Alkoholmissbrauch und die Folgen für die Familie
Co-Abhängigkeit, Aggressivität, Vernachlässigung – all diese Probleme bringt Alkoholabhängigkeit mit sich und beeinträchtigt so Familienleben und Partnerschaften.
Alkoholabhängigkeit als Familienkrankheit
Alkohol macht Menschen geselliger, er hat eine enthemmende, beruhigende und euphorisierende Wirkung und wird deshalb vor allem bei Feiern gerne konsumiert. In Deutschland werden pro Kopf und Jahr rund 131 Liter Alkohol getrunken. Leider kann die positive Wirkung schnell ins Gegenteil umschlagen, denn Alkohol verringert auch Reaktionszeit und Konzentrationsfähigkeit, steigert dafür aber Risiko- und Aggressionsbereitschaft. Alkoholabhängigkeit oder Alkoholkonsum in Deutschland verursacht 40 Milliarden an Krankheitskosten im Jahr, 13.343 Verkehrsunfälle und 74.000 Todesfälle.
In einer Umfrage der Stiftung Gesundheitswesen aus dem Jahr 2018 zum Konsumverhalten in Deutschland mit 9.267 Personen von 18 bis 64 Jahren waren 3,1 Prozent der Befragten alkoholabhängig. Zwei Drittel davon waren männlich. Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung waren dies 1,6 Millionen Menschen. Betroffen sind von der Abhängigkeit aber nicht nur die Suchtkranken selbst, sondern auch ihre Familien.
Woran man Abhängigkeit erkennt
Je mehr Alkohol, desto schwerer die negativen Auswirkungen auf Körper und Seele. Hierfür wird die Wirkung des Alkohols in sechs Promillebereiche eingeteilt:
- 0,2 Promille: folgende Fähigkeiten nehmen ab: Seh- und Hörvermögen, Konzentrationsfähigkeit, Aufmerksamkeit, Selbsteinschätzung, Urteils- und Kritikfähigkeit
- 0,5 Promille: es setzt eine enthemmende Wirkung ein, die Betroffenen überschätzen sich selbst, Gefühle wie Wut, Freude und Trauer werden intensiver empfunden, Reaktionsvermögen und Sehfähigkeit sind eingeschränkt und Gleichgewichtsstörungen setzen ein
- 0,8 Promille: das Blickfeld verengt sich, was sich im sogenannten Tunnelblick zeigt, die Reaktionszeit ist um 35% verlängert, das Gehirn verarbeitet die Informationen nur noch mangelhaft, die psychomotorischen Fähigkeiten sind beeinträchtigt und eine zunehmende Enthemmung ist die Folgen des Alkoholismus ab 0,8 Promille
- 1-2 Promille (Rauschstadium): Orientierungs- und Gleichgewichtsstörungen, Gehen und Stehen fällt schwer, erste Sprachstörungen treten auf, Enthemmung, Verlust der Selbstkontrolle und Verwirrtheit
- 2-3 Promille (Betäubungsstadium): Verwirrtheit nimmt zu, Gedächtnis- und Bewusstseinsstörungen, erste Anzeichen von Atemschwierigkeiten, Erbrechen, Alkoholvergiftung, Bewusstlosigkeit und Koma sind möglich, Muskelerschlaffung
- 3-5 Promille (Lähmungsstadium): Bewusstlosigkeit, Gedächtnisverlust, schwache Atmung, Unterkühlung, unkontrollierte Ausscheidung, tiefe Lähmung des Nervensystems, tödlicher Atemstillstand
Die ICD 10-Kriterien helfen dabei, eine Alkoholabhängigkeit zu erkennen:
- Besteht ein starker, zwanghafter Wunsch, Alkohol zu konsumieren?
- Nimmt die Kontrolle über Beginn und die Menge des Alkoholkonsums ab?
- Besteht ein körperliches Entzugssyndrom, erfolgt der Konsum zur Linderung der Entzugssymptome?
- Hat sich die Trinkmenge erhöht?
- Werden bisherige Interessen vernachlässigt?
- Wird trotz schädlicher Folgen weiterhin konsumiert?
Sind drei davon in den letzten 12 Monaten aufgetreten, dann ist der Mensch abhängig.
Wie Partnerinnen und Partner reagieren
Jeder Mensch reagiert anders auf die Belastung. Die Forschung hat aber fünf Verhaltensweisen analysiert, die Partnerinnen und Partner von abhängigen Menschen häufig entwickeln.
- Herzensretter: Sie versuchen ihren eigenen Schmerz zu verdecken, indem sie dem Partner helfen und perfekt zu sein versuchen. Sie versuchen die Fassade von der heilen Welt aufrecht zu erhalten und übernehmen für alles die Verantwortung.
- Verfolger: Bei dieser Verhaltensweile ärgern sich die Angehörigen über das Verhalten der Abhängigen. Sie versuchen die Abhängigen, Regeln zu unterwerfen und können in ihrer Wut so gefangen sein, dass sie eventuell positives Verhalten gar nicht wahrnehmen.
- Rebellen: Die Partner lenken durch eigenes ungehöriges Verhalten unbewusst die Aufmerksamkeit vom abhängigen Familienmitglied ab. So werden zum Beispiel die Kinder vernachlässigt und durch dieses Problem wird die Abhängigkeit von der Außenwelt nicht wahrgenommen.
