Obgleich medizinischer Cannabis in den USA in der Gesetzgebung vieler Bundesstaaten für die komplementäre Onkologie indiziert ist, gibt es bisher keine oder nur sehr wenige Studien, die dies auch wissenschaftlich untermauern würden. Dort wo medizinische Fakten fehlen, übernehmen meist Intuition und Wunsch das gemeinsame Zepter. Auch in Deutschland können wir uns diesem Trend seit Öffnung des Medizinmarktes für Cannabis nur schwer verwehren – ein unvernebelter Blick über den großen Teich.
Im November 2016 sandte ein Forscherteam um Ilana M. Braun vom Dana-Farber Cancer Institute in Boston Fragebögen zur Verschreibungspraxis beim medizinischen Cannabis an 400 zufällig ausgewählte Onkologen in den USA. Ziel dieser repräsentativen Umfrage war es, herauszufinden, ob sich Onkologen generell gut informiert fühlten zum Thema Cannabis und Krebs, ob sie ihr Wissen mit den Patienten teilten und diskutierten und – besonders wichtig –, ob sie Cannabis innerhalb des vergangenen Jahres verschrieben hätten.
Darüber hinaus sollten die Teilnehmer im Laufe der Befragung einschätzen, inwieweit Cannabis bei konkreten Erkrankungen hilfreich sei, so z. B. in der Schmerzbehandlung. Verglichen wurde aber auch, ob die Ärzte Cannabis für gefährlicher als Opiate hielten oder für weniger riskant. Die statistische Auswertung der erhobenen Daten erfolgte mittels bi- und multivariater Analysen.
Der Rücklauf der ausgesandten Fragebögen betrug 63 %, rund zwei Drittel der Onkologen äußerten sich also zur Nutzung von Cannabis in ihrer onkologischen Praxis. Das Interessante: Lediglich ein knappes Drittel der Ärzte gab an, ausreichend gut informiert zu sein, um tatsächlich fundierte Empfehlungen an die Patienten weitergeben zu können.
Acht von zehn Onkologen diskutierten allerdings über den Cannabis-Einsatz in der Onkologie mit ihren Patienten und fast jeder Zweite (46 %) empfahl schließlich die Anwendung zur unterstützenden Tumortherapie.
Zwei Drittel der Befragten (67 %) waren sich sicher, dass Cannabis eine hilfreiche Ergänzung zum Schmerzmanagement darstellt. Bis zu 65 % gaben zudem an, dass sie medizinischen Cannabis für gleich gut oder sogar besser geeignet als konventionelle Medikamente hielten, um eine tumorbedingte Anorexie oder Kachexie zu therapieren.
Die Studie offenbarte eine durchaus risikoreiche Abweichung der Selbsteinschätzung der Onkologen – nach der die Mehrheit (70 %) sich eher zu schlecht über den Nutzen von Cannabis informiert sah – von der Praxisrealität, in der nahezu jeder zweite Befragte medizinischen Cannabis verordnete.
Klinisch sind die Ergebnisse dieser Befragung aus den USA durchaus ebenso für Deutschland relevant. Die kritischen Lücken im Wissen um die Wirkungsweise und Effektivität von medizinischem Cannabis in der Onkologie können mittelfristig nur mithilfe von Studien und Weiterbildungsangeboten geschlossen werden.
Denn Cannabis ist gemäß gegenwärtigem Wissensstand eines ganz sicher nicht: Ein Wunder- oder Allheilmittel in der Tumortherapie! Als ein solches wird es jedoch von so manchem hoffnungsvollen Patienten gern gesehen und verteidigt. Begegnen Sie diesen Patienten stattdessen mit Fachwissen und klären Sie sie fundiert auf.
Quelle:
Braun IM et al., Medical Oncologists’ Beliefs, Practices, and Knowledge Regarding Marijuana Used Therapeutically: A Nationally Representative Survey Study. J Clin Oncol 2018; https://doi.org/10.1200/JCO.2017.76.1221