Anlässlich des Darmkrebsmonats März ruft die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) dazu auf, die Vorsorgekoloskopie besser zu nutzen. Die Stiftung Lebensblicke-Früherkennung Darmkrebs hat bei einem Symposium anlässlich des Gastroenterologen-Kongress 2019 in Wiesbaden, bei dem auch Frau Dr. Petermann-Meyer referiert hat, neue gesetzliche Regelungen zum Anlass genommen, nachdrücklich für die Darmkrebsvorsorge zu werben. Warum sind solche Apelle immer noch notwendig? Fragen dazu an Dr. Andrea Petermann-Meyer, Leiterin der Sektion Psychoonkologie am CIO, Uniklinik Aachen.
esanum: Frau Dr. Petermann-Meyer, jedes Jahr erkranken in Deutschland etwa 60.000 Menschen neu an Darmkrebs. Experten sagen: Ein Großteil dieser Fälle wäre vermeidbar, wenn mehr Menschen zu Vorsorgeuntersuchungen gehen würden. Wie viele tun es denn überhaupt?
Petermann-Meyer: Die Angaben darüber variieren. Nach den Daten der Kassenärztlichen Vereinigung, die streng unterscheiden zwischen Vorsorgekoloskopie und jeder anderen Form von Darmspiegelung, nehmen nur 17,5 Prozent die vorsorgliche Darmspiegelung in Anspruch. Aber in einer Umfrage unter den über 55jährigen geben knapp 60 Prozent an, dass sie schon einmal eine Darmspieglung hatten. Es ist nicht für jeden ganz leicht zu unterscheiden, ob es eine vorsorgliche Darmspiegelung war oder ob sie eventuell wegen bestimmter Beschwerden erfolgte. Und es ist auch so: Wenn jemand wegen leichter Bauchschmerzen einmal eine Darmspiegelung hatte und dabei nichts gefunden wurde, muss er zehn Jahre lang zu keiner weiteren Darmspieglung gehen.
esanum: In den ersten zehn Jahren nach Einführung der gesetzlichen Darmkrebsfrüherkennung sank die Darmkrebssterblichkeit bei Männern ab 55 Jahren um fast 21 Prozent, bei Frauen dieser Altersgruppe sogar um mehr als 26 Prozent. Eine Erfolgsgeschichte, die jedem klar macht, dass er sich rechtzeitig kümmern sollte.
Petermann-Meyer: Sicher, aber diese Erfolge gehen nicht nur auf die Vorsorge zurück. Auch die Behandlung der Erkrankung ist erfolgreicher geworden und das Gesundheitsverhalten der Bevölkerung hat sich ebenfalls verändert. Wir wissen, dass ausreichend Bewegung die Rückfallrate bei Darmkrebs um etwa ein Drittel senkt und Experten gehen davon aus, dass durch normales Gewicht und Bewegung sogar die Entstehung von Darmkrebs mit verhindert werden kann.
esanum: Welche Rolle spielt die Vorsorge im Kampf gegen den Darmkrebs?
Petermann-Meyer: Die Darmkrebsvorsorge unterscheidet sich deutlich von anderen Früherkennungsmaßnahmen. Nehmen wir beispielsweise das Mammografie-Screening. Da stellen wir den Krebs fest, wenn er schon vorhanden ist. Es werden auch Vorstufen von Krebs erkannt, aber es ist klar eine Früherkennung. Beim Darmkrebs ist es anders. Die Polypen, die entdeckt werden, werden während der Darmspiegelung entfernt – sie können also nicht mehr zu Krebs werden. Deswegen passt das Wort Vorsorge hier ganz genau. Man verhindert damit eine Krebserkrankung. Und das ist leider nicht bekannt genug.
esanum: Tun deshalb so viele nicht, was sie doch nachweislich vor einer schlimmen Krankheit schützen könnte?
