Der Gemeinsame Bundesausschuss hat 46 neu auf den Markt eingeführte Arzneimittel erstmals bewertet und insgesamt 146 Nutzenbewertungsverfahren durchgeführt. Fünfmal wurde das höchste Prädikat eines erheblichen Zusatznutzens vergeben. Der GBA, aber auch der Verband forschender Pharmaunternehmen (vfa) prognostizieren für 2022 ein ähnliches Innovationstempo.
Als "sehr gute Nachricht für Patienten" bewertet der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, Josef Hecken, die Bilanz der frühen Nutzenbewertung des Jahres 2021. Insgesamt 146 Verfahren (Vorjahr: 92), 46 neu eingeführte Arzneimittel und fünfmal Anerkennung eines erheblichen Zusatznutzens zeigten: "Die Forschungsleistung der Hersteller ist ungebrochen hoch."
Inhaltlich-therapeutisch sei 2021 vielseitig gewesen, so Hecken: Neben vielen neuen Krebsmedikamenten bewertete der GBA auch das erste antivirale Arzneimittel gegen COVID-19, neuartige Gentherapeutika und hochpreisige Arzneimittel gegen spinale Muskelatrophie.
Die hohe Zahl von Verfahren – inzwischen überwiegend Zweit- und Drittbewertungen aufgrund neuer Erkenntnisse oder Indikationserweiterungen – belege die Leistungsfähigkeit des GBA. Allein in die mündlichen Stellungnahmen seien insgesamt 1685 externe Personen als Sachverständige einbezogen worden.
Von hoher Bedeutung ist auch die Beratungsleistung des GBA für die Hersteller: 271-mal suchten Unternehmen in offiziellen gebührenpflichtigen Beratungsgesprächen die Expertise des Bundesausschusses, mehr als im Jahr zuvor. In etwa hundert Fällen sei es dabei um die Planung klinischer Studien gegangen, 25 Prozent mehr als im Vorjahr. Hecken: "Ich interpretiere das gern als Hinweis, dass die Hersteller ihr Studiendesign verbessern wollen, um belastbare Daten für die Nutzenbewertung zu generieren."
Für das neue Jahr erwartet Hecken eine ähnliche hohe Zahl von Bewertungsverfahren. Dabei seien auch Beschlüsse über neue Reserveantibiotika zu treffen, bei denen der Zusatznutzen zwar gesetzlich als belegt gelte, bei denen der GBA aber auch Regeln für die qualitätsgesicherte Anwendung aufstellen müsse.
Rund ein Drittel der Bewertungsverfahren betraf onkologische Arzneimittel. Aber auch Medikamente, die sonst nicht im Fokus der Forschung stehen, wie beispielsweise ein Therapeutikum zur akuten Kurzzeitbehandlung von Depression und zur Therapie von Influenza, waren Gegenstand der Nutzenbewertung. Neben dem fünfmal vergebenen Prädikat erheblicher Zusatznutzen wurden 22-mal die Kategorie beträchtlich, 27-mal die Kategorie nicht quantifizierbar und 18-mal die Kategorie gering vergeben. In 74 Verfahren wurde kein Zusatznutzen anerkannt.
Auch die Innovationsbilanz des vfa bestätigt die Bewertung durch den GBA: 46 Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen kamen erstmals auf den deutschen Markt, 14 davon gegen Krebserkrankungen. Mit einem Antikörper-basierten Arzneimittel gegen COVID-19 sei es zwei kooperierenden Unternehmen gelungen, erstmals innerhalb von weniger als zwei Jahren einen neuen Wirkstoff zu entwickeln, in klinischen Studien zu erproben und eine Zulassung zu erhalten.
Auch die Antibiotikaforschung – lange vernachlässigt – scheint an Fahrt aufzunehmen und erste Erfolge zu zeigen: So wurden zwei neue Reserveantibiotika zur Behandlung von Infektionen mit problematischen gramnegativen Bakterien neu eingeführt.
Von einer weiterhin hohen Innovationsintensität profitiert vor allem die Onkologie mit 14 Neuzulassungen, darunter auch gegen seltene Krebsleiden wie bestimmte Lymphome oder blastische plasmazytoide dendritsche Zellneoplasien. Bei fünf dieser Medikamente ist vor dem Einsatz mit einem Gen- oder Gewebetest zu prüfen, ob Krebszellen bestimmte Merkmale wie etwa Mutationen aufweisen, gegen die die Therapie wirksam ist. Damit werde das Konzept der personalisierten Medizin umgesetzt.
Elf neu zugelassene Arzneimittel richten sich gegen seltene Krankheiten. Das im Jahr 2000 gestartete Rahmenprogramm der EU zur Förderung von Orphan Drugs sieht der Präsident des vfa, Han Steutel, als erfolgreich an; es sollte uneingeschränkt fortgeführt werden. Trotz einer wachsenden Zahl von Orphan Drugs machten diese lediglich 4,4 Prozent der gesamten Arzneimittelausgaben in der GKV aus.
2022 könnte sich die Innovationsintensität fortsetzen, so eine Vorschau des vfa auf das neue Jahr. Der Verband rechnet mit insgesamt bis zu 45 Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen. Die Einschätzung stützt sich auf Zulassungsanträge in der EU oder jüngst erteilte Neuzulassungen sowie auf das beschleunigte Entwicklungsprogramm für COVID-19-Medikamente.
Mehr als ein Viertel der Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen sollen in der Behandlung von Infektionskrankheiten eingesetzt werden. Zur Behandlung von Patient:innen mit Covid-19 sollen erstmals auch oral applizierbare Medikamente verfügbar werden. Neue antiviral wirkende Arzneimittel sollen dazu beitragen, auch solche Menschen zu schützen, die keinen ausreichenden Impfschutz aufbauen können. Ferner werden Weiterentwicklungen der Impfstoffe erwartet.
Der vfa prognostiziert ferner die Neueinführung mehrerer neuer Antibiotika. Das könne helfen, gegen die sich ausbreitenden Resistenzen Boden gut zu machen. Gleichwohl bleibe es eine große Herausforderung für Industrie und Politik, dafür eine nachhaltige Finanzierung und Erstattung zu sichern, so vfa-Präsident Steutel.
Auf weiterhin hohem Niveau bleibt die Innovationspipeline bei Onkologika, die ein Viertel der erwarteten Neuzulassungen ausmachen könnten, allein fünf davon zur Behandlung von nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom. Auch weitere CAR-T-Zell-Therapien stehen kurz vor der Marktreife.
Im Bereich der Orphan Drugs wird damit gerechnet, dass erstmals ein Gentherapeutikum zur Behandlung der Hämophilie-A verfügbar werden könnte – damit könnte eine Aussicht entstehen, diese Krankheit heilbar zu machen.