gang setzen kann.8

So wirkt die Kältekammer8

Obwohl die Kältekammern in Badekleidung betreten werden, empfinden die meisten Anwender:innen die eisigen Temperaturen nicht als unangenehm, da es sich um eine trockene Kälte handelt.8 Die maximale Aufenthaltsdauer beträgt 4 Minuten. Die Anwendung sollte meist in Serien über mehrere Wochen erfolgen.

Die Behandlungskosten für die Therapie in einer Kältekammer im ambulanten Bereich werden allerdings oft nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen. Am größten sind die Chancen für eine Kostenübernahme nach ärztlicher Verordnung und die Durchführung in einer medizinischen Kältekammer – Behandlungen in freien Instituten werden so gut wie nie von der GKV bezahlt.9

Wer rastet, der rostet

Ein wichtiger Tipp für Ihre Patient:innen: Auch bei (nass-)kaltem Wetter ist Bewegung das A und O, um die Gelenkfunktion aufrechtzuerhalten.7 Wer wegen der Kälte auf Spaziergänge oder andere Aktivitäten verzichtet, kann auch aus diesem Grund vermehrt Beschwerden bekommen.

Fazit

Der Einfluss von Kälte und anderen Umweltfaktoren auf Rheumabeschwerden ist vielschichtig und noch nicht vollständig geklärt. Die Luftfeuchtigkeit scheint nach derzeitiger Datenlage eine größere Rolle zu spielen als die Temperatur. Bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen kann die Benutzung einer Kältekammer einen wirksamen Beitrag zur Schmerzlinderung leisten.

Abkürzungen

EBV: Epstein-Barr-Virus

Quellen

  1. Azzouzi H, Ichchou L, Pain Res Manag. 7;2020:5763080. doi: 10.1155/2020/5763080.
  2. Watad A, et al. J Autoimmun. 2017.82:13-30.
  3. Cutolo M, et al. Autoimmun. 2007.7(1):59-64.
  4. Cutolo M, et al. Ann Rheum Dis. 2005.64(2):212-216.
  5. Sulli A, et al. Ann N Y Acad Sci. 2002.966:276-283.
  6. https://www.rheuma-online.de/aktuelles/news/artikel/rheumatoide-arthritis-welchen-einfluss-hat-das-wetter (zuletzt aufgerufen am 20.11.2023).
  7. https://www.my-health.ch/rheuma-im-winter-werden-die-beschwerden-staerker/ (zuletzt aufgerufen am 20.11.2023).
  8. https://www.rheuma-online.de/therapie/ganzkoerperkaeltekammer (zuletzt aufgerufen am 21.11.2023).
  9. Kältekammer » Welche Kosten entstehen bei der Kältetherapie? (kostencheck.de) (zuletzt aufgerufen am 21.11.2023).

PP-AU-DE-2006