Wer eine Covid-19-Erkrankung hinter sich hat, ist oft noch lange nicht gesund. Eine Sprechstunde der Uniklinik in Ulm richtet sich an Menschen mit Langzeit-Beschwerden. Erste Erkenntnisse des Forschungsprojekts fallen deutlich aus.
In den Corona-Lageberichten steht für sie nur dieses eine Wort: Genesen. Doch viele Menschen, die eine Covid-19-Erkrankung hinter sich haben, sind alles andere als gesund. Je länger die Pandemie dauert, desto mehr rücken die Spätfolgen für Erkrankte in den Vordergrund. Ein Forschungsprojekt der Universitätsklinik Ulm beschäftigt sich bereits seit Anfang des Jahres mit den Langzeitfolgen einer Covid-19-Erkrankung für Herz und Lunge.
Die Ulmer Spezialisten für innere Medizin haben dazu im Februar eine Sprechstunde für Betroffene eingerichtet. Das Angebot sei gigantisch angenommen worden, freut sich der betreuende Oberarzt Dominik Buckert von der Spezialambulanz für Covid-Spätfolgen an Lunge, Herz und Gefäßen. Zu Beginn habe es mehr als 1.000 Anfragen in einer Woche gegeben. Während die meisten Patient:innen aus der Region kamen, gab es laut Buckert etwa auch Anfragen aus der Schweiz oder der Region um Hamburg.
Inzwischen sind mindestens 250 Menschen wegen Beschwerden nach einer Covid-19-Erkrankung in die Sprechstunde am Ulmer Klinikum gekommen. Eine erste Zwischenbilanz fällt deutlich aus. 20 Prozent der Patient:innen haben Organschäden. Der größte Teil der übrigen Patient:innen fühle sich schlechter als vor der Erkrankung, habe aber keine Schäden an den Organen, sagt Buckert. Die meisten Menschen, die in die Sprechstunde kommen, sind demnach zwischen 40 und 50 Jahre alt. "Und eigentlich verhältnismäßig gesund, also ohne chronische Vorerkrankungen", so der Oberarzt. Die jüngsten der etwas mehr männlichen Patienten sind um die 20 Jahre alt.
Zudem seien überdurchschnittliche viele Menschen dabei, die vor der Erkrankung aktiv Sport gemacht haben. Bei Ihnen sei das Körpergefühl ein ganz anderes und deshalb sei die Wahrnehmung von Einbußen bei ihnen auch stärker ausgeprägt, erklärt sich Buckert das. Er teilt die Patient:innen grob in drei Gruppen ein. Eine Gruppe sei vor allem verunsichert und habe Angst vor möglichen Folgen der Erkrankung. Eine andere habe sich während der Pandemie deutlich weniger bewegt und merke deshalb Leistungseinbußen, sagt Buckert. "Und bei einer dritten Gruppe stellen wir ernste Schäden an den Organen fest." Im Einzelfall ließen sich diese Gruppen natürlich nicht so leicht trennen.
Die Beschwerden sind dabei vielfältig. Zum einen berichteten die Patient:innen von neurologischen Beschwerden wie Wortfindungsschwierigkeiten, Geschmacksstörungen oder Nervenschmerzen und Taubheit, sagt der Mediziner. Aber auch Luftnot, vor allem unter Belastung, und physische Leistungseinbußen gehörten dazu. Bei neurologischen Beschwerden verweisen Buckert und seine Kolleg:innen an andere Expert:innen im Haus, da sie sich auf Lungen- und Herzerkrankungen konzentrieren. Doch auch mit Fokus allein auf dieses Fachgebiet sagt Buckert zu Covid-19: "Wir sind immer noch dabei zu verstehen, was wir da vor uns haben."
Um den Beschwerden der Patient:innen auf den Grund zu gehen, untersuchen die Ärzt:innen der Ulmer Covid-Sprechstunde die Patient:innen Schritt für Schritt. Was etwa mit einer Blutuntersuchung, einem Ultraschall des Herzen und einem Lungenfunktionstest beginnt, wird je nach Befund beispielsweise mit einer Kernspintomographie des Herzen und individuellen Nachuntersuchungen fortgesetzt.
Bei den rund 20 Prozent der Patient:innen mit Organschäden beobachten die Ärzt:innen vor allem Herzmuskelentzündungen und die Folgen davon. Dazu gehörten etwa Herzschwäche und Herzrhythmusstörungen, so Buckert. "Bei der Lunge beobachten wir, dass sich das Lungengerüst verändert und so ein schlechterer Gasaustausch möglich ist." Atemnot sei die Folge.
Die bisherigen Erkenntnisse des Ulmer Forschungsprojekts mit ihrem Fokus auf Herz- und Lungenschäden decken nur einen Teil der Corona-Langzeitfolgen ab und sind erst der Beginn der tiefer gehenden Auseinandersetzung mit diesem Thema, das Mediziner:innen auch als Long-Covid- oder Post-Covid-Syndrom bezeichnen. Buckert betont dabei die Wichtigkeit des Austauschs mit anderen Kliniken zu Corona-Spätfolgen. Deren Rückmeldungen deckten sich mit dem, was sie bislang an Erkenntnissen gewonnen hätten. Zudem deuteten die Rückmeldungen darauf hin, dass die ersten Erkenntnisse der Ulmer Mediziner durchaus repräsentativ seien, sagt Buckert.
Die Relevanz des Themas hat auch die Landesregierung erkannt. Sie möchte die Erforschung von Corona-Spätfolgen mit rund 2,3 Millionen Euro fördern. Die Gelder sollen an die vier Unikliniken in Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm gehen, um die gemeinsame Erforschung von Long-Covid voranzutreiben. Buckert und seine Kolleg:innen arbeiten indes daran, die Erkenntnisse der Ulmer Sprechstunde in einer Studie zu verarbeiten.