Das Hepatitis-E-Virus (HEV) hat für die Forschung lange ein Schattendasein geführt. Dabei ist es die Hauptursache für virusverursachte akute Leberentzündungen. Rund 70.000 Menschen sterben jedes Jahr daran. Prof. ForscherInnen der Ruhr-Universität Bochum (RUB) nutzen jetzt Big Data, um das Virus besser zu verstehen. Sie analysierten die genetische Information aller Varianten in Proben von PatientInnen und entdeckten so eine besonders vermehrungsfreudige. Die ForscherInnen entwickelten zudem ein funktionsfähiges Zellkulturmodell zur weiteren Erforschung des Virus.
Anders als gegen viele andere Viren gibt es gegen Hepatitis E keine Impfung und auch keine spezifisch wirksamen Medikamente. Wirkstoffe, die allgemein gegen Viren eingesetzt werden, helfen bei einigen Patienten, aber bei anderen nicht.
Um wirksame Therapien zu entwickeln, fehlt es an Wissen über das Virus. Wie genau vermehrt es sich? Was macht es so wandelbar? Warum kann es sich der Wirkung bekannter Medikamente manchmal entziehen? Um das herauszufinden, sammelten und analysierten ForscherInnen Serumproben von PatientInnen mit chronischer HEV-Infektion.
Die ForscherInnen untersuchten das Erbgut der vorgefundenen Viruspopulationen mittels einer sogenannten Tiefensequenzierung zu verschiedenen Zeitpunkten. Bei dieser noch neuen Methode geht es darum, die genetische Information möglichst aller Viren einer Probe so vollständig wie möglich abzubilden.
Die Auswertung der Untersuchungen zeigte, dass die Viruspopulationen bei chronisch HEV-infizierten PatientInnen besonders variantenreich waren. Bestimmte genetische Varianten traten bei PatientInnen, bei denen die konventionelle Therapie versagte, gehäuft auf.
Eine bestimmte genetische Variante fiel den ForscherInnen besonders auf: Sie wirkte sich auf die Vermehrung des Virus extrem vorteilhaft aus – ein glücklicher Zufall für das Virus. Durch die rasante Vermehrung wurde diese Variante innerhalb der Population schnell dominant und führte zu einem extremen Anstieg der Viruszahl. Für die Forscher bedeutet diese Erkenntnis, den Erfolg einer Therapie für einen einzelnen Patienten früher vorherzusagen zu können.
Für die BochumerInnen war die Entdeckung der extrem vermehrungsfreudigen Virusvariante auch in anderer Hinsicht ein Glücksfall. Sie erlaubte es erstmals, ein Zellkultursystem für Hepatitis E zu etablieren. Bisher war es nicht oder nur selten gelungen, die Viren in Kultur ausreichend zu vermehren.
Eine erste Variante des Zellkulturmodells kam zum Beispiel zum Einsatz, um die Wirksamkeit des natürlich vorkommenden Wirkstoffs Silvestrol auf die Vermehrung von Hepatitis-E-Viren zu testen. Nach der Behandlung mit Silvestrol sanken die Vermehrungsrate und die Zahl der infizierten Zellen stark ab. Die Wirkung von Silvestrol war darüber hinaus stärker als die der bisher eingesetzten antiviralen Medikamente.