Brustkrebs ist bei Frauen der weltweit am häufigsten diagnostizierte Krebs. Im Jahr 2012 gab es fast 1,7 Millionen neue Fälle - 25 Prozent aller neuen Krebsfälle bei Frauen. Genexpressionsanalysen ermöglichen es, die Treffergenauigkeit von Therapien zu erhöhen.
Aktuelle internationale klinische Leitlinien wie die der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO), der Amerikanischen Gesellschaft für Klinische Onkologie (ASCO), der Europäischen Gesellschaft Medizinischer Onkologie (ESMO) und des St. Gallen Konsensus Treffens empfehlen die Anwendung u.a. von MammaPrint und anderen Tests zur Bestimmung des Fernmetastasierungsrisikos bei frühem Brustkrebs. Für Patientinnen wie Ärzte eine sehr gute Entwicklung - aber zu wenige wissen überhaupt davon. Und nicht alle Krankenkassen übernehmen die Kosten.
esanum: Was bedeuten die Verfahren, mit denen es möglich ist, das Risiko der Fernmetastasierung in einem Zeitraum von 5 Jahren zu ermitteln, für die Heilungschancen Ihrer Patientinnen? Welche konkreten Erfahrungen gibt es mittlerweile?
Harbeck: Es gibt in Deutschland vier Tests, die in den Leitlinien empfohlen werden. Sie dienen dazu, die Indikation zur vorbeugenden Chemotherapie bei hormonempfindlichen HER2- negativen Tumoren richtig zu stellen. Das sind etwa 70 Prozent unserer Brustkrebsfälle. Die Tests wirken sich indirekt auf die Heilungschancen aus, indem sie verhindern, dass Patientinnen unter- oder übertherapiert werden.
esanum: Die Therapie wird also treffsicherer und präziser?
Harbeck: Genau, und man braucht Jahrzehnte, um die Effekte für die Heilung zu messen. Wir wissen aus großen Studien, dass diese Verfahren sicher sind - zum Beispiel aus der Mindact Studie zu MammaPrint mit fast 7000 Patientinnen, davon 1000 aus Deutschland, und der Plan B Studie zu Oncotype DX mit etwa 3000 Patientinnen. Patientinnen einer Niedrig-Risikogruppe können demnach auf eine Chemotherapie verzichten, vorausgesetzt sie haben nicht mehr als drei befallene Lymphknoten. Man muss allerdings auch ganz deutlich sagen: diese Tests sind nicht dazu da, möglichst wenig Chemotherapie zu verschreiben, sondern genau die richtigen Patientinnen mit Chemotherapie zu versorgen - eben auch Patientinnen, die wir vielleicht sonst nicht behandelt hätten, weil wir gedacht hätten, das sei ein nicht so aggressiver Tumor.
esanum: Wie stellt sich das in Zahlen dar?
Harbeck: In etwa 30 Prozent kommt es nach Testung zu einer Änderung der Therapieeinstufung – da sind schätzungsweise zwei Drittel dabei, die man sonst vorsichtshalber mit einer Chemo behandelt hätte, obwohl sie gar keine benötigt hätten. Nach Hochrechnungen betrifft das 10 - 15.000 Frauen in Deutschland.
esanum: Eine neue KANTAR Emnid Umfrage ergab: Nur 40 Prozent der Brustkrebspatientinnen kennen die Vorteile von genomischen Testverfahren. Woher diese Wissenslücke?
Harbeck: Es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass diese Tests sicher sind und dass man sich auf sie verlassen kann. Wir müssen also alles tun, der Patientin das anzubieten und müssen sicher noch ein bisschen deutlicher darüber sprechen. Die Tests sind für alle Patientinnen mit Hormonrezeptor-positiven, HER-2 negativen Tumoren und nicht mehr als 3 befallenen Lymphknoten gedacht. So ist es in den Leitlinien verankert und ich hoffe, dass die Ärzte darüber gründlich aufklären. Meine eigene Erfahrung zeigt mir aber, dass die Testung inzwischen weit verbreitet ist. Wenn nicht alle Patientinnen Bescheid wissen, liegt das sicher auch daran, dass es sehr viel ist, was sie bei der Erstdiagnose an Informationen bekommen - und da bleibt vielleicht manches nicht sofort in Erinnerung. Außerdem es ist auch nicht für jede Patientin relevant. Für die HER2 positive Erkrankung spielt die Testung keine Rolle.
esanum: Warum sind die Genexpressionsanalysen erst in jüngster Zeit möglich? Frühere Ärztegenerationen hätten sicher von so einer Möglichkeit geträumt!
