COVID-19: Alles ändert sich wahnsinnig schnell – es ist wichtig up to date zu bleiben!

Wenn sich die drei Fachleute am Nachmittag des 29.04. im esanum-Studio einig waren, dann in diesem Fazit ihrer zweistündigen Diskussion über COVID-19: Was wir hier sagen, könnte schon morgen anders gesehen werden.

Von Entspannung kann keine Rede sein

Wenn sich die drei Fachleute am Nachmittag des 29.04. im esanum-Studio einig waren, dann in diesem Fazit ihrer zweistündigen Diskussion über COVID-19: Was wir hier sagen, könnte schon morgen anders gesehen werden.

Die Daten und das Wissen zur Corona-Pandemie ändern sich wahnsinnig schnell. Es ist also für ÄrztInnen gerade jetzt extrem wichtig, immer up to date zu bleiben. Deshalb trifft die inzwischen zum dritten Mal gesendete Expertenrunde "COVID-19 in der Praxis" auf ein großes Interesse in der Ärzteschaft – sie ist in Zeiten ausfallender Kongresse eine praktikable und willkommene Gelegenheit zur CME-zertifizierten Fortbildung.

Diesmal saßen zur Rechten und zur Linken der versierten Hausärztin Dr. Petra Sandow, die die Runde seit Beginn des Formates fachkundig moderiert, der Berliner Pädiater Dr. Martin Karsten, sowie der Gastroenterologe Prof. Dr. Ahmed Madisch vom Krankenhaus Siloah in Hannover.

Ein kurzes Update der Corona-Zahlen, Stand 29.04.2020, zeigt: Die Mortalitätsrate steigt an, von Entspannung könne keine Rede sein, so Dr. Petra Sandow gleich zu Beginn.  

Als Diskussionseinstig kamen wieder das online-Auditorium mit einem Voting zu Wort. Demnach haben bereits 7% der Teilnehmenden COVID-19 Fälle mit ausschließlich oder überwiegend gastrointestinaler Symptomatik beobachtet.  14% sagen, diese Beschwerden seien relativ häufig. Doch 79% geben an, das sei bei ihnen in der Praxis noch nicht vorgekommen.

Die Voting-Frage zum pädiatrischen Aspekt der Diskussion lautete: Wie ist Ihre Erfahrung mit COVID-10 Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter? Es gäbe wenige Fälle - und dann in der Regel mit leichtem Verkauf, berichteten 89% der Teilnehmenden, 11% meinen, es seien mehr Fälle als erwartet, wenn man konsequent Abstriche macht. Niemand jedoch sieht einen relevanten Anteil mit schwerem Verlauf. Damit war der Rahmen gesetzt, in dem sich die Diskussion bewegte.

Doch zunächst gab es eine Live-Schaltung nach London, von wo Prof. Ranjit Manchanda, gynäkologischer Onkologe, einen Einblick in die Probleme und auch in erste Erfolge im Kampf mit der Seuche in seiner Klinik berichtete.

COVID-19 aus gastroenterologischer Sicht: Die Krankheit ist ein Chamäleon

In seinem Vortrag verglich Prof. Madisch die COVID-19 Infektion wegen ihrer außerordentlich vielfältigen Symptomatik mit einem Chamäleon. Die als typisch angesehene Konstellation mit Fieber, trockenem Husten und Halsschmerzen trifft zwar auf einen großen Teil der PatientInnen zu, keineswegs aber auf alle. Beispielsweise ist Fieber nicht unbedingt pathognomonisch - etwa 50% der Erkrankten haben eine normale oder nur leicht erhöhte Körpertemperatur.

Auch eine klinische Präsentation mit ausschließlich gastrointestinalen Beschwerden wie abdominellen Schmerzen, Übelkeit und Erbrechen sowie Diarrhoe kommt vor. Diese Konstellation weisen 20 bis 30% der PatientInnen auf. Die besondere Tücke der Erkrankung besteht in der relativ langen Inkubationszeit von bis zu 14 Tagen. Besonders problematisch daran: Die PatientInnen sind in dieser Zeit subjektiv beschwerdefrei, aber bereits für ihre Umgebung gefährlich, da sie trotz der fehlenden Symptome Viren ausscheiden. Der Gipfel der Infektiosität wird in den letzten 1 bis 2 Tagen vor Beginn der ersten Symptome angenommen.

Der Referent kam dann zu spezifisch gastroenterologischen Aspekten, insbesondere den Umgang mit CED-PatientInnen. Die Kernbotschaft des Experten: PatientInnen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen haben kein erhöhtes Risiko für eine SARS-COV-2- Infektion. Für PatientInnen, die sich unter der Therapie in einer Remission befinden, besteht keine Indikation zur Änderung der Medikation. Sollten PatientInnen aber akut an COVID-19 erkranken, sollte in Absprache mit behandelnden GastroenterologInnen eine Verschiebung der Immunmodulator-Applikation oder eine frühzeitige stationäre Einweisung in Erwägung gezogen werden.

