Als Olaf Scholz am Mittwochabend um 21.15 Uhr im Kanzleramt vor die Kameras trat, um die Entlassung seines Finanzministers Christian Lindner und damit den Bruch der Ampel-Koalition zu verkünden, hätte der Zeitpunkt nicht ungünstiger sein können. Seit dem frühen Morgen hatte sich abgezeichnet, dass die Präsidentschaftswahl in den USA zugunsten von Donald Trump ausgehen würde – was bisher ein europäischer Alptraum war, wird nun Realität. Mehr noch: Trump erzielte nicht nur eine überragende Wahlmänner-Mehrheit, sondern mit gut 51 Prozent der Wählerstimmen eine basisdemokratische Legitimation. Sowohl im Abgeordnetenhaus wie auch im Senat verfügt er, zumindest in seinen beiden ersten Amtsjahren, auch über eine parlamentarische Mehrheit. Außerdem geht er weitaus besser als vor acht Jahren durch systematische Vorarbeiten für den Umbau der Regierungsadministration in seine zweite Amtszeit. Das heißt: seine furchterregenden Ankündigungen werden nicht Worte bleiben, sondern diesmal effektiv administriert werden.
Europa und insbesondere auch Deutschland werden damit international einem eisigen Wind ausgesetzt werden. Trump wird den Europäern eine dezidierte Rechnung vorlegen, was ihre geostrategische Lage kostet. Er wird sich nicht mit einem einmaligen 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr vertrösten lassen und sich damit zufriedenstellen, dass Deutschland und seine Nachbarn mit Ach und Krach das Zwei-Prozent-Ziel bei der Verteidigung erreichen. Der Benchmark wird sein, was die USA als Anteil für Verteidigung am Bruttosozialprodukt realisieren: 3,6 Prozent, vielleicht sogar erhöht um die besonderen Kosten der Risikoabwehr, die aus der unmittelbaren geographischen Nähe zu Russland resultieren. Dass diese Situation von den Europäern ein ganz neues Maß an politischer Entscheidungsfähigkeit erfordert, liegt auf der Hand.
Zugleich werden sich Europa und Deutschland darauf einrichten müssen, dass sich zur aggressiven chinesischen Handelspolitik ein zunehmender Protektionismus in der US-Außenhandelspolitik und eine absehbare Liberalisierung der Finanzmärkte gesellen wird: "America first" wird exekutiert werden, eine Rücksichtnahme europäische Interessen ist nicht zu erwarten.
Diese Rahmenbedingungen treffen auf eine Gesellschaft und politische Konstellation in Deutschland, die denkbar schlecht darauf vorbereitet ist. Trotz weit verbreitetem Unbehagen und wachsendem Misstrauen gegenüber der Politik ist die Gesellschaft weit davon entfernt, die Anstrengungen eines tiefgreifenden Reformprozesses auf sich zu nehmen. Allerdings trägt die Ampelkoalition eine erhebliche Mitschuld daran, dass Illusionen genährt und Saturiertheit gepflegt werden konnten: Die "Zeitenwende" wurde im Munde geführt, notwendige Konsequenzen sind daraus nicht gezogen worden. Das Bürgergeld kam, notwendige Reformen bei Rente, Gesundheit und Pflege unterblieben, obwohl alle drei Sozialversicherungszweige zunehmend defizitär sind. Das politische Unvermögen, angesichts der sicherheits-, wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Herausforderungen einen Konsens über schmerzhafte Prioritäten zu finden, hat letztlich zum Scheitern dieser Koalition geführt. Dass der Kanzler in seiner Abrechnung mit Christian Lindner dessen Forderung nach Abschaffung des Solidaritätszuschlages attackierte, ist nur die halbe Wahrheit. Zur Wahrheit gehört auch, dass die SPD im Sozialbereich auf Bestandssicherung im Mindesten beharrte. Auch das ist Klientelpolitik.
Am vorzeitigen Ende der "Reformkoalition" sehen die Bürger einen Haufen Reformruinen. Wo es erste Fortschritte gibt – beim Ausbau der erneuerbaren Energien und bei der Wiederertüchtigung der Bundeswehr -, so sind diese von außen – durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine – erzwungen worden. Andere Anstrengungen zur Zukunftssicherung sind in den Ansätzen stecken geblieben: Investitionen in Bildung, Digitalisierung, Bürokratieabbau, öffentliche Infrastruktur, Wohnungsbau.
Das gilt auch für die dringend notwendigen Reformen im Gesundheitswesen, von denen das wichtigste und drängendste Vorhaben, die Neustrukturierung der Krankenhausversorgung wahrscheinlich erst einmal auf Eis liegt. Es ist kaum zu erwarten, dass, wenn der Bundesrat am 22. November den Vermittlungsausschuss anruft, noch vor dem vorzeitigen Ende der Legislaturperiode ein Vermittlungsverfahren ordnungsgemäß zu einem, Ende gebracht werden kann. Und die beiden zwingend notwendigen Ergänzungen – Reform der Notfallversorgung und des Rettungsdienstes – befinden sich noch in statu nascendi. Ebenso die zentralen ergänzenden Rechtsverordnungen, mit denen die Krankenhausreform erst planungs- und versorgungswirksam werden kann. Damit ist aber auch bis auf weiteres eine staatliche Subventionierung der Krankenhäuser für die Übergangsphase gescheitert, und es steht zu befürchten, dass im kommenden Jahr eine steigende Zahl von Kliniken in die Insolvenz gehen und damit ein ungeordneter Kapazitätsabbau stattfindet.
Zwar strebt Bundeskanzler Scholz an, in einer Minderheitsregierung und in der Hoffnung auf einen Kompromiss mit der oppositionellen Union noch zentrale politische Entscheidungen – Ausgleich der kalten Steuerprogression, Absicherung des Rentenniveaus, Umsetzung neuer EU-Regeln in der Asylpolitik, Pakt für die Industrie - mehrheitsfähig zu machen. Die Gesundheitspolitik zählt nicht mehr dazu. Und selbst das Minimalprogramm steht auf tönernen Füßen. CDU-Chef Merz fordert, dass der Kanzler spätestens in der nächsten Woche und nicht erst am 15. Januar die Vertrauensfrage stellt. Das Ziel: Neuwahlen so früh wie möglich im nächsten Jahr. Das Ende der glücklosen Ära Scholz könnte also rasch kommen.