Wissenschaftlerinnen vom Deutschen Krebsforschungszentrum und der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg haben untersucht, welche Rolle die Lymphbahnen bei der Metastasierung von Krebszellen spielen. Sie wollten neue Möglichkeiten identifizieren, um die gefährliche Absiedlung und Ausbreitung von Tumorzellen zu blockieren.
Ein Antikörper gegen einen Botenstoff des Gefäßsystems lässt die Lymphbahnen im Tumor absterben, unterdrückt die Metastasierung und verlängert so das Überleben der Mäuse. Damit wurde ein neuer Ansatz aufgezeigt, wie zukünftig die Ausbreitung von Krebszellen ausgebremst werden könnte.
Genau wie gesundes Gewebe werden auch Tumoren von zwei unterschiedlichen Gefäßsystemen versorgt. Neben Blutgefäßen, die Sauerstoff und Nährstoffe liefern, sind die Lymphgefäße dafür verantwortlich, Zellen des Immunsystems und Gewebsflüssigkeit zu transportieren. Krebszellen können über beide Bahnen im Körper streuen und Tochtergeschwülste, sogenannte Metastasen, bilden. Nun wurde erstmalig an Mäusen untersucht, welchen Stellenwert die Route über Lymphgefäße hat und welche biologischen Mechanismen dabei eine Rolle spielen.
Die Untersuchung der komplizierten Architektur eines Tumors und seiner Ausbreitung in einem lebenden Organismus war bisher schwierig. Das Forschungsteam entwickelte ein geeignetes Modellsystem, bei dem Tumorgewebe einer Maus auf eine andere transplantiert wurde, ohne vorherige Zellkultur. Die natürliche Gewebsstruktur blieb erhalten und die Krebstumoren konnten funktionsfähige Lymphgefäße ausbilden, die Anschluss an das Lymphsystem erhielten – Voraussetzung für eine lymphogene Metastasierung.
Das bestätigt: Krebszellen wandern häufig über die Lymphgefäße zunächst in nahe Lymphknoten und metastasieren dort in lebenswichtige Organe. Durch die operative Entfernung des Primärtumors konnte eine Krankheitssituation simuliert werden, die der eines Krebspatienten nach der Operation entsprach: Tochtergeschwülste und nicht der Primärtumor wurden entscheidend für das Überleben.
Um einen Weg zu finden, der das Entstehen von Metastasen verhindert, untersuchte das Forschungsteam auch die Zellen, die die Lymphgefäße von innen auskleiden, die Lymph-Endothelzellen. Endothelzellen steuern viele wichtige Eigenschaften der Blut- sowie der Lymphgefäße und produzieren zahlreiche Botenstoffe und Wachstumsfaktoren. Der Botenstoff Angiopoietin 2 sichert das Überleben von Lymph-Endothelzellen in Tumoren. Ein Antikörper, der Angiopoietin-2 blockiert, ließ die Lymphgefäße im Tumor selektiv absterben. Das unterbrach die Transportwege für sich ablösende Krebszellen und verhinderte eine Ausbreitung in nahegelegene Lymphknoten. Es bildeten sich weniger Tochtergeschwülste in weiter entfernten Organen und die Mäuse überlebten signifikant länger.
Oft bleiben nach einer Krebsoperation bösartige Zellen im Körper, durch die der Krebs zurück kommt. "Überraschenderweise konnten wir bei den Mäusen die Ausbreitung der Tumoren selbst dann effektiv verhindern, wenn wir Angiopoietin-2 erst kurz vor der Tumoroperation blockierten", sagt Studienleiter Hellmut Augustin. "Noch allerdings haben wir nur in Versuchstieren zeigen können, dass die Angiopoietin-2-Blockade in diesem Behandlungsfenster eine therapeutische Wirkung hat. Ob dieser Ansatz auch beim Menschen gegen die Ausbreitung von Tumoren hilft, muss in weiteren Untersuchungen geklärt werden."
Quelle: Nicolas Gengenbacher, Mahak Singhal, Carolin Mogler, Ling Hai, Laura Milde, Ashik Ahmed Abdul Pari, Eva Besemfelder, Claudine Fricke, Daniel Baumann, Stephanie Gehrs, Jochen Utikal, Moritz Felcht, Junhao Hu,Matthias Schlesner, Rienk Offringa, Sudhakar R. Chintharlapalli, Hellmut G. Augustin: Timed Ang2-targeted therapy 1 identifies the Angiopoietin-Tie pathway as key regulator of fatal lymphogenous metastasis. Cancer Discovery 2020, DOI: 10.1158/2159-8290.CD-20-0122