Bundestag: Organspende und Schwangerschaftsabbruch auf der Agenda

Der Bundestag debattiert über die Widerspruchslösung zur Organspende und die Streichung des Abtreibungsparagrafen.

Entscheidungsfindung im Bundestag: Organspende und Abtreibung im Fokus

Es sind Themen, die in Gesellschaft und Politik, aber auch in der Ärzteschaft, kontrovers diskutiert werden und aufgrund ihrer ethischen Dimension im Konflikt mit mehreren Grundrechten kaum eindeutig entschieden werden können: das eine ist die Ablösung der erst 2020 eingeführten Entscheidungslösung bei der Organspende als Ergänzung zur Zustimmungslösung durch dien Widerspruchslösung, das andere ist die Streichung des Abtreibungsparagrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch nicht zuletzt vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren größer gewordenen Versorgungslücken durch niedergelassene Ärzte und auch Krankenhäuser.

Beide fraktionsübergreifenden Gesetzentwürfe wurden am Donnerstagabend in jeweils gut einstündiger Debatte kontrovers, teils auch emotional in erster Lesung beraten und in den Gesundheitsausschuss sowie, was die Streichung des Paragrafen 218 angeht, auch in den Rechtsausschuss überwiesen. Ob die Ausschüsse es noch schaffen werden, beide strittigen Gesetzentwürfe bis zur letzten Sitzungswoche des Bundestages im Januar in die letzte zweite und dritte Lesung zu bringen, ist jedoch ungewiss. Für beide Vorhaben sahen Debattenredner noch einen erheblichen Diskussionsbedarf insbesondere auch mit Vertretern aus Ethik, Recht und Medizin, während andere betonten, dass beide Themen seit Jahren in allen ihren Facetten vielfach ausgeleuchtet worden seien und es Zeit für eine politische Willensbildung sei.

Die Initiatoren der Widerspruchsregelung für die Organspende begründen ihren Gesetzentwurf damit, dass die Einführung der Zustimmungslösung und eines Organspendenregisters trotz aller Aufklärung erfolglos geblieben sei. Die Zahl der Organspender (2023: 865) stagniere nahezu, 8400 Patienten stehen auf der Warteliste für eine Transplantation, die Wartezeit liege bei über acht Jahren, jeden Tag versterben drei Menschen auf der Warteliste. Zugleich nimmt Deutschland in erheblichem Umfang durch Bereitstellung von Spenderorganen aus dem Ausland die Solidarität jener Länder wie Spanien mit einer Widerspruchslösung in Anspruch, wo die Zahl der Spenderorgane fünfmal höher ist als in Deutschland. Seit 2010 ist die Widerspruchslösung auch Mehrheitsauffassung der verfassten Ärzteschaft auf Basis entsprechender Beschlüsse des Ärztetages.

Die Plädoyers dreier Ärzte  

Die Initiatoren der Widerspruchslösung sehen den Eingriff in das Recht auf Selbstbestimmung als vertretbar an. Sie halten es für zumutbar, dass Bürger Zeit ihres Lebens grundsätzlich von der Möglichkeit eines niedrigschwellig und nicht begründungspflichtigen Widerspruchs Gebrauch machen, wenn sie nicht Organspender sein wollen. Die Grundrechte von Menschen, die sich aufgrund persönlicher Umstände nicht durch einen Widerspruch äußern können, sollen dadurch gewahrt bleiben, indem eine Organentnahme unzulässig ist, wenn der Spender in einem erheblichen Zeitraum vor der Spende nicht einwilligungsfähig war. Bei Minderjährigen müssen weiterhin die Eltern zustimmen, es sei denn, der Minderjährige hat sich eindeutig erklärt.  