Harbeck: Wir hatten schon in den 90er Jahren ähnliche Tests zur Verfügung, aber es dauert eben, bis sich das durchsetzt bei den Ärzten. Und es dauert, bis die entsprechenden Daten generiert sind. Es gibt jetzt prospektive Studiendaten für MammaPrint und für den 21-Gentest Oncotype DX. Es hat mehr als zehn Jahre gedauert, diese Daten zu generieren. Deswegen ist es so unverständlich, dass das von den Kassen immer noch nicht als Regelleistung finanziert wird, dass also die Patientinnen immer noch Angst haben müssen, ob das überhaupt übernommen wird.
esanum: Warum knausern die Krankenkassen in dieser Sache?
Harbeck: Das versteht kein Mensch. Es werden weitere Daten gefordert, so zum Beispiel dass in der Niedrigrisikogruppe auch Patientinnen mit Chemotherapie versorgt werden, damit man beweisen kann, dass sie nichts bringt. Doch das wäre unethisch. Ich würde das niemals tun. Wir haben in Deutschland über 10.000 Frauen in prospektiven Studien zu Genexpressionstests und bei fast 5000 Frauen liegen bereits Fünfjahresergebnisse vor. Wir haben also genug Erfahrung um zu sagen, dass in der Niedrigrisikogruppe keine Chemotherapie erforderlich ist. Das einzige, was wir noch wissen müssen, ist, ob bei Patientinnen, die laut Genomischem Test ein mittleres Risiko haben, eine Chemotherapie nützlich ist. Auf diese Daten warten wir noch.
esanum: Was kostet ein Test?
Harbeck: Um die 3000 Euro. Es sind sehr gut qualitätsgesicherte Tests und man kann den Ergebnissen wirklich vertrauen. Die Leitlinien besagen, wir sollen sie nur einsetzen, wenn es mit anderen Methoden keine eindeutige Aussage gibt. Es ist daher eine unzumutbare Situation, dass man sich im Einzelfall sorgen muss, ob gezahlt wird oder nicht. Man hat ja meistens auch keine Zeit zu verlieren. Und die Tests bewirken natürlich auch eine Kostenersparnis – allerdings in ambulanten Bereich, also in einem anderen Bereich als in dem stationären Bereich, wo die Testkosten anfallen.
esanum: Was wird getan, um die Kostenübernahme durchzusetzen?
Harbeck: Das Iqwig hat einen Report geschrieben, unsere Studiengruppe hat angeboten, die Studiendaten aus Deutschland zur Verfügung zu stellen. Im Moment ist aber ein Stillstand eingetreten. Der GBA wird das wohl erst wieder thematisieren, wenn wir eine neue Regierung haben und in Berlin wieder die Alltagsarbeit beginnt.
esanum: Beispielsweise der MammaPrint Test bestimmt die Aktivität von 70 Genen, die am engsten mit dem Metastasierungsrisiko zusammenhängen – könnte die Analyse von noch mehr Genen noch genauere Prognosen liefern?
Harbeck: Nein, es ist ausreichend so. Man braucht nicht jedes einzelne Gen auf dem Signalweg zu bestimmen.
esanum: Bringt uns die Genexpressionsanalyse einen Schritt in Richtung personalisierter Medizin?
Harbeck: Unbedingt. Es ist ein wichtiger Schritt mit einer großen Breitenwirkung. Wir machen heute viel individuellere Therapiekonzepte als noch von zehn Jahren. Wir haben mehr therapeutische Möglichkeiten. Wir können die Tumorbiologie gezielter angehen – sowohl bei der Ersterkrankung als auch bei der Metastasierung. Die Genexpessionstests sind ein Teil dieser Entwicklung. Generell ist wichtig, dass wir nicht mehr machen als unbedingt notwendig. Und es gibt nun sehr viel mehr Möglichkeiten, das für die einzelne Patientin maßzuschneidern.
esanum: Wie geht es weiter auf diesem Weg?
Harbeck: In der Westdeutschen Studiengruppe arbeiten wir daran, bei der frühen Erkrankung zu prüfen, ob wir mit einer kurzen Antihormontherapie drei Wochen vor der OP erkennen können, dass diese Therapie allein auch nach der Operation die Patientin dauerhaft schützen könnte. So eine dynamische Testung im Tumor der Patientin und nicht im Reagenzglas ist der nächste Schritt. In ein, zwei Jahren werden die Daten dazu vorliegen. Und bei der metastasierten Erkrankung haben wir die Möglichkeit, im molekularen Tumorboard sehr viele Gene als Zielstrukturen für weitere Therapien zu untersuchen. Auch da geht es ständig weiter.