Das Leben ist in seinem Ursprung geschlechtsneutral, doch das Basisprogramm ist weiblicher Natur

Am 08.03. war der Weltfrauentag. Das erinnert uns daran, dass der Mensch immer noch in verschiedene Kategorien mit unterschiedlicher Wertigkeit eingeteilt wird.

Themen-Special zur Erinnerung an den Weltfrauentag: Gender und Transgender

Am 08.03. war der Weltfrauentag. Das erinnert uns daran, dass der Mensch immer noch - resultierend aus einem binären Geschlechtersystem und den damit verbundenen aufgezwungenen Normen, Vorurteilen und der Diskriminierung des weiblichen Geschlechts - in verschiedene Kategorien mit unterschiedlicher Wertigkeit eingeteilt wird. In einigen Ländern gelten nicht dieselben Grundrechte für jeden Menschen, je nachdem welches Geschlecht sie/er/sie*er besitzt. Rollenzuteilungen, Stereotype, Diskriminierung und Erwartungen sind stark geprägt von diesem binären Geschlechtersystem, welches in einigen der großen Weltreligionen stark verankert ist. In manchen Ländern gilt der weibliche Nachwuchs als sozial oder ökonomisch minderwertig. Die Folgen der Ein-Kind-Politik Chinas (1979-2015) - diese wurde erst vor 6 Jahren beendet - ist ein erschreckendes Beispiel dafür, wir stark manche Kulturen von dem binären Geschlechtersystem geprägt sind. Die selektive Abtreibung weiblicher Embryonen hatte zu einem enormen Männerüberschuss Chinas geführt. Im Jahr 2018 gab es 34 Millionen mehr Männer als Frauen in China.1 In den Ländern dieser Welt, in denen das weibliche Geschlecht besonders stark diskriminiert wird bringt der "Femizid" verheerende Folgen für die darin lebende Bevölkerung mit sich. Ein gravierender Männerüberschuss kann als eine Folge der Frustration und Vereinsamung der betroffenen Männer in einer Gesellschaft die Bereitschaft zur Kriminalität und Gewalt begünstigen.2 Wir müssen uns von der Vorstellung eines binären Geschlechtersystem lösen. Viel zu lang hat dieses System für Ungerechtigkeit und die Missachtung der Menschenrechte in der Welt gesorgt. Die Geschlechtsidentität eines Individuums sollte nicht aufgrund des geschlechtlichen Phänotyps durch die Gesellschaft festgesetzt werden. Die Natur selbst meißelt ja auch nicht alles in Stein. Die Natur schafft auf biologischer Ebene die Grundvoraussetzungen für Freiraum und Freigeist. Die Geschlechtsidentität obliegt jedem Individuum selbst und keiner anderen Person sonst.

Die Natur legt sich nie zu 100% fest

Wie und wann bestimmt eigentlich unser Körper, ob unser äußeres Geschlecht weiblich, männlich oder in einigen Fällen beides sein wird? Zu Beginn der Embryonalentwicklung haben alle Embryonen dieselben Geschlechtsanlagen, ganz gleich wie viele X- oder Y-Chromosomen sie besitzen. Neben der Genetik spielen bestimmte Hormone in der Geschlechtsentwicklung eine zentrale Rolle. Diese Hormone entscheiden, ob sich aus dem Tuberculum genitale ein Penis oder eine Klitoris entwickelt. Bestimmte äußerliche Faktoren können die Produktion dieser Hormone beeinflussen. In seinem Ursprung ist das menschliche Leben geschlechtsneutral. Die embryonalen Keimanlagen legen sich zunächst auf keines der beiden Geschlechter des binären Geschlechtersystems fest. Ein Embryo besitzt sowohl weibliche als auch männliche Geschlechtsanlagen in Form der Müllerschen und der Wolffschen Gänge. Aus den Müllerschen Gängen können sich die Eileiter und die Gebärmutter und aus den Wolffschen Gängen die Samenleiter entwickeln. Ganz am Anfang des menschlichen Lebens stehen dem dort entstehendem Lebewesen alle Möglichkeiten hinsichtlich seiner Geschlechtswahl offen. Fallen äußere hormonelle Einflüsse weg, so entwickelt sich ein weiblicher Embryo nach dem femininen Ursprungsprogramm der Natur. Der Androgeneinfluss hingegen lässt einen männlichen Embryo entstehen. Doch die Natur unterscheidet nicht immer so streng zwischen den beiden Geschlechtern des binären Geschlechtersystems.3-14

