Es ist eine dieser unbegründeten Ängste, über die Medien trotzdem immer wieder berichten und die von populistischen Parteien gerne politisch ausgeschlachtet werden: Die Sorge, die rund eine Million nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge könnten gefährliche Krankheiten nach Europa bringen. Dass diese Sorge haltlos ist, belegen die Aussagen von Ärzten, die täglich mit den zugewanderten Menschen zu tun haben. Die Krankheiten der Flüchtlinge würden sich nur unwesentlich von denen der heimischen Bevölkerung unterscheiden, berichteten Mediziner in einem speziellen Symposium zur Flüchtlingssituation auf den 16. Aids- und Hepatitis-Tagen in München. Und mit dieser Zahl der Erkrankungen würden die Gesundheitseinrichtungen in Deutschland in jedem Fall fertig.
Alle Asylbewerber werden im Zuge ihrer Registrierung auf HIV und AIDS getestet. “HIV-Infektionen spielen bei den Flüchtlingen aber nur eine untergeordnete Rolle”, betont Dr. Michael Seilmaier, Oberarzt an der Klinik für Hämatologie, Onkologie, Immunologie, Palliativmedizin, Infektiologie und Tropenmedizin am städtischen Klinikum München in Schwabing. Es gebe auch keinen Grund, warum HIV oder AIDS häufiger als bei der heimischen Bevölkerung vorkommen sollten, da die HIV-Infektionsrate in Ländern wie Syrien, dem Irak und Afghanistan vergleichbar mit Deutschland etwa 0,1 Prozent betrage. Dem Robert Koch-Institut zufolge gab es in Deutschland im Jahr 2014 rund 83.400 Menschen, die mit HIV oder AIDS infiziert sind. Circa 3.200 Neuinfektionen gibt es jedes Jahr. Ein überproportionaler Anstieg durch die hohe Zahl der Flüchtlinge ist nicht zu erwarten.
Der Großteil der Erkrankungen der Flüchtlinge resultiere vielmehr aus den schlechten Hygienebedingungen und den Anstrengungen auf der teilweise mehr als ein halbes Jahr dauernden Flucht, erklärt Seilmaier. Hautinfektionen, saisonbedingte Erkrankungen der Atemwege oder Gastroenteritis seien die am häufigsten vorkommenden Krankheiten. Deutsche Ärzte seien mit diesen Erkrankungen sehr vertraut, so dass sie die Patienten unproblematisch behandeln können. “Lediglich zehn Prozent der Erkrankungen benötigen eine spezielle ärztliche Expertise”, so Seilmaier.
Besondere Aufmerksamkeit sollte aufgrund der hohen Ansteckungsgefahr auf Varizellen und Masern gelegt werden, gegen die in den Heimatländern der Flüchtlinge nur unzureichend geimpft wird. Trotzdem seien in Deutschland bisher nur wenige Fälle dieser Erkrankungen aufgetreten. Die gesundheitliche Untersuchung der Flüchtlinge richtet sich nach § 62 Asylverfahrensgesetz, das vor allem eine körperliche Untersuchung zum allgemeinen Gesundheitszustand und auf Anzeichen einer übertragbaren Krankheit, eine Untersuchung zum Ausschluss einer Tuberkulose sowie eine serologische Untersuchung auf das Vorliegen einer HIV- oder Hepatitis-B-Infektion umfasst. Zusätzlich werden Stuhluntersuchungen durchgeführt.
Seilmaier wies in seinem Vortrag außerdem auf einige selten vorkommende, aber durchaus schwerwiegende Erkrankungen wie beispielsweise das Läuserückfallfieber hin. Hierbei handelt es sich um eine Zoonose, die insbesondere bei Reisen unter schlechten und naturnahen Bedingungen vorkommt, wie sie die Flüchtlinge nun einmal erleben. Übertragen wird sie durch Kleiderläuse, die als Wirt deshalb besonders hartnäckig sind, da sie bis zu sieben Tage ohne Futter (Blut) überleben können. Bis zu 70 Prozent der Patienten sterben an einer unbehandelten Infektion. Behandelt wird die Krankheit meist mit Tetracyclin, Penicillin und Erythromycin. Weitere bei Flüchtlingen äußerst selten vorkommende infektiöse Erkrankungen sind die Leishmaniose und Brucellose. Bei der Tuberkulose verzeichnen Flüchtlinge generell eine höhere Prävalenz als die heimische Bevölkerung.
Die Münchner Psychotherapeutin Michaela Müller gab zu bedenken, dass posttraumatische Belastungsstörungen bei Flüchtlingen gehäuft vorkämen. Sie kritisierte vor allem die Beschlüsse des Asylpakets II, das von Flüchtlingen verlange, ärztliche Atteste innerhalb von zwei Wochen vorzulegen, damit eine Abschiebung nicht in Kraft trete. Psychische Erkrankungen ließen sich in so kurzer Zeit nicht seriös diagnostizieren, gerade weil Flüchtlinge im Zuge einer posttraumatischen Störung nicht über erlebte Folter, Tod oder Vergewaltigungen berichten würden, so Müller.
Das Symposium zur Flüchtlingsmedizin wurde teilweise von Gilead Sciences gesponsert.
Text: V. Thoms
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