Die Entschlüsselung der Erbinformation des Menschen, neue Sequenziertechnologien und Imaging haben gezeigt, dass als bereits erforscht angenommenes Gewebe sich plötzlich in einem anderen Licht präsentiert: Der Mensch ist besiedelt von Mikroben. Welche Rolle das Mikrobiom der Haut bei der Entstehung von Hautkrebs spielt und ob es möglicherweise als natürlicher Schutzfaktor bislang nicht genug beachtet wurde – darüber sprach Prof. Thomas C. G. Bosch aus Kiel auf der 50. DDG-Tagung in Berlin und präsentierte aktuelle, noch unpublizierte Erkenntnisse aus seiner Forschungsarbeit.
Wir alle sind Holobionten. Das heißt, der Mensch ist eine komplexe Lebensgemeinschaft aus vielen verschiedenen Organismen, ein Metaorganismus. Wir sind von Mikroben besiedelt, mit denen wir grundlegend verbunden sind. Die Funktionsfähigkeit eines Organismus hängt ganz entscheidend davon ab, dass diese Lebensgemeinschaft in ihrer Komplexität als Ganzes verstanden und im Gleichgewicht gehalten wird. Auch die Haut muss immer in Einheit mit den sie besiedelnden Mikroorganismen betrachtet werden.
Die Funktionsfähigkeit eines solchen Metaorganismus’ beruht im Wesentlichen auf zwei Aspekten: Zum einen ist das Immunsystem nicht, wie lange Zeit angenommen, entstanden, um Pathogene abzuwehren, sondern um die Organismus-Gemeinschaft zu gestalten und in Homöostase zu halten. Zum anderen muss die Diversität dieser mikroorganismischen Gemeinschaft gewährleistet sein. Der Metaorganismus ist vor allem deswegen in Gefahr, weil die heutige Lebenswelt dazu tendiert, die Diversität des Mikrobioms zu reduzieren, was sich in der Konsequenz beispielsweise in der dramatischen Zunahme chronisch-entzündlicher Erkrankungen zeigt.
Dabei ist es schwierig, die Komplexität des menschlichen Mikrobioms über eine Beschreibung der unterschiedlichen Funktionsweisen hinaus – zum Beispiel die Abwehr von Pilzbefällen oder die Entwicklung des Immunsystems – kausal zu definieren. Eine Frage, der Bosch in seiner aktuellen Forschungsarbeit nachgeht, ist, welche Rolle das Mikrobiom bei der Krebsentstehung spielt. Versuche an Mäusen ergaben eine Korrelation des Mikrobioms der Haut mit der Genetik, das heißt, ein verändertes Hautmikrobiom steht im Zusammenhang mit einer Veränderung der Gene. Gene, die Bakterien beeinflussen, stehen somit auch im Zusammenhang mit der Entstehung von Krebs und chronisch entzündlichen Erkrankungen.
Ein weiteres Indiz für diesen Zusammenhang ist die Fähigkeit mancher Hunde, Krebs am Geruch zu erkennen. Hunde riechen bakterielle Stoffwechselprodukte, und es ist anzunehmen, dass hier bei Krebserkrankungen Veränderungen vorliegen, die trainierte Hunde erkennen können.
Laborversuche an Modelltieren konnten diese Annahme nun bestätigen. Die Interaktion zwischen einem normalen, gutartigen Teil des Mikrobioms und einem aus der Umwelt hinzugekommenen Bakterium erwies sich in der Analyse als Grund für die Krebsentstehung. Das heißt, dass bei der Tumorbildung über die Gene des Wirtes hinaus eine Störung des Mikrobioms mit in Betracht gezogen werden sollte.
Auch ein Vergleich der Mikrobiome von Wildmäusen und Labormäusen bestätigte, dass das Mikrobiom der Wildmaus gegenüber dem der Labormaus deutlich tumorschützende Wirkung besitzt.
Zusammenfassend gilt: Gesundheit und Krankheit sind multiorganismisch zu verstehende Begriffe. Gewebe und Mikroben sind nicht voneinander getrennt zu sehen, sondern nur in der Einheit, die sie bilden. So notwendig ein reduktionistischer Ansatz für das Erlangen eines tieferen Verständnisses einzelner Vorgänge ist, so notwendig ist es, zu einer metaorganismischen Perspektive zu gelangen, die ein ganzheitliches Verständnis des Menschen als Lebensgemeinschaft voraussetzt.
Quelle: 50. DDG-Tagung 2019. Keynote Lecture. Thomas C. G. Bosch: Der Mensch als Holobiont