Nach neuen Daten des Statistischen Bundesamtes starben 2020 26.000 Menschen mehr als zu erwarten waren, und diese Entwicklung hat sich insbesondere aufgrund der zweiten und vierten Corona-Welle in diesem Jahr verschärft.
Im Jahr 2020 sind in Deutschland 985.600 Menschen gestorben, das sind 46.000 mehr als im Vorjahr (plus fünf Prozent). Nur zwei Prozent oder rund 2.000 Gestorbene zusätzlich wären aufgrund der Alterung der Bevölkerung zu erwarten gewesen. Die Differenz erklärt sich im Wesentlichen durch die Covid-19-Mortalität, wie aus der am Donnerstag von destatis in Wiesbaden vorgelegten Todesursachenstatistik hervorgeht.
Bezieht man das Jahr 2021 und die weitere Entwicklung der Pandemie ein, so erhöht sich die Übersterblichkeit weiter. Im ersten Jahr der Pandemie – also von März 2020 bis Februar 2021 – stiegen die Sterbefallzahlen und 7,5 Prozent oder fast 71.000 Todesfälle; erwartbar gewesen wäre ein Zuwachs von zwei Prozent.
Eine deutliche Erhöhung der Sterbefallzahlen ist seit Beginn der vierten Pandemiewelle im September zu beobachten. Dabei, so destatitis-Vizepräsident Christoph Unger, erklären die beim Robert Koch-Institut gemeldeten Covid-19-Todesfälle nur ein Drittel des Zuwachses im Oktober. Weitere Ursachen könnten vermutlich unerkannte Covid-19-Todesfälle oder auch Auswirkungen ausgefallener oder verschobener Operationen und Vorsorgeuntersuchungen sein. Gewissheit dazu könnten erst detaillierte Forschungsergebnisse bringen.
Ein akzeleriertes Wachstum der Sterbefälle wurde im weiteren Verlauf der aktuellen vierten Welle registriert: So lag die Zahl der Todesfälle in der zweiten Novemberwoche um 3.100 oder 17 Prozent über dem mittleren Wert der Vorjahre.
Das Ausmaß der Übersterblichkeit verteilt sich regional sehr unterschiedlich: So starben von März 2020 bis Februar 2021 in Schleswig-Holstein zwei Prozent mehr als in den zwölf Monaten zuvor; das entspricht der erwartbaren Entwicklung. Dagegen lag der Zuwachs in Sachsen bei 19 Prozent, in manchen Monaten sogar beim Doppelten der gleichen Vorjahreszeiträume.
Im internationalen Vergleich sei Deutschland allerdings – ähnlich wie die meisten skandinavischen Länder mit Ausnahme von Schweden – mild betroffen gewesen. In anderen Ländern der westlichen Welt habe die Übersterblichkeit ein Ausmaß erreicht, wie sie seit dem Zweiten Weltkrieg oder in Osteuropa seit dem Zusammenbruch des Ostblocks nicht mehr beobachtet worden sei.
Mit der nun vorliegenden Todesursachenstatistik für 2020 sind nach Angaben von destatis erstmals genaue Analysen zu Todesfällen möglich, bei denen Covid-19 als Grundleiden und damit als ausschlaggebende Todesursache sowie als Begleiterkrankung dokumentiert ist, die nicht die Haupttodesursache darstellt. Diese Statistik basiert auf der Auswertung der von Pathologen ausgestellten Todesbescheinigungen, die für 2020 vollständig ausgewertet sind. Daraus ergibt sich, dass im vergangenen Jahr 39.758 Menschen ursächlich an Covid-19 und weitere 8.102 mit Covid-19 als Begleiterkrankung gestorben sind. Die Gesamtzahl von 47.860 Gestorbenen liegt über der Zahl der Todesfälle von 41.604, die das RKI in seiner Statistik für 2020 aufführt. Grund dafür ist, dass das RKI nur solche Todesfälle einbezieht, bei denen ein im Labor bestätigter Covid-Befund vorliegt.
Da bei der Todesbescheinigung auch Begleit- und Vorerkrankungen erfasst werden, ermöglichen multikausale Daten eine umfassende Ursachenforschung, insbesondere zu den Mortalitätsrisiken multimorbider älterer Verstorbener. Die am häufigsten festgestellten Vorerkrankungen bei an Covid-19 als Grundleiden Verstorbenen waren zu fast 20 Prozent essentielle Hypertonie und hypertensive Herzkrankheit, zu über 20 Prozent Demenz/Alzheimer-Krankheit, zu 14 Prozent eine chronische Nierenkrankheit oder Niereninsuffizienz und zu ebenfalls 14 Prozent Diabetes. 70 Prozent aller Verstorbenen waren 80 Jahre und älter, knapp jeder Fünfte zwischen 70 und 79 Jahre alt. Bei den Hochbetagten (85 bis 89 Jahre) war Covid-19 die dritthäufigste Todesursache.
Rang |
ICD-10- Gruppe |
Bezeichnung der ICD-10 Gruppe |
% |
häufigste Einzelerkrankungen |
% |
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1 | I10-I15 | Hypertonie (Hochdruckkrankheit) | 21,13 | I10 - essentielle (primäre Hypertonie) | 19,93 |
I11,9 - hypertensive Herzkrankheit ohne (Kongestive) Herzinsuffizienz | 1,1 | ||||
2 | F00-F09 | organische einschließlich symptomatischer psychischer Störungen | 20,60 | F03 - nicht näher bezeichnete Demenz | 17,67 |
F00.9 - Demenz bei Allzheimer-Krankheit, nicht näher bezeichnet) | 1,25 | ||||
3 | I30-I52 (ohne I46, I50) | sonstige Formen der Herzkrankheit (ohne Herzstillstand und Herzinsuffizienz) | 17,63 | I48.9 - Vorhofflimmern und Vorhofflattern, nicht näher bezeichnet | 9,93 |
I51.9 - Herzkrankheit, nicht näher bezeichnet | 2,29 | ||||
4 | N17-N19 (ohne N17) | Niereninsuffizienz ohne akutes Nierenversagen | 16,46 | N 19 - nicht näher bezeichnete Niereninsuffizienz | 6,83 |
N18.9 - chronische Nierenkrankheit, nicht näher bezeichnet | 6,65 | ||||
5 | E10-E14 | Diabetes mellitus | 15,50 | E11.9 - Diabetes mellitus Typ 2, ohne Komplikationen | 8,57 |
E14.9 - nicht näher bezeichneter Diabetes mellitus, ohne Komplikationen | 6,43 |
Die mit der Pandemie einhergehenden Kontaktbeschränkungen haben dazu geführt, dass die Zahl der Infektionskrankheiten deutlich sank und die Grippewelle im Winter 2020/21 nahezu komplett ausfiel. Die Folge: 2020 starben 17,8 Prozent oder 3.800 Menschen weniger an akuten respiratorischen Infektionserkrankungen als im Mittel der vier Vorjahre.
Aufschluss gibt die Todesursachenstatistik auch darüber, ob als individuelles psychisches Leid als Folge von Kontaktbeschränkungen die Zahl der Suizide gestiegen ist. Tatsächlich gibt es aufgrund vorliegender Zahlen im Vergleich zu den Vorjahren keinen auffälligen Anstieg der Suizide. Insgesamt beendeten 9.206 Menschen ihr Leben durch eigene Hand, das ist der zweitniedrigste Wert seit 1980. Der Anteil der Suizide an allen Todesursachen ist weiter auf 0,93 Prozent gesunken (Vorjahr 0,96 Prozent).