Laut "Health Care Without Harm" können 30 bis 90 Prozent einer oralen Arzneimitteldosis als aktive Substanz ausgeschieden werden. Davon weisen 30 Prozent der aktiven pharmazeutischen Wirkstoffe eine geringe Bioverfügbarkeit auf. Schätzungen gehen davon aus, dass innerhalb der EU etwa 50 Prozent der nicht verwendeten Arzneimittel nicht der privaten Medikamentensammlung hinzugefügt, sondern entsorgt werden.
Entzündungshemmende Medikamente und Beruhigungsmittel sowie synthetische Hormone werden in großen Mengen konsumiert und somit folgenschwer der Umwelt ausgesetzt. Es gilt daher, besonders auf Wirkstoffgruppen zu achten, die potenziell schädliche Nebenwirkungen mit sich führen können. Zytostatika, die über zelltoxische Wirkung verfügen, oder Antibiotika, die die Entwicklung antibiotikaresistenter Bakterien fördern können, sollten daher nicht der gängigen Entsorgungspraxis über Toilette und Waschbecken zum Opfer fallen.
Arzneimittelrückstände, die in die Wasserversorgung gelangen, verteilen sich in Gewässern und auf landwirtschaftlichen Ackerflächen. Durch die Anreicherung in Gemüse und Fisch sowie im Trinkwasser wird der Mensch diesen Stoffen unbeabsichtigt ausgesetzt. Bereits geringe Konzentrationen können nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt haben. Dabei stellt sich die Frage, welche Folgen eintreten können, wenn der Mensch stetig über einen längeren Zeitraum hinweg geringen Konzentrationen von Arzneimittelrückständen ausgesetzt ist.
Bis zu 25 verschiedene Wirkstoffe und ihre Metaboliten wurden - laut Health Care Without Harm - auf der ganzen Welt im Trinkwasser gefunden. In Deutschland wurden überwiegend Lipidsenker und Analgetika im Trinkwasser nachgewiesen. Einige Länder Europas verwenden Abwasser zur Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen, wobei besonders bei Karotten und Salat die Fähigkeit nachgewiesen wurde, Chinolone aus den mit Klärschlamm gedüngten Böden aufzunehmen. Carbamazepin reichert sich im mit aufbereitetem Wasser behandelten Wurzelgewebe der Sojabohne an und gibt diese auf oberirdische Pflanzenteile ab.
Aufgrund der Bioakkumulation von pharmazeutischen Wirkstoffen in Fischen, wurde eine Anreicherung von Fluoxetin, Sertralin und weiteren Metaboliten nachgewiesen. Darüber hinaus wurden Fortpflanzungsstörungen bei Amphibien und Fischen, die in mit synthetischen Hormonen belasteten Gewässern leben sowie Nierenversagen aufgrund von entzündungshemmenden Medikamenten im Organsystem bei Vögeln wiederholt mit Feld- und Laborstudien nachgewiesen.
Obwohl die Spuren der Arzneimittelrückstände in der Umwelt deutlich unterhalb der therapeutischen Dosierung liegen, können diese dennoch nachteilige Auswirkungen für Mensch, Tier und andere Organismen haben. "Es reicht schon aus, dass sich an einem einzigen Ort resistente pathogene Mikroorganismen entwickeln. Dann sorgen übermäßiger Medikamentengebrauch, mangelnde Hygiene und eine hohe Reisetätigkeit für ihre Verbreitung", sagt Prof. Dr. Joakim Larsson der Abteilung Infektionskrankheiten des Instituts für Biomedizin an der Universität Göteborg, Schweden.
Da Ärztinnen und Ärzte über Dauer und Dosierung der Medikation entscheiden, kann eine sparsame und aufgeklärte Verschreibungspraxis dazu beitragen, die Menge ungenutzter Arzneimittel zu senken, die im Folgeprozess unsachgemäß entsorgt werden könnten. Folgende Maßnahmen können die Umweltbelastung durch pharmazeutische Wirkstoffe einschränken:
Verschreiben Sie Starterpakete bei neuen Medikamenten.
Empfehlen Sie die kleinstmögliche Packungsgröße und verschreiben Sie ein Folgerezept bei Bedarf.
Greifen Sie nach Möglichkeit auf vorbeugende Maßnahmen und nicht-medikamentöse Therapieverfahren zurück.
Seien Sie umsichtig mit der Verschreibung von Antibiotika.
Außerdem sollten Patienten über die Arzneimittelbelastung in der Umwelt informiert und über Möglichkeiten zur Reduzierung der Abfallmenge sowie über die sachgemäße Arzneimittelentsorgung umfangreich aufgeklärt werden. Einfache Hinweise für Patient:innen zur Verbesserung des Kauf- und Entsorgungsverhaltens sind wie folgt:
Bitten Sie Ihre Patienten, Medikamente nur bei Bedarf zu kaufen und die Vorratsbildung von Arzneien, die realistisch nicht vor dem Verfallsdatum verbraucht werden können, zu vermeiden.
Weisen Sie darauf hin, nicht verbrauchte Medikamente nicht über die Toilette oder andere sanitäre Einrichtungen zu entsorgen.
Informieren Sie sich über die korrekte Entsorgung und beraten Sie Ihre Patienten über sichere Entsorgungssysteme für Arzneimittel und Verpackungen.
Die Reduzierung ungenutzter Arzneimittel kann auch allgemein dem öffentlichen Gesundheitswesens hilfreich sein. Unter anderem wird somit die Gesundheitsleistung für Patient:innen verbessert, die Nutzung von Ressourcen des Gesundheitswesens und die Nachhaltigkeitsstrategie Ihrer Praxis oder Ihres Krankenhauses optimal unterstützt. Darüber hinaus werden die Kosten für das Gesundheitswesen und die Menge nicht verbrauchter Arzneimittel gesenkt. Ungeachtet dessen, hilft eine aufgeklärte Entsorgungspraxis das Bewusstsein für die Umweltbelastung durch Arzneimittel und -abfälle zu stärken und mögliche Fälle von Missbrauch und Vergiftungen einzuschränken.
Quelle:
Health Care Without Harm Europe: Wie Ärzte Helfen Können Reduzierung der Arzneimittelauswirkungen auf die Umwelt. Infobroschüre. 2014.