Erst als Mitte der 1990er Jahre die ersten antiretroviralen Medikamente verfügbar wurden, gab es die zarte Hoffnung, das Leben doch zumindest noch etwas verlängern zu können. Bis dahin waren aber allein in den USA gut 10% der MSM an HIV und der Immunschwächekrankheit AIDS verstorben. Soziale Verbindungen wurden getrennt, Karrieren beendet – Entwicklungen im Leben der Überlebenden, die bis in unsere Tage nachwirken und auch das Altern der Menschen mit HIV nachhaltig beeinflussen.
Dank der modernen ART ist es gelungen, die HIV-Infektion von einer tödlichen Erkrankung in eine chronische Infektion zu wandeln. In den meisten Fällen gelingt es heute unter Therapie, das Virus unter die Nachweisgrenze zurückzudrängen, sodass keine weitere Übertragung mehr stattfinden kann.
Das ermöglicht diesen Menschen mit ihrer HIV-Infektion zu altern und eine statistische Lebensspanne zu erreichen, die vergleichbar ist mit Menschen ohne HIV. Dennoch haben Menschen mit HIV trotz lebenslanger Therapie ein geschwächtes Immunsystem und leiden unter einer systemischen Entzündungsreaktion gegen das Virus, welche den Alterungsprozess beschleunigen kann. Altersassoziierte Erkrankungen treten daher bei Menschen mit HIV in der Regel etwas früher auf, wodurch die Komorbiditätslast im Alter steigt.
Eng mit der Altersversorgung ist auch die Frage verknüpft, ob wir tatsächlich bei der Versorgung im Alter einen Unterschied zwischen HIV+ und HIV- brauchen? Mit dem Alter nehmen psychische Belastungen durch Komorbiditäten, soziale Isolation und Einsamkeit zu. Obgleich Menschen mit HIV hierfür ein größeres Risiko haben, können diese Belastungen im Alter selbstverständlich ebenso bei Menschen ohne HIV auftreten.
Daher sollte das Ziel sein, die Alterspflege-Strukturen für alle zukunftsfähig zu machen. Ist dann diese Unterscheidung noch notwendig? Denn Menschen mit HIV würde auf diese Weise die gleiche Wertschätzung und Empathie begegnen wie jedem Menschen in der Altenpflege.
Bei diesem Gedanken zeigt sich jedoch bereits, dass heute nicht einmal die Anforderungen an ein Altern in Würde für Menschen ohne HIV-Infektion erfüllt sind. Was es daher vor allem brauchen wird, ist ein integrativer, empathischer und wertschätzender Umgang mit hilfebedürftigen Menschen im Alter, unabhängig von deren Serostatus, Geschlecht oder sexueller Identität. Ein langer Weg, doch den gab es ebenso im Bereich der HIV-Therapie zu gehen – und die Erfolge dabei machen es erst möglich, dass heute über das Altern mit HIV gesprochen wird.
Dana Rosenfeld ist Soziogerenterologin und arbeitet aktuell als "Visiting Scientist" am College of Liberal Arts and Sciences der University of Westminster. Ihr Hauptinteresse gilt dem Altern mit HIV und den damit im Zusammenhang stehenden Herausforderungen für die Betroffenen.
Weitere Beiträge finden Sie auf unserer Kongress-Seite zur AIDS 2022.