Dass die Depression ein unabhängiger Risikofaktor für die Entwicklung einer koronare Herzkrankheit (KHK) und eines Herzinfarkts ist, bestätigt Prof. Susanne Lucae, stellvertretende Leitende Oberärztin am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in ihrem Vortrag "Angststörungen und Depressionen sind häufige Begleiter kardiovaskulärer Erkrankungen". Nach einem kardiovaskulären Ereignis ist eine depressive Komorbidität mit einem ungünstigen Verlauf der körperlichen Erkrankung assoziiert. Die S3-Leitline zur Kardiologischen Rehabilitation empfiehlt darum immer ein Monitoring auf Depressivität und Ängstlichkeit bei folgenden Vorfällen: bei einer chronischen Herzinsuffizienz (hier liegt die Prävalenz für eine Depression bei 36 Prozent), nach Herzklappen-Korrekturen, bei ICD-Implantationen und bei VAD-Implantationen.
Es gibt 3 Haupt- und 7 Zusatzsymptome, an denen man eine Depression erkennt. Die drei Hauptsymptome sind Verlust von Interesse und Freude, depressive Stimmung, reduzierter Antrieb. Dazu gibt es sieben Zusatzsymptome, die ebenfalls ein entscheidender Hinweis sind: Suizidgedanken, ein vermindertes Selbstwertgefühl und mangelndes Selbstvertrauen, Appetitminderung, Störungen von Konzentration und Aufmerksamkeit, Schlafstörungen, Schuld- und Wertlosigkeitsgefühle und negative und pessimistische Zukunftssorgen. Sobald auch nur zwei der Symptome zutreffen, sollten Hausärzt:innen eine Depression oder Angststörung in Betracht ziehen.
Diese Symptome lassen sich ganz einfach mit dem WHO-5-Fragebogen zum Wohlbefinden festlegen. Er enthält 5 Fragen zum Wohlbefinden innerhalb der letzten zwei Wochen, für die die Patientin oder der Patient sechs Antwortmöglichkeiten haben, für die es eine verschiedene Anzahl von Punkten gibt: War ich froh und guter Laune? Habe ich mich ruhig und entspannt gefühlt? Habe ich mich energisch und aktiv gefühlt? Habe ich mich beim Aufwachen frisch und ausgeruht gefühlt? War mein Alltag voller Dinge, die mich interessieren? Die kritische Grenze ergibt sich bei 14 Punkten. Sollte es bei Zeitmangel oder wenn die Patientin/der Patient nicht in der Lage ist, den Fragebogen so umfangreich zu beantworten, gibt es zwei einfache Fragen. Fühlten sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig, bedrückt und hoffnungslos? Hatten sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die sie sonst gerne tun? Wird eine Frage mit "Ja" beantwortet, sollte weiter behandelt werden.
In der Psychologie wird zwischen Panikstörung und Angststörung unterschieden.
Leidet die Patientin oder der Patient an wiederholten und unerwarteten Panikattacken (Angstanfälle) mit physischen und psychischen Symptomen wie Herzrasen, Atemnot, Schwitzen, Missempfindungen, Übelkeit, Angst bis hin zu Todesangst, Angst vor Kontrollverlust oder einem Fremdheitsgefühl? Mögliche Fragen an den Patienten wären: Haben sie plötzliche Zustände, bei denen sie in Angst und Schrecken versetzt werden, und bei denen sie unter Symptome wie Herzrasen, Zittern, Schwitzen, Luftnot, Todesangst leiden? Haben Sie Angst oder Beklemmungsgefühle, wenn Sie sich in einer Menschenmenge, engen Räumen, öffentlichen Verkehrsmitteln und vermeiden Sie solche Situationen aus Angst?
Eine generalisierte Angststörung hingegen deutet sich an durch eine ängstliche Besorgnis, Anspannung und Befürchtungen in Bezug auf alltägliche Ereignisse und Probleme. Mögliche Fragen für die Diagnose sind: Fühlen sie sich nervös oder angespannt? Machen sie sich häufig über Dinge mehr Sorgen als andere Menschen? Haben Sie das Gefühl, ständig besorgt zu sein und dies nicht unter Kontrolle zu haben? Befürchten sie oft, dass ein Unglück passieren könnte?
Was wird im Falle einer Depression oder einer Angststörung für eine Therapie empfohlen? Eine Psychotherapie ist wirksam bei der Behandlung depressiver Erkrankungen und zwar durch Verhaltenstherapie, interpersonelle Therapie oder die achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie. Die Verhaltenstherapie hingegen hat eine eindeutige Evidenz für Wirksamkeit bei Angststörungen und bei leichten und mittelgradigen depressiven Episoden gezeigt. Sie sollte aber mehr als 12 Wochen anhalten, um eine Wirkung erzielen. Letztendlich ist einer Kombination aus Verhaltenstherapie und Psychopharmakotherapie einer Behandlungsmethode signifikant und überlegen.