Ohne hormonelle äußerliche Einflüsse entsteht aus jedem Embryo eine Frau

Beide Geschlechter können sich abhängig von den umgebenden Faktoren aus einem Urgeschlecht trotz der genetisch determinierten Geschlechtskomponente entwickeln. Das zeigt uns, dass die Natur das Ganze relativ locker sieht und die Grenzen eher fließend als abrupt sind. Sie grenzt unsere geschlechtliche Entwicklung nicht zu 100% ein. Die Möglichkeiten sind in unseren ersten Lebenstagen unbegrenzt. Anders sieht es jedoch für adulte Menschen mit Geschlechtsdiskongruenz aus. Ihre Möglichkeiten, ihre Geschlechtsidentität auszuleben und ihr äußeres Erscheinungsbild dementsprechend anzupassen, werden durch Diskriminierung und Stigmatisierung begrenzt. In einigen Ländern dieser Welt werden sie sogar zu Kriminellen gemacht. Die anfängliche biologische Freiheit des Embryos weicht den Stereotypen des binären Geschlechtssystems.

Auf die Androgene kommt es an

Das Geschlecht eines Embryos wird zunächst durch die Gonosomen bestimmt. Sie legen das genetische Geschlecht des Embryos fest. Auf biologischer Ebene gibt es einige Besonderheiten. Aus biologischer Sicht ist das männliche Geschlecht - lapidar gesagt - eine von vielen verschiedenen Varianten eines sonst weiblich angelegten Urgeschlechts. Was auf den ersten Blick unglaubwürdig klingen mag, könnte gleichzeitig der Grund für die Abschaffung eines binären Geschlechtssystems sein. Ohne jegliche äußere, d.h. hormonelle Einflüsse würde sich jeder Embryo, ganz gleich welches genetische Geschlecht sie/er/sie*er besitzt, weiblich entwickeln. Ausschlaggebend für die männliche Entwicklung eines Embryos mit einem genetisch männlichen Geschlecht ist der Einfluss der Androgene. Ab der 7. Embryonalwoche führen die Androgene dazu, dass sich ein äußeres männliches Geschlecht entwickelt. Ein Fehlen dieser Androgene oder eine Immunität gegenüber diesen Hormonen führt dazu, dass sich z.B. bei dem betroffenen Embryo trotz seines Y-Chromosoms ein äußerliches weibliches Geschlecht ausbildet. Die Natur hat sich in ihrem Schaffungsprozess keine Grenzen gesetzt und so gibt es auch verschiedene Variationen und Formen der Intersexualität. Bekannt sind u. a. das partielle und das komplette Androgen-Insensitivitäts-Syndrom und das androgenitale Syndrom. Ein intrauteriner Androgenexzess kann bei einem weiblichen Embryo zu einer Maskulinisierung führen.15

Es gibt wohl kein anderes Thema, das polarisierender sein kann als das Thema Gender. Global gesehen werden Frauen weiterhin in vielen Ländern dieser Welt diskriminiert. Das binäre Geschlechtssystem ist längst überholt. Menschen mit einem äußeren weiblichen oder männlichen Geschlecht werden durch dieses System in bestimmte Rollen und Stereotypen hineinerzogen und hineingedrängt. Das binäre Geschlechtssystem ist das Fundament für die Verfolgung und die Misshandlung von Menschen auf der ganzen Welt. Die Queer-Theory stellt die Zweigeschlechtlichkeit und die mit ihr einhergehende Machtverhältnisse und Rollenzuteilungen des Zweigeschlechter-Systems in Frage. Die Geschlechtsidentität einer Person sollte ausschließlich durch die Person selbst wählbar sein. Das Geschlecht und die Wahl der Geschlechtsidentität darf nicht Grund für Diskriminierung und Stigmatisierung sein.16 Ich erinnere daher nochmal kurz zum Schluss an die ersten 3 Artikel unserer Menschrechte:

