Rund 50 Prozent der psychischen Erkrankungen beginnen im Jugendalter und sogar fast 75 Prozent in den ersten drei Lebensdekaden. Gerade Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 16 und 24 Jahren sind einer Reihe von Reifeprozessen und Lebensveränderungen ausgesetzt wie der Loslösung von den Eltern, dem Einstieg ins Studium oder Berufsleben sowie Erfahrungserweiterungen mit Drogen und Sexualität. Auch findet eine Reihe von einschneidenden biologischen Prozessen nicht zuletzt im Gehirn statt. Wie sollen Patienten dieser Altersgruppe betreut werden, wenn bei ihnen psychische Erkrankungen diagnostiziert werden? Wie kann ein nahtloser Übergang – Transition – aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie in die Erwachsenenpsychiatrie gelingen? Diesen und anderen Fragen widmeten sich die Teilnehmer und Referenten des Hauptstadtsymposiums der Fachgesellschaften DGPPN und DGKJP.
Dass die Transition in der Psychiatrie eine hohe Priorität genießen sollte, verdeutlichen Studienergebnisse: “Menschen zwischen 16 und 24 Jahren gehören zu den Hochrisikogruppen. Sie sind im Laufe ihres Lebens häufig von Armut, Obdachlosigkeit und sozialer Desintegration betroffen”, betonte Prof. Harald J. Freyberger, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Greifswald. “Auch sehen wir höhere Suizidtendenzen sowie verstärkten Missbrauch von Suchtmitteln.” Menschen mit psychischen Erkrankungen seien beim Übergang vom Jugend- in das Erwachsenenalter besonders gefährdet, durch die Maschen des Versorgungssystems zu fallen, was nicht zuletzt an unterschiedlichen Unterstützungssystemen liegt, die für Jugendliche und Erwachsene gelten. Zusätzlich gebe es diagnostische Unsicherheiten.
Eine bessere Koordination zwischen Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie der Erwachsenenpsychiatrie fordern deshalb die beiden Fachgesellschaften. Die Transitionsmedizin müsse gestärkt werden. “Die Adoleszenz stellt junge Menschen vor große Entwicklungsaufgaben. In dieser Zeit sind sie besonders vulnerabel, was psychische Erkrankungen anbelangt. Ohne die passende psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung können schon vorhandene Erkrankungen chronifizieren. Gleichzeitig steigt in dieser Lebensphase auch das Risiko für Psychosen, Persönlichkeitsstörungen oder affektive Erkrankungen”, stellte DGPPN-Präsidentin Dr. Iris Hauth aus Berlin fest.
Das medizinisch-therapeutische Hilfesystem sei auf diese besondere Patientengruppe bislang noch zu wenig eingestellt. “Junge Menschen benötigen Behandlungssegmente, die ihren speziellen Bedürfnissen gerecht werden. Doch oftmals sind weder die Angebote der Jugend- und Kinderpsychiatrie noch jene der Erwachsenenpsychiatrie passend, es bestehen zudem erhebliche Schnittstellenprobleme. Dabei benötigen adoleszente Patienten ein Umfeld, das ganz genau auf die entwicklungsspezifischen Herausforderungen eingeht – und zwar sowohl in Bezug auf das therapeutische Angebot wie auch auf das psychosoziale Setting. Für den Behandlungserfolg eines jugendlichen Patienten ist es enorm wichtig, dass er sich mit Gleichaltrigen austauschen kann und nicht nur mit Patienten, die 40 Jahre älter sind”, sagte DGKJP-Präsident Professor Tobias Banaschewski aus Mannheim.
Konkret wollen die beiden Fachgesellschaften eine Stärkung der Transitionsmedizin für Menschen mit psychischen Erkrankungen zum Beispiel mit der Entwicklung neuer ambulanter, teilstationärer, stationärer und komplementärer Versorgungsangebote erreichen. Gleichzeitig sollen transitionspsychiatrische Inhalte stärker in Aus-, Fort- und Weiterbildung integriert sowie Grundlagen-, Versorgungs- und Interventionsforschung vorangetrieben werden. “Jugendliche gehören zu den Gruppen, die am häufigsten eine Therapie abbrechen. Sie fühlen sich auf einer Station deplatziert und stigmatisiert”, betonte Hauth. Das müsse sich ändern.
Wie wichtig eine optimale Betreuung Adoleszenter zwischen 16 und 24 Jahren ist, zeigen exemplarisch die Erkrankungen Schizophrenie und ADHS. Eine Schizophrenie manifestiere sich häufig um das 18 Lebensjahr herum und eine verzögerte Behandlung könne mit einer Chronifizierung einhergehen, hieß es. Bei ADHS sei es ähnlich. “ADHS ist eine chronische Störung. 65 Prozent der Symptome bleiben bis zum Alter von 30 Jahren bestehen”, betonte Banaschewski.