Die S3-Leitlinie Depression empfiehlt bei einer KHK die Pharmakotherapie vorzugsweise mit SSRI. TZA sollten nicht verordnet werden. Dafür sollte eine Psychotherapie angeboten werden. Bei einer Post-Stroke-Depression wird empfohlen, keine anticholinergen Substanzen zu verabreichen und keine generelle Prophylaxe durch Antidepressiva nach einem Schlaganfall. Dafür empfiehlt die Leitlinie aber ein regelmäßiges Monitoring auf depressive Symptome im Verlauf der Behandlung.
Bei der Anwendung einer Psychopharmakotherapie ist in jedem Fall eine ausführliche Aufklärung erforderlich. Die Behandelten sollten eine engmaschige wöchentliche Betreuung in den ersten 4 Wochen erhalten, die in den folgenden vier Monaten weiter verfolgt werden sollte. Dann muss aber nur noch alle zwei bis drei Wochen eine Vorstellung erfolgen. Die Werte der Elektrolyt-, Transaminasen-, Kreatinin-, CRP- und TSH-Werte sollten während der Therapie überprüft werden. Vor der Therapie mit SSRI und TZA wird ein EKG empfohlen.
Bei der Anwendung depressiogener Medikamente werden folgende Medikamente verwendet. Antihypertensiva wie Reserpin, Beta-Blocker (Propranolol), ACE-Hemmer (Enalapril) und CA2+-Kanal-Blocker (Verapamil); Digitalispräparate und andere Kardiaka; Salbutamol; Cortikosteroide; Anabolika; Baclofen; Antibiotika (Gyrasehemmer) und Virustatika (Aciclovir), orale Kontrazeptiva, Antihistaminika wie Cimetidin; Immunsuppressiva wie Interferon und Antiepileptika wie Carbamazepin.
Folgende Mittel sind bei der Psychopharmaka-Therapie empfohlen. Erste Wahl sind immer die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI). In der Therapie haben sich laut Lucae zwei Medikamente bewährt, da sie besonders interaktionsarm sind. Das ist zum einen Sertralin. Hier wird eine Anfangsdosis von 25 mg am Morgen empfohlen, die später auf 50 bis 100 Gramm gesteigert werden kann. Das zweite Medikament ist Citalopram. Hier empfiehlt Lucae eine Anfangsdosis von 5 mg am Morgen. Im Falle einer Verabreichung in Tropfenform genügt sogar nur 1 mg.
Kardiale Nebenwirkungen sind bei dieser Art der Therapie selten, aber bei der Einnahme von Escitalopram sollte die QTc-Zeit im Auge behalten werden. Immer wird der Beginn mit einer niedrigen Dosis empfohlen, vor allem wenn eine Angststörung diagnostiziert wurde. Wichtig ist, den Patienten über häufige Nebenwirkungen aufzuklären. So können zum Beispiel in den ersten Tagen verstärkt eine innere Unruhe und GI-Beschwerden auftreten.
Bei Erfolg der Therapie wird eine Erhaltungstherapie über 4 bis 9 Monate mit der gleichen Dosis empfohlen, die zur Remission geführt hat. Mit der Erhaltungstherapie kann das Risiko für einen Rückfall um 70 Prozent gesenkt werden. Erst danach wird eine schrittweise Reduktion über vier Wochen angeraten.
Bei einer Depression ist ein mögliches Vorgehen die Erhöhung der Dosis bei der Therapie mit TZA, Venlafaxin und Tranylcypromin. Die ist jedoch nicht sinnvoll bei SSRI. Eine weitere Option ist die Augmentation durch Gabe von Quetiapin oder Lithium und auch die Kombination mit einem weiteren Antidepressivum (z.B. SSRI mit Mirtazapin) oder der Wechsel zur Psychotherapie sind Möglichkeiten, damit die Therapie doch noch erfolgreich verläuft. Bei einer Angsterkrankung wird der Wechsel des Therapieverfahrend empfohlen.