"Artikel 1 (Freiheit, Gleichheit, Solidarität)

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Solidarität begegnen.

Artikel 2 (Verbot der Diskriminierung)

Jeder Mensch hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied, etwa aufgrund rassistischer Zuschreibungen, nach Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.

Artikel 3 (Recht auf Leben und Freiheit)

Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person."17,18

Referenzen:
1. https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/317830/ein-kind-politik
2. https://www.ipg-journal.de/regionen/global/artikel/wenn-frauen-fehlen-4809/
3. Roly Z. Y. et al. (2012). The cell biology and molecular genetics of Müllerian duct development. Wiley Interdiscip Rev Dev Biol. 2018 May;7(3):e310. 
4. Blaschko S. D. et al. (2012). Molecular mechanisms of external genitalia development. Differentiation. 2012 Oct;84(3):261-8.
5. Aatsha P. A. et al. (2020). Embryology, Sexual Development. StatPearls.
6. Klattig J. et al. (2007). The Müllerian duct: recent insights into its development and regression. Sex Dev. 2007;1(5):271-8. 
7. Allard S. et al. (2000). Molecular mechanisms of hormone-mediated Müllerian duct regression: involvement of beta-catenin. Development. 2000 Aug;127(15):3349-60.
8. Joseph A. et al. (2008). Development and morphogenesis of the Wolffian/epididymal duct, more twists and turns. Dev Biol. 2009;325(1):6-14.
9. Griffiths DA. Shifting syndromes: Sex chromosome variations and intersex classifications. Soc Stud Sci. 2018;48(1):125-148. doi:10.1177/0306312718757081
10. Hamann S. et al. (2014). Brain responses to sexual images in 46, XY women with complete androgen insensitivity syndrome are female-typical. Horm Behav. 2014 Nov;66(5):724-30.
11. Batista R. L.  et al. (2018). Androgen insensitivity syndrome: a review. Arch Endocrinol Metab. 2018 Mar-Apr;62(2):227-235.
12. Claahsen-van der Grinten H. L. et al. (2007). Van gen naar ziekte; het adrenogenitaal syndroom en het CYP21A2-gen [From gene to disease: adrenogenital syndrome and the CYP21A2 gene]. Ned Tijdschr Geneeskd. 2007 May 26;151(21):1174-7. 
13. Oakes M. B. et al. (2008). Complete androgen insensitivity syndrome--a review. J Pediatr Adolesc Gynecol. 2008 Dec;21(6):305-10.
14. Hughes I. A. et al. (2012). Androgen insensitivity syndrome. Lancet. 2012 Oct 20;380(9851):1419-28.
15. Abbott D.H. et al. (2005). Dumesic, Androgen excess fetal programming of female reproduction: a developmental aetiology for polycystic ovary syndrome?, Human Reproduction Update, Volume 11, Issue 4, July/August 2005, Pages 357–374.
16. https://www.bke.de/content/application/explorer/public/newsletter/2016/inter_trans_beratung_leitfaden.pdf
17. https://www.amnesty.de/alle-30-artikel-der-allgemeinen-erklaerung-der-menschenrechte?gclid=CjwKCAiA4rGCBhAQEiwAelVtiwVP3Oom78nWM3VKsceVAe0yKNsV_SFiN0WSNC5-iyeECSIuSr_2PRoCEvsQAvD_BwE
18. https://www.un.org/depts/german/menschenrechte/aemr.pdf