Nur 5 Prozent der Augenverletzungen sind so schwer, dass lebenslang eine Behinderung zurück bleibt. Für die Betroffenen ein schwacher Trost. Doch wenn rechtzeitig gehandelt wird, können manche Beeinträchtigungen noch abgeschwächt werden. "Wie stark die Verletzung Berufsfähigkeit und Privatleben beeinträchtigt, hängt davon ab, wie schnell die Behandlung erfolgt",erklärt Professor Dr. med. Wolfgang Schrader, Chefarzt der Abteilung für Augenheilkunde an der Rotkreuzklinik Würzburg. Deshalb sollten Unfallopfer umgehend augenärztliche Hilfe aufsuchen. "Nur am Untersuchungsmikroskop kann entschieden werden, ob es sich um eine leichte oder eine ernsthafte Verletzung handelt", fügt der Sprecher der AG DOG-Traumatologie hinzu. Zumal auch eine scheinbar glimpflich verlaufende Augenverletzung noch Jahre später zu Folgekomplikationen wie Grünem Star, Grauem Star oder Netzhautablösung führen kann.
Verätzungen zählen zu den besonders ernsten Verletzungen, bei denen oft noch Jahre später Folgeoperationen nötig sind. Auslöser von Verätzungen sind heute neben Kalk und Natronlauge vor allem Industriereiniger, hochkonzentrierte Waschmittel und hochgiftige Flusssäure, die in Industrie und Wissenschaft Verwendung findet. "Im Fall von Verätzungen sind Erstmaßnahmen am Unfallort entscheidend", erklärt Schrader. Das bedeutet: Krankenwagen rufen und möglicherweise ätzende Partikel mechanisch aus dem Augen entfernen. "Dann sofort das Auge ausgiebig mit Wasser spülen, notfalls auch mit Limonade oder Bier", erläutert der DOG-Experte. Wenn anschließend das Auge noch 15 Minuten in der Klinik gespült wird, reduziert sich die Rate an schweren Verätzungen um 75 Prozent.
Während sich noch vor 100 Jahren die meisten Augenverletzungen am Arbeitsplatz ereigneten, passieren Unfälle heute zum überwiegenden Teil bei Freizeitaktivitäten, im Sport oder bei Heimwerkertätigkeiten. "In diesen Bereichen ließen sich durch relativ einfache Sicherheitsmaßnahmen 90 Prozent der Augenverletzungen vermeiden", erklärt Schrader. "Motorbetriebene Geräte für die Werkstatt und den Garten beispielsweise sollten nur mit geeignetem Augenschutz und Sicherheitshandschuhen verkauft werden."
Im Sportbereich gilt Squash als besonders gefährlich für die Augen. "Das liegt am ungünstigen Größenverhältnis des Balls, der nicht am Knochen aufprallt, sondern ungehindert zum Augapfel vordringen kann", erklärt Dr. med. Ameli Gabel-Pfisterer vom Klinikum Ernst von Bergmann in Potsdam. "Wir empfehlen deshalb eine Schutzbrille beim Squash, aber auch beim Golfen – wie es etwa in England oder in den USA bei Turnieren schon zwingend vorgeschrieben ist", setzt die DOG-Expertin hinzu. Opfer von Sportverletzungen der Augen sind zu 75 Prozent Männer.
Kinder und Jugendliche wiederum werden besonders häufig Opfer von Augenverletzungen durch Feuerwerkskörper. "Der Anteil der Heranwachsenden an diesen Unfällen beträgt 40 Prozent", berichtet Gabel-Pfisterer, die für die DOG regelmäßig Umfragen über Verletzungen durch Silvester-Feuerwerk in den deutschen Augenkliniken durchführt. "Bei Kindern sind meist Knallkörper die Ursache", setzt die Potsdamer Ophthalmologin hinzu. Ebenfalls alarmierend: Etwa die Hälfte aller Unfälle durch Böller & Co. trifft ZuschauerInnen und PassantInnen – also Unbeteiligte.
Rund ein Viertel aller Feuerwerks-Augenverletzungen sind schwer und müssen stationär behandelt werden. "Durch die Kombination von mechanischen, chemischen und thermischen Einwirkungen können Feuerwerkskörper zu schweren Oberflächenverletzungen, stumpfen Augenprellungen oder Zerreißungen des Augapfels führen, die trotz intensiver Therapie nur mit bleibenden Schäden abheilen", erläutert Gabel-Pfisterer. Eine Auswertung der Leipziger Universitäts-Augenklinik zeigt, dass PatientInnen mit schweren Feuerwerks-Augenverletzungen nach Abschluss der Behandlung nur eine mittlere Sehschärfe von zwanzig Prozent blieb.
Aus diesem Grund plädieren die deutschen AugenärztInnen wie viele ihrer internationalen KollegInnen für Präventionsmaßnahmen. "In Holland hat schon allein eine Verkürzung der Zeiten, in denen private Feuerwerke gezündet werden dürfen, zu einer Halbierung der Verletztenzahlen geführt", berichtet Gabel-Pfisterer. "Wir setzen uns für die Abgabe von Schutzbrillen beim Kauf von Feuerwerkskörpern ein, aber vor allem für eine Diskussion über ein Verbot privat genutzter Pyrotechnik", ergänzt DOG-Präsident Professor Dr. med. Hans Hoerauf. "Feuerwerk gehört in die Hände von Profis, dort ist es sicher", meint der Direktor der Augenklinik der Universitätsmedizin Göttingen.
Unterdessen hat die Augenchirurgie große Fortschritte bei der Versorgung schwerer Augenverletzungen gemacht. "Noch vor 40 Jahren wurden Augen, die kein Licht mehr wahrnehmen konnten, entfernt", berichtet Schrader, "heute können wir durch eine sorgfältige Rekonstruktion des Augeninneren, die unter dem Mikroskop mehrere Stunden dauert, sogar wieder ein orientierendes Sehvermögen erreichen." Voraussetzung ist, dass die Rekonstruktion innerhalb der ersten 100 Stunden nach der Verletzung vorgenommen wird. Über Neuerungen in Therapie und Diagnostik bei Augenverletzungen tauschen sich Fachleute der ISOT International Society of Ocular Trauma bei einem Joint Meeting mit Experten der DOG online aus.