Die stille Pandemie: Sexuelle Traumatisierung
Kinderpornografisches Material wird immer schneller über das Internet in die ganze Welt verteilt, während immer mehr Kinder weltweit sexuelle Gewalt erfahren. Mit welchen Folgen?
250 Millionen Kinder weltweit sind Opfer von sexueller Gewalt
Laut WHO sind weltweit 250 Millionen Kinder und Heranwachsende im Alter bis 17 Jahren betroffen. Allein in Indien, so Janavi Doshi (Programme for Primary Prevention of Sexual Violence), seien im Jahr 2020 umgerechnet täglich 120 Fälle von sexueller Gewalt gegen Kinder gemeldet worden. Hilfe-Hotlines verzeichneten einen Anstieg der Anrufe um 50% in den ersten 11 Tagen des Lockdowns. Eine Meta-Analyse von 55 Studien aus 24 Ländern ergab eine Prävalenz von 8-31% für Mädchen und 3-17% für Jungen.1
Die in Großbritannien ansässige Internet Watch Foundation (IWF) beurteilte im Jahr 2020 299.619 Anzeigen. 155.383 waren Darstellungen von sexuellem Kindesmissbrauch. Das entspricht einem Anstieg von 19% gegenüber 2019. 44% enthielten sogenannte Selbstdarstellungen, z.B. aus dem häuslichen Umfeld, bei denen der Anschein entsteht, die Kinder würden sich aus eigenem Antrieb heraus zeigen. 64% des Gesamt-Contents enthielt Darstellungen von Kindern im Alter von 11-13 Jahren. 93% der betroffenen Kinder waren weiblich.2
Besonders erschreckend ist, dass die Schwere der sexuellen Misshandlung proportional steigt, umso jünger die Kinder sind. Das heißt, Kinder im Alter von 0-2 Jahren sind der schwersten Form sexueller Gewalt ausgesetzt.
Folgen sexueller Gewalt im Kindesalter
Viele Überlebende entwickeln in Folge der Traumatisierung
- psychische Erkrankungen,
- höhere Stressanfälligkeit,
- Substanzgebrauchsstörungen,
- Schwierigkeiten bei der sozialen Integration,
- sexuelle Störungen,
- Beziehungsprobleme,
- kardiovaskuläre Erkrankungen,
- Stoffwechselerkrankungen.
Darauf sollten Angehörige des Gesundheitswesens achten
Die Abteilung für Gewaltprävention der WHO beschäftigt sich mit der Frage, wie das Gesundheitswesen Kinder unterstützen kann, die sexuelle Gewalt erfahren haben und welche präventiven Maßnahmen geeignet sind, um das pandemische Geschehen einzudämmen. Die WHO hat Empfehlungen für den Umgang mit Kindern, die sexuelle Gewalt erfahren haben, veröffentlicht. Darin geht es um
- Erkennen von Anzeichen und Symptomen,
- Identifikation von Fällen von Missbrauch,
- Soforthilfe,
- Sexuelle Gesundheit,
- Psychologische Intervention,
- Anamnese,
- medizinische Untersuchung und
- adäquate Dokumentation.3
Neun von zehn betroffenen Kindern erhalten nie Hilfe
Noch immer kann sich mehr als die Hälfte der betroffenen Kinder nicht über die Gewalterfahrung gegenüber Familienmitgliedern, Freundinnen und Freunden oder Vertrauenspersonen äußern. Weniger als ein Drittel weiß, wo es Hilfsangebote gibt. 1 bis 25% suchen Hilfe, und 1 bis 11% erhalten diese auch.
Das heißt, dass ungefähr 90% der von sexueller Gewalt betroffenen Kinder nie Hilfe erhalten.4 Was diese Zahlen für die psychische Gesundheit der heranwachsenden globalen Gesellschaft bedeuten und welche Folgen daraus erwachsen, wird sich zeigen.
1. Barth, J., Bermetz, L., Heim, E., Trelle, S., & Tonia, T.: The current prevalence of child sexual abuse worldwide: a systematic review and meta-analysis. Int J Public Health, June 2013.
2. IWF Annual Report 2020 - 2020 Data for Online Child Sexual Abuse
3. WHO: Responding to children and adolescents who have been sexually abused. WHO clinical guidelines, 2017.
4. Audrey Pereira, Amber Peterman, Anastasia Naomi Neijhoft, Alina Potts & Mary Catherine Maternowska: Disclosure, reporting and help seeking among child survivors of violence: a cross-country analysis. BMC Public Health, 02 July 2020.