Etliche Ärzte unter den Abgeordneten plädieren auf Basis eigener Erfahrungen oder unter Bezug auf die von Kollegen vehement für die Widerspruchslösung. Karl Lauterbach sagte, er habe schon vor fünf Jahren bei der Debatte um die Entscheidungslösung deren Scheitern vorhergesagt. Die Widerspruchslösung sei eine notwendige, allerdings keine hinreichende Bedingung, mehr Organspenden zu erhalten. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit könne jedenfalls nicht bedeuten, von Bürgern zu verlangen, dass sie sich im Falle eines Widerspruchs diesen auch äußern.

Professor Armin Grau und Dr. Janosch Dahmen (beide Bündnis 90/Die Grünen) argumentieren aus der eigenen Erfahrung mit Angehörigengesprächen, wie überfordert diese Menschen damit sind, angesichts des sicheren Todes womöglich des eigenen Kindes die Verantwortung für dessen mutmaßliche Haltung zur Organspende zu übernehmen.

Namens des Bundesrates, der im Frühjahr mit großer Mehrheit eine Initiative für die Widerspruchslösung verabschiedet hatte, plädierte Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl Josef Laumann für eine rasche Entscheidung noch in dieser Legislaturperiode. Laumann wies auch darauf hin, dass Deutschland derzeit von der Solidarität jener Länder profitiere, in denen die Widerspruchslösung gilt. „Die Organspende ist der größte Liebesbeweis gegenüber der Gesellschaft“, sagte der Minister.

Ganz anders hingegen sah das der AfD-Abgeordnete Martin Siebert. Mit der Widerspruchslösung werde sozialistisches Gedankengut weiter gestärkt und die Idee von einem „Volkskörper“ reanimiert, aus dem sich der „Staat als Ersatzteillager bedienen“ könne. Das werde gerade jetzt von solchen kinderlosen Frauen – so Siebert unter Nennung konkreter Parlamentarierinnen – vehement gefordert, die  sich in den 1970er Jahren für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs stark gemacht hätten. Der Abgeordnete erhielt dafür einen Ordnungsruf.

Sachlich argumentierten dagegen Abgeordnete anderer Fraktionen vor allem mit möglichen Unsicherheiten bei solchen Personen, die zu Lebzeiten nicht in der Lage seien, einen Widerspruch zu dokumentieren. Das gelte nicht nur für psychisch Kranke, so die Ärztin Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), sondern auch für Analphabeten, Bürger, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, oder für Obdachlose. Das System der Organspende setzte Vertrauen auch in die Geltung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit voraus – und das werde durch die Widerspruchslösung beeinträchtigt. Andere Abgeordnete verwiesen auf die verbleibende nach ihrer Ansicht zu kurze Beratungszeit und plädierten für einen erneuten breiten gesellschaftlichen Diskurs.

Selbstbestimmung gegen Lebensrecht

Das gleiche Argument wurde auch in der Debatte um die Streichung des Paragrafen 2018 bemüht. Die Befürworter eines dazu vorliegenden Gesetzentwurfs, der interfraktionell schon lange beraten wird und ein Kompromiss ist, betonten einerseits das Recht auf Selbstbestimmung und Nichtdiskriminierung von Frauen in Konfliktsituationen. Darüber hinaus machten sie geltend, dass die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und Aktivitäten radikaler Lebensschützer dazu geführt hätten, dass immer weniger Ärzte diese Leistung erbringen und auch etliche Krankenhäuser nicht mehr dazu bereit sind. In manchen Regionen wie Bayern, Baden-Württemberg und Teilen von Nordrhein-Westfalen sei die Versorgung kritisch. 

Die Befürworter des geltenden Rechts – Kriminalisierung, aber keine Pönalisierung – wiesen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und insbesondere auf den Schutz ungeborenen Lebens als grundgesetzlich geschütztes Rechtsgut hin, hinter dem das Recht auf Selbstbestimmung insoweit zurückstehen müsse, als Frauen eine Beratung mit anschließender dreitägiger Bedenkzeit vor einem Abbruch zumutbar sei.