Petermann-Meyer: So sieht es aus. Die fehlende Informiertheit ist erschreckend. 58 Prozent derer, die keine vorsorgliche Darmspiegelung machen, sagen zur Begründung, dass sie keine Probleme mit dem Darm haben und 31 Prozent sagen, dass sie es persönlich nicht für notwendig halten. Weil es mir unangenehm ist, sagen 21 Prozent und Angst vor der Untersuchung geben 17 Prozent als Grund für die Nicht-Teilnahme an – wobei die Befragung Mehrfachnennungen zulässt. Angst vor dem Ergebnis haben nur 5,7 Prozent.
esanum: Woher stammen diese Daten?
Petermann-Meyer: Im Rahmen der GEDA-Studie 2010, das heißt "Gesundheit Deutschland aktuell 2010", wurden über 20.000 Erwachsene zu ihrem Gesundheitsverhalten durch das Robert-Koch-Institut befragt. Alle zehn Jahre werden diese Gesundheitsdaten erhoben, derzeit findet der nächste Survey statt, also noch dieses Jahr werden neue Ergebnisse vorliegen. Es ist allerdings nicht zu erwarten, dass sie ganz anders ausfallen. Alle Erfahrungen legen nahe, dass sich das Vorsorgeverhalten nicht wesentlich geändert hat.
esanum: Sehen Sie hier die Hausärzte in der Verantwortung?
Petermann-Meyer: Über 80 Prozent der Befragten wissen, dass es diese Möglichkeit der Darmkrebsvorsorge gibt. Und über 60 Prozent wissen das von ihrem Arzt. Es wurde also darüber gesprochen. Das ist sehr gut. Doch wenn die größte Gruppe angibt, sie gehe nicht zur Darmspieglung, weil sie keine Probleme mit dem Darm verspüre, fehlt es offensichtlich an grundlegenden Informationen. Das wichtigste, was jeder Patient wissen muss, ist doch: dass man mit dieser Untersuchung Krebs verhindern kann - und zwar genau dann, wenn es noch keinerlei Beschwerden gibt. Ärzte müssen also nicht nur aufklären, dass es die Möglichkeit gibt, sondern auch eindeutig erklären: Das macht Sinn für jeden ab 50, das empfohlene Alter ist heruntergesetzt worden! - Jahren, völlig unabhängig von eventuellen Beschwerden.
esanum: Gibt es einen Unterschied zwischen Männern und Frauen bei der Nutzung der Vorsorge?
Petermann-Meyer: Nein, beide Geschlechter nehmen die Darmkrebsvorsorge etwa gleich häufig in Anspruch. Das ist anders als bei anderen Früherkennungsuntersuchungen. In der Regel sind ja Frauen die besseren Vorsorgenden und Männer gelten häufig als Früherkennungs-Muffel. Bei Darmkrebs sehen wir das nicht. Interessant ist auch, dass der Bildungsgrad ebenfalls fast keine Rolle spielt.
esanum: Zukünftig werden Systeme Künstlicher Intelligenz (KI) die Darmkrebsvorsorge noch verlässlicher machen. Muss auch hier wieder viel Aufklärung geleistet werden?
Petermann-Meyer: Wenn es darum geht, dass KI in Endoskopen eingesetzt ist und diese dann noch besser erkennen können, an welcher Stelle es eine bösartige Entwicklung geben wird, dann ist dazu keine zusätzliche Aufklärung notwendig. Gut zu wissen ist allerdings, dass der Patient eine höhere Qualität der Aussage erwarten kann.
esanum: Spielt die aktuelle dramatische Gesundheits-Situation eine Rolle für die Darmkrebsvorsorge?
Petermann-Meyer: Nein, noch nicht. Die alltäglichen Einschränkungen werden zwar immer deutlicher spürbar, und das Gesundheitssystem hat derzeit viele andere Sorgen. Aber noch wird nicht empfohlen, Vorsorge-Untersuchungen auszusetzen.