2035 werden in Deutschland rund 11.000 Hausarztstellen unbesetzt sein, fast 40 Prozent der Landkreise werden unterversorgt oder von Unterversorgung bedroht sein. Dies geht aus einer Studie der Robert Bosch Stiftung hervor. Die Studie zeigt erstmals, welche Landkreise und Regionen vom Hausarztmangel am stärksten betroffen sein werden. Der Aufbau von Gesundheitszentren ist ein wichtiger Baustein einer Zukunftsagenda für das deutsche Gesundheitssystem, die am 17. Juni an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn übergeben wird.
Im Jahr 2035 werden bundesweit etwa 11.000 Hausärzte fehlen. Eine Studie der Robert Bosch Stiftung GmbH zeigt nun erstmals, welche Städte und Landkreise besonders von dem Hausarztmangel betroffen sein werden. Rund 40 Prozent aller Landkreise werden demnach unterversorgt oder von Unterversorgung bedroht sein, wie das Berliner IGES Institut im Auftrag der Stiftung für die Studie "Gesundheitszentren für Deutschland. Wie ein Neustart in der Primärversorgung gelingen kann" errechnet hat. Insbesondere für Bürger in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Baden-Württemberg könnte es künftig schwierig werden, einen Hausarzt zu finden. In einigen Landkreisen geht die Zahl der Hausärzte dort bis 2035 um rund 50 Prozent zurück.
"Im Extremfall müssen Patienten in unterversorgten Kreisen damit rechnen, in ihrem Umfeld keinen einzigen niedergelassenen Hausarzt zu haben", sagt Hans-Dieter Nolting, Versorgungsforscher und Geschäftsführer des IGES Instituts. Während der Hausarztmangel bislang vor allem in ländlichen Regionen als Problem bekannt ist, werden in absehbarer Zeit zunehmend auch städtische Gebiete betroffen sein. In einigen mittelgroßen Städten wird es 2035 rund 20 Prozent weniger Hausärzte geben, wie die Prognose zeigt.
Gründe für die drohende Versorgungslücke sind die Altersstruktur der derzeit praktizierenden Hausärzte und die berufliche Orientierung der nachwachsenden Ärztegeneration. Bis 2035 werden altersbedingt fast 30.000 Hausärzte ausscheiden. Die freiwerdenden Hausarztsitze werden Nachwuchsärzte und zugewanderte Ärzte nicht in gleicher Zahl besetzen. Das liegt zum einen daran, dass sich wenige Nachwuchsmediziner dafür entscheiden, sich als Hausarzt niederzulassen. Zum anderen bevorzugen junge Ärzte statt Einzelpraxen zunehmend Angestelltenverhältnisse und Teilzeitmodelle und wünschen sich eine stärkere multiprofessionelle Zusammenarbeit.
Gleichzeitig verändert sich der Bedarf an medizinischer Versorgung und Unterstützung in der Bevölkerung. Der demografische Wandel führt dazu, dass sich das Krankheitsspektrum verschiebt und es mehr ältere Menschen mit chronischen und Mehrfacherkrankungen geben wird. Diese brauchen häufig eine individuelle Unterstützung in allen Lebensbereichen, die über die medizinische Versorgung hinausgeht. Deshalb genügt es nicht, nur die Zahl der Hausärzte zu erhöhen.
Um den Herausforderungen zu begegnen, raten die Studienautoren zu einem möglichst raschen Umbau des Versorgungssystems. Die sogenannte Primärversorgung – also die Ebene, auf der die Menschen zuerst mit dem Gesundheitssystem in Kontakt kommen – nimmt dabei eine Schlüsselfunktion ein. "Ein wichtiger Baustein ist der Aufbau von lokalen, inhaltlich umfassenden Gesundheitszentren, in denen multiprofessionelle Teams von Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegenden mit anderen Gesundheitsberufen die Patienten bedarfsorientiert behandeln und optimalerweise deren familiäre und lebensweltliche Umstände kennen", sagt Doris Schaeffer, Professorin für Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld. Primärversorgungszentren können zudem einen Beitrag leisten, die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen in den Griff zu bekommen, da sie eng in die Kommunen eingebunden sind, eine effiziente Leistungserbringung ermöglichen und einen Fokus auf Prävention legen.
Wie solche Gesundheitszentren aussehen können, zeigen die 13 PORT-Zentren (Patientenorientierte Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung), deren Aufbau die Robert Bosch Stiftung seit 2017 fördert. "In den PORT-Zentren sehen wir, wie eine gut koordinierte Gesundheitsversorgung für die Bürger umgesetzt wird, verbunden mit Angeboten der Prävention und Gesundheitsförderung, die auf regionale Besonderheiten zugeschnitten ist. Sie bieten gleichzeitig attraktive Arbeitsbedingungen für pflegerisches und medizinisches Personal", sagt Bernadette Klapper, Bereichsleiterin Gesundheit der Robert Bosch Stiftung. Im Landkreis Reutlingen entsteht mit den beiden PORT-Zentren Hohenstein und Hülben sowie weiteren Einrichtungen derzeit eine ganze Modellregion. Mit deutschlandweit 1.000 Standorten könnte Hochrechnungen zufolge eine flächendeckende Primärversorgung durch Gesundheitszentren nach dem PORT-Konzept möglich werden.