Bei COVID-19 sind Kinder nicht das Feuer der Epidemie

Auch der Kinderarzt Dr. Karsten hatte in seinem Statement eine eher beruhigende Kernaussage: Kinder haben im Vergleich zu Erwachsenen ein deutlich geringeres Risiko zu erkranken und von Kind zu Kind gibt es kaum Ansteckungen.

Dr. Karsten erläuterte die deutlichen Unterschiede zwischen dem Influenza- und SARS-COV-2-Virus. Während die klassische Influenza-Epidemie einen Erkrankungsschwerpunkt im Kindesalter hat und deshalb auch zu einem hohen Anteil über erkrankte Kinder verbreitet wird, ist der Anteil von Kindern unter 10 Jahren bei der COVID-19-Pandemie überraschend gering. In der eigenen Praxis waren von den rund 300 im April getesteten Kindern nur drei, also 1%, COVID-19 positiv. Diese Beobachtung stimmt mit Berichten aus China überein.

Beobachtungen aus Kindertagesstätten deuten darauf hin, dass die horizontale Infektiosität von COVID-19, also die Ansteckung zwischen gleichaltrigen Kindern, relativ gering ausgeprägt ist. Auch in dieser Hinsicht verhält sich das SARS-COV-2-Virus anders als das Influenza-Virus.

Anders steht es mit der vertikalen Infektiosität, also der Ansteckung zwischen Kindern und Eltern oder Großeltern. Hier scheint für die Erwachsenen ein wesentlich höheres Risiko für die Übertragung von SARS-COV-2 durch ein asymptomatisches oder klinisch nur leicht erkranktes Kind zu bestehen. Deshalb die Empfehlung: Kinder mit klinischen Zeichen eines akuten respiratorischen Infektes sollten ab sofort obligatorisch auf COVID-19 getestet werden. Zum einen stehen inzwischen ausreichend Testmaterialien zur Verfügung, zum anderen ist die Welle der differentialdiagnostisch in Betracht kommenden Influenza-, Adeno- und RSV-Viren für die Winter-/Frühjahr-Saison weitgehend abgeebbt, sodass bei entsprechender Symptomatik eine relativ hohe Prätest-Wahrscheinlichkeit für COVID-19 besteht.

Aktuell stehen in Deutschland etwa 800.000 Testkits pro Tag zur Verfügung. Die derzeitige Inanspruchnahme bleibt mit täglich ca. 400.000 Einheiten weit hinter den Möglichkeiten zurück. Der Appell zur großzügigen Durchführung von Tests auf COVID-19 entspricht auch der aktuellen Empfehlung des Robert-Koch-Institutes.

Was bieten Schnelltests und Corona-Apps?

Der Arzt und Medizin-Journalist Dr. Christoph Specht ergänzte in eingespielten Videos, welche Tests zur Verfügung stehen und was von Antikörper-Tests zu halten ist. Sein Fazit nach: Hände weg von Schnelltest – noch sind sie zu ungenau. In einem zweiten Service-Video widmete sich Dr. Specht den viel diskutierten Corona-Apps. Die im Studio anwesenden Experten erklären nach seiner Zusammenfassung: Ja, diese Technik würden sie auf jeden Fall nutzen, wenn sie denn zur Verfügung steht.

Einblicke in die Hausarzt-Praxis

Fast schon eine Tradition: Dr. Petra Sandow rundet die Experten-Diskussion ab mit Einblicken in die Hausarztpraxis. Einerseits haben sich die Anfangsprobleme wie Personal- und Ressourcenmangel inzwischen etabliert, weitere Praxen schließen, sodass die verbleibenden mehr Neupatienten begrüßen - was zu erheblichem Mehraufwand führt. Andererseits gibt es eine leichte Entwarnung bei Impfstoffen: Pneumokokkenimpfstoff und Pertussiskombinationsimpfstoffe sind wieder erhältlich. Die Expertin erläuterte neue Verwaltungs- und Abrechnungsregeln – und lässt am Ende den beschlossenen Schutzschirm für Niedergelassene nicht unerwähnt. Insgesamt war ihr Fazit dennoch kritisch: Alle niedergelassenen KollegInnen müssen eigenverantwortlich entscheiden, wie sie ihre Praxis organisieren und wie sie Personal, PatientInnen und sich selbst schützen. Dafür haben Kassenärztliche Vereinigungen, Ärztekammern und Fachgesellschaften weder Vorgaben noch Lösungen anzubieten.  

Die Expertenrunde "COVID-19 in der Praxis" mit den Schwerpunkten Pädiatrie und Gastroenterologie vom 29. April 2020 ist unter diesem Link als Video On-Demand abrufbar. Das Programm für die nächste CME-Expertenrunde der Reihe "COVID-19 in der Praxis" mit den Schwerpunkten Onkologie und Gynäkologie, welche am 13. Mai 2020 erneut von 14:00 – 16:00 im Livestream zu sehen sein wird, finden Interessierte demnächst unter folgendem Link: www.esanum.de/live.