Anfangs als Wunderchemikalie, nun als nationale Krise mit lange unterschätzter Toxizität angesehen: Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS), wie sie in Antihaftbeschichtungen, Lebensmittelverpackungen u.v.m. vorkommen, sind kaum abbaubar und können unter anderem Krebs verursachen.
Die US-Umweltschutzbehörde (EPA) veröffentlichte im Oktober 2021 einen Plan zur Bewältigung der Umweltkontamination mit giftigen Chemikalien, insbesondere mit per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS), die in der Umwelt verbleiben, was zu schweren Gesundheitsschäden, einschließlich Krebs, führen kann, wie der 'Lancet Oncology' kürzlich berichtete.1
In der organischen Chemie gibt es keine stärkere Bindung als die zwischen Kohlenstoff und Fluor. Ketten aus Kohlenstoff und Fluor, wie die, aus denen PFAS bestehen, haben eine Halbwertszeit von Tausenden von Jahren, was ihnen den Namen "Ewigkeitschemikalien" eingebracht hat.2
Zu der Gruppe gehören über 4.700 Verbindungen mit unterschiedlichen Eigenschaften und Anwendungen. Einige sind mit ernsten Auswirkungen auf die Gesundheit in Verbindung gebracht worden. Die Environmental Working Group (EWG) nennt in ihrem "Leitfaden zur Vermeidung von PFAS" konkrete Produkte und namhafte Hersteller, aber die Liste von Konsumgütern und industriellen Anwendungen ist endlos. Es sind PFAS, die Kochgeschirr antihaftfähig machen (Teflon), die dafür sorgen, dass verarbeitete Lebensmittel gut aus ihrer Verpackung rutschen und auch die meiste wasserdichte oder schmutzabweisende Kleidung ist mit PFAS beschichtet (z. B. Gore-Tex, Polartec).2 Auch Beschichtungen für Böden (Scotchgard), Möbel und Teppiche oder Flammschutzmittel (in Einrichtungsgegenständen und Matratzen) enthalten ebenso PFAS wie zahlreiche Kosmetik- und Drogerieartikel (z. B. Glidefloss von OralB).
Laut EPA sind Menschen PFAS durch Lebensmittelverpackungen, die diese Chemikalien enthalten, durch Geräte, die bei der Lebensmittelverarbeitung verwendet werden, sowie durch kontaminierte Böden und Wasser, die zum Anbau der Lebensmittel verwendet werden, ausgesetzt.3 PFAS können aus der Atemluft aufgenommen werden, wenn sich Partikel von Teppichen, Kleidung und anderen Produkten lösen und mit anderem Staub in der Luft schweben.
Da PFAS-Chemikalien so weit verbreitet sind und die Umwelt auf so viele Arten kontaminieren, ist schwierig nachzuvollziehen, über welche Wege sie in das menschliche Blut gelangen. Doch ihr Vorhandensein im Blut, selbst Neugeborener, ist laut der CDC (Zentren für Krankheitskontrolle und Prävention) ein nahezu universellesPhänomen.4 PFOA und PFOS sind die am umfassendsten untersuchten PFAS-Klassen und Erhebungen haben gezeigt, dass PFOA im Blut von mehr als 98 % der US-Bevölkerung nachweisbar ist.5
Epidemiologische Studien haben Zusammenhänge zwischen der Exposition gegenüber bestimmten PFAS und einer Vielzahl von gesundheitlichen Auswirkungen aufgezeigt, darunter eine veränderte Immun- und Schilddrüsenfunktion, Lebererkrankungen, Lipid- und Insulinstörungen, Nierenerkrankungen, kardiovaskuläre Erkrankungen und pAVK sowie Krebs.5–7 Hierbei fällt auf, dass viele gesundheitliche Folgen für relativ wenige Beispielverbindungen festgestellt wurden und für Hunderte von anderen im Handel befindlichen PFAS keine Toxizitätsdaten vorliegen.
Im Mai diesen Jahres erschien außerdem ein Bericht im "The Guardian", der aufzeigt, dass großen Chemiekonzernen bereits 2009 Daten zur Gefährlichkeit bestimmter PFAS bekannt waren.8 Hierzu gehören kurzkettige Fluortelomeralkohole (FTOH), die zuerst fälschlich als besser abbaubare, sicherere Alternative vermarktet wurden.
