Basierend auf den Beschlüssen der Gesundheitsministerkonferenz und den Feststellungen und Forderungen des Expertenrats der Bundesregierung haben Bundeskanzler Olaf Scholz und die Ministerpräsident:innen die Fortgeltung der bisherigen Kontaktbeschränkungen und Vorsichtsregelungen bestätigt. Regelungen für Großveranstaltungen sollen bundesweit vereinheitlicht werden. Geplant ist eine Informations- und Werbekampagne für Impfungen. Gesundheitsminister und Fachleute sind vor dem Hintergrund der weiter steigenden COVID-19-Infektionen besorgt, dass Krankenhäuser an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen und die kritische Infrastruktur wie etwa die Polizei überlastet werden können. PCR-Tests sollen priorisiert werden, das Bundesgesundheitsministerium soll eine neue Teststrategie erarbeiten. Scharfe Kritik übte der Expertenrat der Bundesregierung an der schleppenden Digitalisierung im Gesundheitswesen und speziell im ÖGD. Kanzler und Ministerpräsident fordern die Gesundheitsminister auf, sich zeitnah mit den Empfehlungen des Expertenrats zu befassen.
"Kurs halten" – das ist die Devise der Bundesregierung und der Ministerpräsident im weiteren Umgang mit rasant steigenden Infektionszahlen. Wenn eine Überlastung des Gesundheitssystems drohe, seien weitergehende Maßnahmen zur Infektionskontrolle möglich. Andererseits soll auch eine Öffnungsperspektive erarbeitet werden.
Weitere Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz:
Am Wochenende hatte die Gesundheitsministerkonferenz eine Überlastung der medizinischen Labore konstatiert. PCR-Tests sollen nun für besonders vulnerable Gruppen sowie für Personal in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen priorisiert werden. Menschen mit einem positiven Schnelltest ohne Symptome haben keinen Anspruch mehr auf einen PCR-Test. Diese sollen dann durch hochwertige Antigentests ersetzt werden.
Aufgrund der Überlastung der Gesundheitsämter soll die Kontaktnachverfolgung auf besonders gefährdete Personen konzentriert werden, etwa Personen im Gesundheitswesen. Andere Personen sollten eigenverantwortlich Menschen, die mit ihnen Kontakt hatten, informieren.
Die Gesundheitsminister der Länder erwarten in den nächsten Wochen eine steigende Belastung der Krankenhäuser: "Trotz des ... milderen Krankheitsverlaufs ist damit zu rechnen, dass die Krankenhäuser insbesondere auf peripheren Stationen durch höheres Patientenaufkommen und Corona-bedingte Personalausfälle überdurchschnittliche beansprucht werden." Dazu erwarten die Ländergesundheitsminister Unterstützung des Bundesgesundheitsministeriums für die Krankenhäuser:
Die sich abzeichnende erhöhte Belastung der vertragsärztlichen Versorgung, insbesondere der Hausärzte, die aufgrund des milderen Verlaufs der Omikron-Variante bei der Diagnostik und insbesondere der Therapie schon derzeit und in den nächsten Wochen weitaus stärker als in allen vorangegangenen Pandemiewellen herausgefordert sein werden, war nicht Gegenstand der Konferenz der Gesundheitsminister und der Ministerpräsidenten.
So rechnet der Vorsitzende des Hausärzteverbandes Nordrhein, Oliver Funken, mit Sieben-Tage-Inzidenzen von bundesweit über 2.000. In vorderster Front stünden dabei Hausärzte und ihre Teams, die bei positiven Schnelltests diagnostische Abklärung leisten und über die Priorisierung von PCR-Tests entscheiden müssten. Praxen seien der zentrale Ansprechpartner, insbesondere auch in Fragen der Aufklärung über Kontaktbeschränkungen. Nach Funkens Angaben tragen die Allgemeinärzte 70 Prozent der Versorgungslast. Die zusätzliche Arbeit müsse auch in der Vergütung abgebildet werden.
Der Expertenrat der Bundesregierung hatte am 22.01. sein drittes und viertes Votum veröffentlicht. Zur aktuellen Lage und Entwicklung heißt es darin: In der Spitze könnten Inzidenzen von mehreren 1.000 erreicht werden. Für die Krankenhausbelastung entscheidend werde der Anteil der ungeimpften Erwachsenen und der über 50-Jährigen sein; bei den Älteren bestehe noch eine zu große Impflücke. Zwar sei die Hospitalisierungsrate niedriger als in der Delta-Variante; sie müsste aber um den Faktor 10 niedriger sein, um die erwartet hohe Fallzahl zu kompensieren und das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Davon sei nicht auszugehen. Ferner sei mit Kapazitätseinschränkungen aufgrund infektionsbedingter Personalausfälle in Kliniken und Lieferengpässen bei medizinischen Gütern zu rechnen. "Dies kann relevante Gefährdungen bei der Versorgung von Patienten mit anderen Krankhiten zur Folge haben", heißt es in dem einstimmigen Votum.
Die vierte Stellungnahme befasst sich außerordentlich kritisch mit der Entwicklung der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Auch zwei Jahre nach Beginn der Pandemie bestehe in Deutschland kein Zugang zu einigen wichtigen aktuellen Versorgungsdaten. Nur in einem Teilsegment sei es durch das Intensivregister gelungen, in Deutschland Echtzeit-Daten zur Belegung der Intensivstationen zu generieren. Gravierend wirke sich aber aus, dass Deutschland bisher nicht über eine patientenindividuelle Datenerfassung und anonymisierte Auswertung durch eine elektronische Patientenakte verfüge. Für evidenzbasierte Versorgungsentscheidungen würden insbesondere aktuelle Hospitalisierungsraten in allen Altersgruppen dringend benötigt. Die Erfassung von Echtzeitdaten könne zum einen das Ausmaß der Ressourcenbelastung abbilden und zum anderen patientenindividuelle Daten zu Schwere und Krankheitsverlauf abbilden.
Gegenwärtig stütze sich Deutschland bei der Einschätzung der Omikron-Variante vorrangig auf ausländische Untersuchungen, etwa aus Dänemark, UK und USA, deren Übertragbarkeit aufgrund von unterschiedlichen Impfquoten, Seroprävalenzen, Altersstruktur und Gesundheitssystemen limitiert sei und die Möglichkeit von Fehleinschätzungen impliziere. Dazu Professor Alena Buyx, die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, die Mitglied des Expertenrats ist: "Wir haben ein unheimliches Datendefizit im Vergleich zu anderen Ländern." Das erkläre auch die derzeit vagen Aussagen und Prognosen hinsichtlich des weiteren Verlaufs der Pandemie, sagte Buyx am 23.01. bei "Anne Will".
Zur Vorbereitung auf den Winter 2022/23 müsse die elektronische Patientenakte mit vollständigen Gesundheitsdaten realisiert werden. Ferner sei die Digitalisierung des ÖGD weiterzuentwickeln.