Ein Psychiater sollte zur Rate gezogen werden, wenn auch die Gabe eines zweiten Antidepressivums keinen Erfolg bringt oder die Patientin/der Patient wahnhafte Symptome zeigt. Die Psychotherapie wird immer empfohlen, wenn eine Angsterkrankung diagnostiziert wurde. Ansonsten wird die Überweisung zum Psychotherapeuten auch hier als Möglichkeit genannt, wenn die medikamentöse Therapie ohne Wirkung bleibt. Ein Sonderfall, der immer eine Überweisung zum Psychiater oder Psychotherapeuten nötig macht, ist der psychiatrische Notfall Suizidalität. Darum sollten Ärztinnen und Ärzte immer nach Selbstmordgedanken fragen. Wenn die Patientin/ der Patient angibt, an einen Suizid zu denken, ergeben sich folgende Fragen: Wie konkret sind die Gedanken? Gibt es vorbereitende Handlungen? Wie drängend sind die Gedanken? Was hält die Patientin/ den Patienten bisher zurück? Ist die Patientin/ der Patient ansprachefähig? Je nachdem, wie gefährdet die Behandelten sind, sollten Ärztinnen/ Ärzte einen stationären psychiatrischen Aufenthalt in Erwägung ziehen. In jedem Fall sollte die Patientin/ der Patient zeitnah wieder einbestellt werden.
Prof. Oliver Pogarell, der stellvertretende Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am LMU Klinikum sprach über "Regelmäßige Krankschreibungen am Montag - Suchterkrankungen und andere Ursachen". Gleich zu Beginn seiner Rede entkräftete er die Aussage seines Vortragstitels. Statistisch gesehen gibt es am Montag die meisten Krankschreibungen, wie eine Barmer-Erhebung in Berlin und Brandenburg von 2016 zeigt und das erweckt den Eindruck einer alkoholbedingten "Katerstimmung". Doch beziehe man die Länge der Krankschreibungen in die Erhebung mit ein, herrsche montags sogar der niedrigste Krankenstand. Denn die meisten Menschen, die am Montag krank seien, seien bereits am Wochenende krank gewesen. Demnach haben Krankschreibungen am Montag nicht immer einen "Kater" als Ursache. Aber er ist ein Grund.
Laut WHO ist Alkoholabhängigkeit nach den Depressionen und vor den Demenzen die zweithäufigste Volkserkrankung. Laut einer Studie von Wilcox (2004) ist das Suizidrisiko bei einer Alkoholabhängigkeit zehn Mal höher als bei Menschen, die nicht trinken. Bei Opioidabhängigkeit ist das Suizidrisiko um das 13-fache erhöht, und sogar um das 17-fache, bei einer Polytoxikomanie. Suchterkrankungen gehören in Deutschland zu den häufigsten stationären Behandlungsdiagnosen. Speziell die Alkoholsucht zieht sich durch die gesamte Lebensspanne und ist einer der führenden Risikofaktoren für gesundheitliche Belastungen. Dazu zählen körperliche Erkrankungen wie Krebs, die Unfallspanne über das gesamte Leben betrachtet erhöht sich, und psychische Erkrankungen treten auf, wie Angststörungen, Depressionen und auch die Suizidalität ist erhöht. Und je mehr getrunken wird, desto höher das Risiko.
Laut der S3-Leitlinie (2015) zu Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen ist die Alkoholsucht unterdiagnostiziert, weil nicht nachgefragt werde, erklärt Pogarell. Darum wird für die Früherkennung die Verwendung von Fragebögen empfohlen, wie der AUDIT (Alcohol Use Disorders Identification Test). Sollte das in der Hektik des Alltagsbetriebs zu aufwendig sein, könne man einen Teilaspekt herausziehen, den AUDIT C, der aus drei Fragen besteht: Wie oft trinken Sie, wie viel und wie exszessiv. Das Risiko, eine alkoholbezogene Störung zu entwickeln, fange bei Frauen schon bei 3 Punkten an. Das Risiko beginne nicht erst, wenn ein körperlicher oder psychischer Schaden entstanden sei.
Das Ziel einer Therapie bestehe in der Sicherung des Überlebens. Die Möglichkeiten dafür sind die Reduzierung der Einnahmemenge bis hin zur Abstinenz. Allerdings sei das hierzulande nur schwer umzusetzen, sagt Pogarell. Um die Reduktion des problematischen Alkoholkonsums zu erreichen, werden Kurzinterventionen empfohlen. Das heißt, dass man dem Patienten das Problem spiegelt und die Motivation fördert, auf die Trinkmengenreduktion hinzuarbeiten. Das können wenige Minuten sein, wichtig sei, dass man den Patienen ernst nimmt. Untersuchungen hätten gezeigt, so Pogarell, dass im Falle von Zeitmangel auch nur die Gabe von schriftlichem Infomaterial genügt hätte, um den Patienten auf das Problem aufmerksam zu machen und bis zum nächsten Praxisbesuch eine Trinkmengenreduktion zu erreichen.