Eines der größten Probleme hinsichtlich PFAS ist ihr Beitrag dazu, die menschliche Hormonfunktion zu stören und die Fertilität in alarmierendem Tempo zu dezimieren. Keine Geringere als Erin Brockovich (ja, die gleiche, die einst von Julia Roberts verkörpert wurde) schreibt: "Dies ist nichts weniger als ein absoluter Notfall für die Menschheit."9
Was meint sie damit? Ein Forscherteam um die preisgekrönte Umwelt- und Reproduktionsepidemiologin Prof. Shanna Swan, PhD, an der Icahn School of Medicine am Mount Sinai in New York, berichtete 2017 anhand einer Auswertung von 185 Studien an 45 Tsd. gesunden Männern, dass die Spermienzahl seit 1973 um fast 60% gesunken ist. Wenn es bezüglich Lebensstil und endokrinen Disruptoren in allen Bereichen unseres Alltags so weitergeht wie bisher und Swans Schätzungen korrekt sind, wird die mediane Spermienzahl bis 2045 die Nulllinie erreichen. Sie thematisiert all dies in ihrem renommierten Buch "Countdown". Dürfen wir das noch einmal sagen? Null.
Zwar haben sich Regulationsbehörden und Chemiegiganten darauf verständigt, die Herstellung bestimmter PFAS auslaufen zu lassen, doch erstens verschwinden sie damit in absehbarer Zeit nicht aus unserer Umgebung und zweitens kommen oft ebenso bedenkliche Alternativen nach.
Die Skin Deep® Datenbank der EWG und auch die Healthy Living App der EWG gehören zu den Quellen, die Verbrauchern helfen wollen, Produkte mit PTFE- oder Fluor- oder Perfluorverbindungen in der Inhaltsstoffliste zu meiden und gesündere Optionen zu finden. Von Lebensmitteln, über Reinigungsprodukte, bis hin zu Windeln wird im Labor der EWG vieles getestet.
Eingangs eines aktuellen Reviews schreibt der Umwelt- und Evolutionsbiologe Prof. Roberto Cazzolla Gatti, Ph.D., dass wir bei den therapeutischen Möglichkeiten für Krebs aktuell an eine Grenze stoßen und sieht das Vorsorgeprinzip eigentlich verletzt: "Neben unseren aktuellen gesundheitlichen Sorgen durch COVID-19 erscheint Krebs als eine länger währende und noch dramatischere Pandemie, die fast ein Drittel der Weltbevölkerung betrifft. [...] Das Hauptproblem ist, dass wir uns auf das Kämpfen eines schwierigen Kampfes konzentriert haben, anstatt ihn zu verhindern, indem wir seine Auslöser unterbinden. [...] Unser Wissen über die Zusammenhänge zwischen Umweltgiften und Krebs hat sich seit den 1980ern immens weiterentwickelt. Karzinogene in Wasser, Luft und Boden haben sich immer weiter überproportional angehäuft und in Anzahl und Dosis zugenommen, woraus das heutige Desaster resultiert. [...] Neue Erkenntnisse deuten darauf hin, dass nicht nur die Dosis, sondern auch der Zeitpunkt, zu dem wir Karzinogenen ausgesetzt sind, berücksichtigt werden muss." Er ist überzeugt, dass sich durch stärkere Erforschung der umweltbedingten Ursachen von Krebs viele Erkrankungen und deren Behandlungen vermeiden ließen und dass es dringend notwendig ist, "die veraltete petrochemische Industrie und Warenproduktion hinter sich zu lassen."10
Referenzen:
1. Das, M. Roadmap to deal with toxic chemicals in the USA. The Lancet Oncology 22, 1656 (2021).
2. Burki, T. PFAS: here today—here tomorrow. The Lancet Diabetes & Endocrinology 9, 811–812 (2021).
3. How Hazardous Is Your Home’s Air? www.theepochtimes.com https://www.theepochtimes.com/how-hazardous-is-your-homes-air_4041598.html (2021).
4. EWG’s Guide to Avoiding PFCs | Environmental Working Group. https://www.ewg.org/consumer-guides/ewgs-guide-avoiding-pfcs.
5. Shankar, A., Xiao, J. & Ducatman, A. Perfluorooctanoic acid and cardiovascular disease in US adults. Arch Intern Med 172, 1397–1403 (2012).
6. Fenton, S. E. et al. Per- and Polyfluoroalkyl Substance Toxicity and Human Health Review: Current State of Knowledge and Strategies for Informing Future Research. Environ Toxicol Chem 40, 606–630 (2021).
7. Kim, S., Thapar, I. & Brooks, B. W. Epigenetic changes by per- and polyfluoroalkyl substances (PFAS). Environ Pollut 279, 116929 (2021).
8. Perkins, T. Chemical giants hid dangers of ‘forever chemicals’ in food packaging. The Guardian https://www.theguardian.com/environment/2021/may/12/chemical-giants-hid-dangers-pfas-forever-chemicals-food-packaging-dupont (2021).
9. Brockovich, E. Plummeting sperm counts, shrinking penises: toxic chemicals threaten humanity. The Guardian https://www.theguardian.com/commentisfree/2021/mar/18/toxic-chemicals-health-humanity-erin-brokovich (2021).
10. Cazzolla Gatti, R. Why We Will Continue to Lose Our Battle with Cancers If We Do Not Stop Their Triggers from Environmental Pollution. Int J Environ Res Public Health 18, 6107 (2021).