- Naive: Sie blenden die tatsächlichen Zustände aus. Sie versuchen das Verhalten des abhängigen Partners rational zu erklären, zum Beispiel indem sie den persönlichen Konsum auf die allgemeine Ebene heben.
- Passive: Diese Menschen weigern sich komplett, die Abhängigkeit des Partners zur Kenntnis zu nehmen. Sie flüchten sich in Fantasien und zeigen nach außen keine Gefühle.
Reaktionsweisen von Kindern auf die Alkoholabhängigkeit eines Elternteils
Auf Kinder hat die Abhängigkeit der Eltern einen großen Einfluss. Bereits Babys haben ein feines Gespür für die Befindlichkeiten der Eltern und sind auf zuverlässige und verstehbare Reaktion der Eltern angewiesen, um sich altersgerecht zu entwickeln. Ebenso kann auch die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen gestört werden, wenn sich die Abhängigkeit eines Elternteils im Laufe des Heranwachsens entwickelt. Die Stimmungsschwankungen des Elternteils führen zu Auseinandersetzungen und das Desinteresse löst bei Kindern häufig eine starke innere Anspannung aus, die sie durch bestimmte Verhaltensweisen kompensieren wollen. Auch bei Kindern gibt es verschiedene Rollen:
- Held: Die Kinder versuchen durch leistungsstarkes und fehlerfreies Verhalten das Verhalten der Eltern zu kompensieren. Diese Kinder schreiben in der Schule gute Noten oder helfen im Haushalt. Sie glauben, das Problem ihrer Eltern durch ihr Verhalten ändern zu können.
- Sündenbock: Diese Kinder lenken die Aufmerksamkeit ihrer Umwelt von der suchtkranken Person auf sich und versuchen so, das innerfamiliäre Gleichgewicht wieder herzustellen. Diese Kinder werden Studien zufolge häufig selbst suchtkrank.
- Unsichtbare: Die Kinder zeigen nur Gefühle, die zu Hause akzeptiert sind. Sie entwickeln keine eigenen Bedürfnisse oder Wünsche, sind schüchtern und schweigsam und wollen die Zuneigung ihrer Eltern gewinnen, indem sie keine Last sind
- Maskottchen: Sie versuchen, die Familie mit ihren Späßen zu unterhalten und auf diese Art, resignative und depressive Stimmungen auszugleichen.
5 Formen der Abhängigkeit
Es gibt 5 Formen psychischer und physischer Alkoholabhängigkeit.
- Der Stresstrinker benötigt den Alkohol, um innere Spannungen und Konflikte zu lösen.
- Der Gelegenheitstrinker konsumiert besonders viel Alkohol bei sozialen Anlässen.
- Beim Rauschtrinker wechseln Phasen des hohen Konsums mit Zeiten der Abstinenz.
- Der Spiegeltrinker konsumiert regelmäßig eine gewisse Menge an Alkohol, um den Rauschzustand aufrechtzuerhalten und bleibt sozial unauffällig.
- Der Quartalstrinker ist an seinem starken Alkoholkonsum in Intervallen zu erkennen, die von Zeiten der Abstinenz unterbrochen werden.
Zwischen diesen Konsumtypen und familiären Problemen kann es eine Verbindung geben.
Alkoholabhängige haben durch die Kneipenbesuche und ihr erhöhtes Schlafbedürfnis weniger Zeit für die Kinder und/oder Partnerinnen und Partner. Außerdem entstehen Streitereien wegen des Konsum. Zudem haben Alkoholabhängige eine deutlich geringere Lebenserwartung. Bei ihren Kindern ist das Risiko für Unfälle höher.
Kinder lernen durch das Verhalten der Erwachsenen, dass der hohe Alkoholkonsum zum alltäglichen Familienleben gehört. Dadurch entwickelt sich ein höheres Risiko, später selbst abhängig zu werden. Auch die Gewaltbereitschaft erhöht sich. Kindern von Alkoholabhängigen fehlt die Unterstützung der Eltern. Etwa dann, wenn die Eltern sie nicht zu Hobbys oder Freunden bringen oder nicht bei den Hausaufgaben helfen können. Auch nutzen die Eltern möglichweise Geld, das für Spielsachen gedacht war oder für eine gesündere Ernährung, zum Kauf von Alkohol. Außerdem sind trinkende Eltern in ihrer Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigt, wodurch ebenfalls für die Kinder belastende Konflikte entstehen.
Mögliche Maßnahmen bei Alkoholabhängigkeit
Wird eine Alkoholabhängigkeit vermutet, wird empfohlen, die Betroffenen selbst anzusprechen und sie zu motivieren, eine Beratungsstelle aufzusuchen. Vor allem sollte auf Zeichen für eine mögliche Gefährdung des Kindeswohls geachtet werden. Haben die Kinder blaue Flecken oder sehen sie ungepflegt aus? Zeigen sie ein auffälliges Sozialverhalten, wie häufiges Fehlen in Schule oder Kita.
Weil Alkoholabhängigkeit viele Formen und Gesichter hat, rät Becker Behandelnden, im Verdachtsfall Hilfe anzubieten. Und zwar auch den Angehörigen, besonders aber Kindern und Jugendlichen. Hierfür gebe es ein breites Angebot an Hilfsmöglichkeiten: Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen für Betroffene und Angehörige, Jugendämter, Kommunen mit verschiedenen Angeboten und Projekten für suchtbelastete Familien sowie Wohlfahrtsverbände bei freien Trägern.