Blutplasma kann viel bewirken: Besonders in der Behandlung chronischer oder seltener Krankheitsbilder kann das Plasma gesunder Spenderinnen und Spender für (lebens-)entscheidende Unterschiede sorgen. Doch obwohl Plasmaspenden weniger belastend als Blutspenden ausfallen, ist hinsichtlich der Spenderzahl noch deutlicher Aufholbedarf wünschenswert. Am Tag der Immunologie 2021 (29.04.) richtete das Forum Seltene Erkrankungen InFusion “Plasma - Power - Perspektiven” unter der Moderation von Dr. Eckart von Hirschhausen den Fokus auf genau diese Problematik. Zu Wort kamen Fachleute aus den Bereichen Medizin, Selbsthilfe, Politik, Krankenkassen und Recht. Die erste Stunde des virtuellen Forums widmete sich dabei der Patientenperspektive.
Eröffnet wurde die digitale Veranstaltung durch ein Grußwort von Dr. Dirk Hoheisel, Vice President & General Manager CSL Behring. Produkte aus Blutplasma seien einzigartig und entscheidend für die Erstellung von Essential Medicines, beispielsweise zur Behandlung chronischer Erkrankungen. Diese Art von Medizin ist für viele Patientinnen und Patienten lebensnotwendig, so Hoheisel. Das Problem dabei: Blutplasma werde von vielen Tausenden freiwilligen Spenderinnen und Spendern bereitgestellt, doch es ließe sich (nicht nur COVID-19-bedingt) eine abnehmende Spendenbereitschaft erkennen. Die Dringlichkeit von Blutplasma-Spenden sei großen Teilen der Bevölkerung allerdings überhaupt nicht bekannt, daher sieht Hoheisel hier akuten Handlungsbedarf.
Hier reiht sich auch Dr. Eckart von Hirschhausen, Arzt, Autor, Moderator und Impulsgeber der Veranstaltung, ein. Dabei lässt er zunächst Johann Wolfgang von Goethe zu Wort kommen: “Blut ist ein ganz besonderer Saft.” Heute, so von Hirschhausen, wisse man allerdings noch deutlich mehr darüber - auch über Blutplasma. Dieses biete die Möglichkeit, aus dem Blut gesunder Menschen “Waffen” beziehungsweise Abwehrmechanismen für chronisch Kranke oder Menschen mit Seltenen Erkrankungen zu gewinnen. Hierbei gehe es darum, beispielsweise bei Patientinnen und Patienten mit Hämophilie zu ersetzen, was fehlt. Doch obwohl Plasmaspenden pro Person bis zu 60x im Jahr durchgeführt werden könnten und weniger belastend als Blutspenden ausfallen, werden Spenderinnen und Spender händeringend gesucht, so der Moderator des Forums. Was sollte also getan werden, um einem Mangel an Blutplasma entgegenzuwirken? Hierzu ließ von Hirschhausen Vertretende unterschiedlichster Fachrichtungen zu Wort kommen.
Im ersten Teil der Veranstaltung liegt der Fokus dabei auf Plasma aus der Patientenperspektive. Andrea Meier-Neuer, Geschäftsführerin von dsai (Deutsche Selbsthilfe Angeborene Immundefekte e. V.) Schnaitsee, spricht in ihrem Vortrag über die “Sicherstellung der Versorgung von PatientInnen mit Blutplasmamedikamenten” und betont: Aufgrund rücklaufender Spenderzahlen wird die Versorgung mit entsprechenden Medikamenten langsam knapp. Die Geschäftsführerin der Patientenorganisation für angeborene Immundefekte berichtet zunächst über das Wirken der 1991 gegründeten Organisation mit rund 1.000 Mitgliedern. Die Aufgaben der dsai lägen in der Beratung und Betreuung von Patientinnen und Patienten mit angeborenen Immundefekten, der Aufklärung der Ärzteschaft sowie der Aufklärungsarbeit in der Öffentlichkeit, um das Seltene Krankheitsbild bekannter zu machen. Laut Meier-Neuer leben in Deutschland rund 5.000 Menschen mit angeborenem primären Immundefekt, die Dunkelziffer sei vermutlich viel höher. Eine wirkungsvolle Therapie liegt für diese Patientengruppe in einer intravenösen oder subkutanen Immunglobulin-Therapie. Dabei stelle die flächendeckende Versorgung ein großes Problem dar: Immunglobuline werden aus menschlichem Blutplasma produziert, die Spenderzahlen seien allerdings rückläufig. Dieser Effekt werde durch die COVID-19-Pandemie verstärkt. Gleichzeitig wachse der Bedarf aufgrund steigender Diagnoseraten und neuer Indikationen stetig an. Ein weiteres Problem: Blutplasma kann nicht synthetisch hergestellt werden, so Meier-Neuer.
