Frauen menstruieren. Eigentlich sollte das kein Tabu mehr sein, ist es aber. Weltweit sind Frauen noch immer Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt. Mit schlimmen Folgen.
Während ihrer Periode hat Kamala Dhami immer Angst. In der kleinen fensterlosen Hütte, in der sich die 21-Jährige verstecken muss, könnte sie im Winter erfrieren, wenn sie auf dem Boden schläft, oder ersticken, wenn sie ein Feuer macht. Im Sommer könnten sie Schlangen beißen. Und dann sind da die betrunkenen Männer, die ab und zu kommen. Dhami lebt im Dorf Jayaprithvi in Nepal. Dort müssen Mädchen und Frauen in eine Menstruationshütte, wenn sie ihre Tage haben. Dhami sagt: "Wenn Frauen bluten, sind sie schmutzig. Und unser Gott mag Blut und Dreck nicht."
Geschätzte 1,9 Milliarden Frauen - ein Viertel der Weltbevölkerung - bekommen ihre Tage. Eigentlich sollte das kein Tabu-Thema sein. Doch das ist es in den meisten Regionen der Welt, oft mit schlimmen Folgen. Ob Menstruationshütten in Nepal oder Sex für Binden in Kenia, das Tabu um die Menstruation "führt zu Stigma und Diskriminierung gegen Mädchen und Frauen", erklärt Agnes Makanyi vom UN-Kinderhilfswerk.
In Nepal kann die Tradition der Menstruationshütte tödlich sein. Jedes Jahr sterben mehrere Frauen und Mädchen in den Hütten, etwa weil sie von Tieren gebissen werden oder zu viel Rauch einatmen. Eigentlich ist der Brauch seit 2018 verboten. Einer Studie im Fachblatt "Sexual and Reproductive Health Matters" zufolge war dies auch mehr als der Hälfte der betroffenen Frauen bewusst, viele hielten trotzdem daran fest. Für Forscherin Jennifer Thomson ist klar: Hilfsorganisationen müssen mehr tun, um das Stigma rund um die Menstruation zu bekämpfen.
Auch im ostafrikanischen Kenia ist die monatliche Blutung ein Tabuthema. Dort ist die Armut - mehr als ein Drittel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze - mit dem Schamgefühl rund um die Periode eng verknüpft. "Es ist so ein Tabu, dass man verstecken muss, dass man seine Tage hat", erklärt Camilla Wirseen von der Organisation The Cup. "Das bedeutet, dass Mädchen extreme Maßnahmen ergreifen, um an Binden zu kommen."
Eine Packung mit zehn Binden kostet in Kenia zwischen 50 und 120 Schillinge (0,45 bis 1,10 Euro). Bei dem Gedanken seufzt Melody Mmboga. Die 20-Jährige verdient 4.000 Schillinge im Monat. Das muss für sie und ihre einjährige Tochter Praise reichen. Hilfe bekommt sie von keinem, ihre Eltern sind bereits gestorben. "Manchmal ist das Leben so schwer, dann kann ich mir die 50 Schillinge für Binden nicht leisten. Dann benutze ich einfach Lumpen."
Lumpen, Kuhmist, Stofffetzen, Zeitungspapier, Federn, Schwämme, Toilettenpapier - Frauen in Entwicklungsländern nutzen alles Mögliche als Binden-Ersatz. Laut einer Studie von Penelope Phillips-Howard, einer britischen Expertin für öffentliche Gesundheit, benutzt ein Viertel der 3.400 befragten Kenianerinnen statt Binden andere Materialien. Viele Mädchen verpassen aus Scham oder Angst, man könne Blutflecken sehen, während ihrer Tage auch oft den Unterricht.
Von den Kenianerinnen, die Binden nutzen, zahlen einige einen hohen Preis: Sex. Weil sie sich keine Binden leisten können, wenden sich manche an Männer, die ihnen gegen Geschlechtsverkehr Geld geben. Manchmal sind es kurze Begegnungen, manchmal längere Beziehungen, in die sich Frauen begeben. Laut der Studie von Phillips-Howard haben 1,3 Prozent der Befragten Sex, um an Geld für Binden zu kommen. Bei den 15-Jährigen seien es zehn Prozent.
