Reichen die Einschränkungen in Deutschland, um Krankenhäuser vor einem Corona-Kollaps zu bewahren? Vor den neuen Beratungen bei der Kanzlerin schlägt die Bundesärztekammer Alarm.
Vor den Beratungen von Bund und Ländern zur Corona-Lage in Deutschland fordert der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, eine stärkere Unterstützung für die Krankenhäuser. Viele Kliniken in Regionen mit zahlreichen Infektionen hätten bereits jetzt die Belastungsgrenze erreicht, sagte Reinhardt. Zudem müssten die ÄrztInnen und Pflegekräfte besser vor Corona-Infektionen geschützt werden. An Nachmittag des 16.11. beraten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die MinisterpräsidentInnen erneut über die Pandemielage.
Mehrere Klinikarzt-Organisationen hatten den Krankenhäusern am Wochenende vorgeworfen, trotz drohender Corona-Enpässe an verschiebbaren Behandlungen festzuhalten - und zwar aus Umsatzgründen. Der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, hatte am 15.11. hingegen gesagt: "Die Kliniken fahren schon je nach regionaler Situation die Regelversorgung schrittweise zurück."
Aus Sicht von Reinhardt ist weitere Hilfe für die Kliniken durch Bund und Länder bei der Bewältigung der zweiten Welle zentral. "Die Maßnahmen des Lockdown-light mögen das exponentielle Wachstum der Pandemie in Deutschland bremsen", so der Ärztepräsident. Für die Sicherstellung der Behandlung der zahlreichen COVID-19-Erkrankten seien aber mehr personelle Ressourcen auch auf den Intensivstationen nötig. "Deshalb müssen wir jetzt entscheiden, wie wir mit planbaren Eingriffen umgehen", verlangte Reinhardt. In medizinisch vertretbaren Fällen müssten diese notfalls verschoben werden.
Reinhardt machte sich für verstärkte Kooperation zwischen den Kliniken stark, um möglichst wenige Behandlungen verschieben zu müssen. Freie Kapazitäten müssten genutzt werden. Auch andere PatientInnen müssten möglichst voll versorgt werden. Die Länder sollten entsprechende Maßnahmen ergreifen. Bis zum Ende der Pandemie müssten die Länder diese auch finanzieren.
Einen Einsatz von ÄrztInnen und Pflegekräften mit einer Ansteckung lehnte Reinhardt ab. "Coronainfizierte Ärzte gehören in Quarantäne und nicht ans Krankenbett." Der Einsatz von symptomfreien positiv getesteten Beschäftigten in der Patientenversorgung wäre für die MitarbeiterInnen enorm belastend und mit einem erheblichen Aufwand verbunden. "Wir sollten alles dafür tun, dass uns solche letzten Maßnahmen zur Abwendung einer Versorgungsnotlage auf den Intensivstationen erspart bleiben."
Ein Sprecher der Gewerkschaft Verdi hatte gesagt, es seien nicht mehr nur Einzelfälle, in denen coronainfizierte Pflegekräfte in Deutschland zur Arbeit müssten. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte zuvor gesagt, dies sei in Ausnahmefällen vorgekommen. Beim Robert Koch-Institut heißt es zu infiziertem Personal: "In absoluten Ausnahmefällen ist die Versorgung nur von COVID-19-Patientinnen und -Patienten denkbar."
Der Ärztepräsident dringt auf konsequenten Schutz der Beschäftigten vor Ansteckungen. Mindestens 21.000 Beschäftigte in Krankenhäusern, Arztpraxen und anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens hätten sich seit Beginn der Pandemie mit Corona infiziert. Aktuell seien es 1.700 MitarbeiterInnen. "Hier muss dringend etwas passieren."
MitarbeiterInnen in den Kliniken meldeten, dass für engmaschige Testungen von ÄrztInnen und Pflegepersonal die Kapazitäten fehlten, berichtete Reinhardt. "Bund und Länder müssen hier nachjustieren und die Produktion von Antigentests massiv fördern." Diese Schnelltests liefern nach rund einer halben Stunde ein Ergebnis. Für mehr Klarheit über die Aussagekraft der Tests braucht es nach Einschätzung des Ärztepräsidenten mehr öffentliche Forschung.
Die ÄrztInnen wollen verstärkt Empfehlungen für die Corona-Politik von Bund und Ländern geben. Auf Initiative der Bundesärztekammer hatte sich dazu ein ärztlicher Pandemierat aus Vertretern medizinischer Fachgesellschaften und des öffentlichen Gesundheitsdienstes gebildet.