Aus diesem Grund herrschten aktuell Lieferengpässe bei Immunglobulinen, drei Produkte stünden bereits auf der gelben Liste. Teilweise erfolge zudem keine Substitution, was bei einigen Patientinnen und Patienten eine durchgehende Therapie unmöglich mache - und schlimmstenfalls in Infekten oder Todesfällen ende. Außerdem stellt auch ein unfreiwilliger Wechsel des Präparats aufgrund unterschliedlicher Verträglichkeiten laut der dsai-Geschäftsführerin ein großes Problem dar. Das erklärte Ziel der Vereinigung liegt darin,, einen ausreichend hohen Immunglobin-Spiegel in Deutschland zu gewährleisten. Hier sieht Meier-Neuer auch die Politik in der Verantwortung. Da Plasma laut WHO zu den “Essential Medicines” gehöre, müsse auch für ausreichende Vorräte gesorgt werden. Hierfür sei es auch wichtig, eine gemeinsame europäische Lösung anzustreben - aktuell sammeln lediglich vier Länder in den “gemeinsamen Topf” - und die Abhängigkeit von den USA zu reduzieren. Außerdem müssten umfangreiche Aufklärungskampagnen genutzt und Spendenaufrufe durch Aufwandsentschädigungen attraktiver gemacht werden. Meier-Neuer resümiert: Entscheidend ist ein zukunftsfähiges Gesamtkonzept zur Plasmaversorgung.
Auch Prof. Dr. Volker Wahn stimmt überein, dass in der Versorgung mit Blutplasma akuter Aufholbedarf besteht. Unter dem Titel “Was muss die Bevölkerung über Plasma wissen?” berichtet der ehemalige Leiter der Sektion Infektionsimmunologie der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie und Immunologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin über Plasma und Plasmaproteine. Der Mediziner betont den vielseitigen therapeutischen Nutzen - von Albumin bis zu Gerinnungsfaktoren. Am Beispiel von IgG zeige sich, dass über unterschiedliche Produktionsprozesse eine Vielzahl unterschiedlicher Plasmaprodukte gefertigt werden könne. Der Produktionsprozess sei in jedem Fall sehr komplex, was letzten Endes dazu führe, dass der Weg von der Spende bis zur Empfangsperson einen Zeitraum von 7 Monaten bis zu einem Jahr in Anspruch nimmt. Verschiedene Produkte aus Blutplasma könnten dann bei unterschiedlichsten Krankheitsbildern wie Hämophilie, hereditärem Angioödem oder AAT-Mangel zum Einsatz kommen und verschiedensten Patientengruppen helfen.
Der Mediziner setzt sich im Rahmen seines Vortrags auch mit der Frage auseinander, ob Plasma auch durch Produkte mit unbegrenzter Verfügbarkeit, wie rekombinante Proteine oder monoklonale Antikörper, ersetzt werden kann. Hier betont Wahn, dass es im Hinblick auf Biotechnologie und Plasma bei unterschiedlichen Krankheitsbilder und Behandlungsverfahren Verschiedenes zu berichten gibt - von zugelassenen und nicht-zugelassenen bis hin zu (noch) nicht zugelassenen therapeutischen Alternativen. Polyvalente IgG-Präparate (bis 1016 Antikörpern) könnten allerdings vermutlich nur aus Plasma gewonnen werden. Somit seien Plasmaprodukte langfristig unverzichtbar - ohne Plasma-Spenderinnen und -Spender gibt es diese allerdings nicht, so Wahn. Menschen, die auf Spenden angewiesen sind, zu sagen, sie bekämen kein Blutplasma mehr, sei daher so, als sage man Patientinnen und Patienten mit Diabetes, sie bekämen kein Insulin mehr.
Mehr vom Forum Seltene Erkrankungen InFusion “Plasma - Power - Perspektiven”: Ab 30.04.2021 finden Sie hier die Sichtweisen aus den Bereichen Politik, Krankenkassen und Recht.
Quelle: Forum Seltene Erkrankungen InFusion “Plasma - Power - Perspektiven”; 29.04.2021