Auch in Indien hat das Menstruations-Stigma oft verheerende Nachteile für Mädchen. Etwa verpasst dort jedes vierte Mädchen nach Angaben der Behörden während ihrer Periode die Schule. Das liege vor allem an fehlenden Toiletten, sagt Aditi Gupta. Sie und ihr Ehemann haben die Firma Menstrupedia gegründet und einen Comic kreiert, der Kinder über Menstruation aufklärt und inzwischen nach eigenen Angaben in mehr als 7.500 Schulen genutzt wird. Denn aus Guptas Sicht hängt der Aberglaube rund um die Menstruation auch damit zusammen, dass viele Inder nicht wissen, warum Frauen jeden Monat bluten.
Inzwischen wird das Tabu im konservativen Indien immer öfter gebrochen. 2018 kam der Bollywood-Film "Padman" ("Binden-Mann") in die Kinos. Er erzählt die auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte eines Mannes, der günstige Binden erfand, die sich auch arme Frauen auf dem Land leisten konnten. Denn in Indien nutzen laut einer Behörden-Umfrage rund die Hälfte aller Frauen und Mädchen Lumpen, um das Monatsblut aufzufangen.
In Kenia ist Wirseen von der Organisation The Cup überzeugt, dass die Menstruationstasse viele Probleme lösen könnte. Der kleine Plastikbehälter, der in die Scheide eingeführt wird, ist wiederverwendbar und hält, wenn man ihn regelmäßig wäscht, mehrere Jahre. Die Organisation hat bislang laut Wirseen 20.000 Mädchen erreicht. Eine davon ist die 17-jährige Nancy Akinyi Muga. "Meine Mutter kaufte früher die Binden für mich", sagt sie. Das sei eine große finanzielle Belastung gewesen. Doch nun habe sie mit der Menstruationstasse keinen Bedarf an Binden mehr, sagt sie begeistert und zeigt den kleinen rosafarbenen Behälter. "Es hat wirklich mein Leben verändert!"
Auch in Deutschland ist der Umgang mit der Thematik Menstruation bis heute keinesfalls so natürlich, wie er eigentlich sein sollte. Von Umschreibungen wie "Erdbeerwoche" bis hin zu chauvinistischen Sprüchen wie "Hast du deine Tage?" im Fall einer Meinungsverschiedenheit zeigt sich, dass das Thema Regelblutung vielerorts entweder euphemistisch umschrieben oder schlimmstenfalls als Werkzeug zur Entziehung jeglicher Diskussionsgrundlage eingesetzt wird.
Auch wenn hierzulande die wenigsten Frauen grundsätzlich ein Problem damit haben, über die Menstruation zu sprechen, liefert eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Splendid Research aus dem Jahr 2019 unter mehr als 1.000 Frauen klare Einsichten, wie schambehaftet das Thema für manche noch ist: 15 Prozent der befragten Frauen empfanden ein Gespräch über die Periode als unangenehm, für knapp 11 Prozent sei der Erwerb von Hygieneartikeln problematisch.1
"Hygieneartikel" ist ein gutes Stichwort, um den auch in Deutschland noch problematischen Umgang mit der Menstruation einmal zu verdeutlichen. Hierzulande fallen Blumen und Hundekekse unter die Kategorie "Güter des täglichen Lebens" und werden mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent besteuert. Was diese Anmerkung in einem Kommentar zur Menstruation zu suchen hat? Für Binden und Tampons galt dieser ermäßigte Mehrwertsteuersatz bis vor kurzem nicht. Hierfür fielen in der Vergangenheit 19 Prozent an.2
Erst im November 2019 wurde per Gesetz beschlossen, dass der ermäßigte Steuersatz von nun an auch für Damenbinden und Tampons anfällt – diese zählen somit erst seit wenigen Monaten zu den Gütern des täglichen Bedarfs.3 Dass auch weitere Veränderungen im Umgang mit Regelschmerzen denkbar wären, zeigt eine politische Debatte aus dem italienischen Unterhaus im Jahr 2017. Hierbei wurde diskutiert, ob Frauen mit starken Menstruationsbeschwerden bis zu drei Tage bezahlter Urlaub zustehen sollte.4
Referenzen:
1. https://www.splendid-research.com/de/splendid-news/pressemitteilungen/item/menstruation-und-nachhaltigkeit.html
2. https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/menstruation-fuenf-ueberraschende-fakten-zu-den-tagen-a-1199202.html
3. https://www.focus.de/politik/deutschland/milliardenschweres-paket-verabschiedet-bundestag-beschliesst-ermaessigte-mehrwertsteuer-fuer-tampons-und-e-autos_id_11324553.html
4. https://taz.de/Tabuthema-Menstruation/!5429999/