Kontaktläden sind ein bewährtes Instrument der Drogenhilfe. In Augsburg geht man dabei neue Wege, jetzt zieht München nach. Ein großes Anliegen der bayerischen Hilfsorganisationen bleibt indes unerfüllt: Drogenkonsumräume.
Montagmorgen, neun Uhr: Der "beTreff" im Augsburger Stadtteil Oberhausen öffnet, die GästInnen warten schon auf der Eingangstreppe. Die frühere Apotheke ist jetzt ein Süchtigentreff und füllt sich innerhalb weniger Minuten. KlientInnen bedienen sich am kostenlosen Kaffee, setzen sich an Tische und auf Sofas, zünden sich Zigaretten an, manche öffnen sich ein Bier.
Im "beTreff" sind Rauchen und niedrigprozentiger, selbstmitgebrachter Alkohol erlaubt. "Das ist in anderen Läden in Augsburg nicht möglich", sagt Carina Huber, eine der beiden Projektleiterinnen. "Es ist dadurch viel einfacher, mit den Klienten ins Gespräch zu kommen bzw. sie überhaupt hier reinzubekommen." Zwei SozialarbeiterInnen sind stets präsent. Freiwillige Beratung, Vermittlung und Ansprache finden hier knapp 100 Personen täglich, davon 30 Prozent Frauen.
Hilfsangebote, um durchs Leben zu kommen, sind das eine. Um konkret Leben von Abhängigen zu retten, plädieren Hilfsorganisationen schon lange für Drogenkonsumräume. Hier können Süchtige unter hygienischen Bedingungen und in Anwesenheit von geschultem Personal illegale Substanzen injizieren. "Ein wunderbares Instrument, um die Schäden an der Gesellschaft zu minimieren. Auf der pragmatischen Ebene gibt es eigentlich nichts, was dagegen spricht", sagt Norbert Wittmann, Geschäftsführer des Jugend- und Drogenhilfevereins Mudra in Nürnberg.
Laut der Deutschen Aidshilfe gibt es aktuell 24 Konsumräume in Deutschland, die meisten in Berlin, Hamburg, und Frankfurt. Wenn es nach der bayerischen Gesundheitsministerin geht, werden so bald keine weißblauen Städte dazukommen. "Drogenkonsumräume erleichtern suchtbetroffenen Menschen den Drogengebrauch und schaffen gewissermaßen eine staatlich tolerierte Drogenszene. Das steht im Widerspruch zur strafrechtlichen Verfolgung von Besitz und Erwerb von illegalen Drogen", meint Melanie Huml (CSU).
Die landläufig als "Fixerstuben" bezeichneten Einrichtungen sind seit 2000 in Deutschland möglich, vorausgesetzt die jeweilige Landesregierung stimmt zu. Sechs haben das bereits getan, im März 2019 kam Baden-Württemberg dazu. Dort können nun Konsumräume in Städten mit mehr als 300.000 EinwohnerInnen zugelassen werden, im Herbst soll der erste in Karlsruhe eröffnen.
Im Augsburger "beTreff" können Süchtige frische Spritzen bekommen. Was Co-Leiterin Katrin Wimmer besonders wichtig ist: "Wir sind kein Magnet für Abhängige aus anderen Stadtteilen, das belegen Kontrollen der Polizei." Die Rettungseinsätze auf dem benachbarten Platz, einem klassischen Szenetreffpunkt, sind seit Öffnung des "BeTreff" im Juni 2018 um 20 Prozent zurückgegangen, berichtet Stefan Lanzinger, Leiter der verantwortlichen Polizeidirektion.
Das "alternative Aufenthaltsangebot", wie es Augsburgs Ordnungsreferent Dirk Wurm (SPD) bezeichnet, ist nach einem holprigen Start - der erste Standort wurde wegen Bedenken von Seiten der AnwohnerInnen verworfen - akzeptiert im Viertel. Die Bäckerei nebenan spendet Essen, der monatliche Nachbarschaftsabend zur Klärung etwaiger Probleme wurde aus mangelnder Nachfrage eingestellt.
Der Kontaktladen hat es sogar zum Vorbild für eine geplante Münchner Einrichtung geschafft: In Bahnhofsnähe soll im Herbst ein "Begegnungszentrum für Menschen mit erhöhtem Alkoholkonsum" entstehen, eine Begleitmaßnahme für das im August dieses Jahres in Kraft getretene ganztägige Alkoholverbot am Hauptbahnhof. Sozialreferentin Dorothee Schiwy hatte sich vorher unter anderem in Augsburg informiert.
Eine weitere Alternative zur Versorgung mit sauberem Besteck sind Spritzenautomaten. In Nürnberg startete die örtliche FDP vor kurzem eine Initiative zur Aufstellung von weiteren Exemplaren. Bis jetzt gibt es in Bayern acht Spritzenautomaten: fünf in der Landeshauptstadt und drei in Nürnberg. In Nordrhein-Westfalen sind es 108 - in den ostdeutschen Ländern kein einziger.
Doch auch in Sachen Konsumräume hört man neue Töne in Bayern. Auf Antrag der CSU-Fraktion hat der Münchner Stadtrat bereits im Oktober 2018 das Gesundheitsreferat beauftragt, "ein Konzept für ein Modellprojekt einer medizinischen Ambulanz mit Erlaubnis zum Konsum von Betäubungsmitteln zu erarbeiten". "Dass sich CSU-Politiker öffentlich pro Drogenkonsumräume äußern, ist schon eine neue Entwicklung", urteilt Olaf Ostermann vom Verein für soziale Dienste, Condrobs, in München.
Auf einen zeitlichen Rahmen will sich aber niemand festlegen. "Eine mögliche Konzeption befindet sich derzeit in Bearbeitung", erklärt eine Sprecherin des Referats. Demnach will sich Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) bei der Staatsregierung für die Zulassung von Konsumräumen einsetzen.
"Wenn die Stadt München hierzu ein neues Konzept vorlegt, werden wir es natürlich prüfen. Bislang kennen wir es nicht", teilt Gesundheitsministerin Huml auf Anfrage mit. Der Nürnberger Experte Norbert Wittmann legt sich trotzdem auf eine Jahreszahl für den ersten Drogenkonsumraum in Bayern fest: "2020. Ich glaube an die Vernunftfähigkeit unserer bayerischen Staatsregierung - und das meine ich jetzt gar nicht despektierlich."