Zwei bis drei Wochen vergehen, bis sich die Zahl der Neuinfektionen in der Belegung von Intensivbetten widerspiegelt. Der rasante Anstieg der Fallzahlen macht Klinik-Fachleute daher große Sorgen. Und noch ist eine deutliche Trendumkehr beim Infektionsgeschehen nicht in Sicht.
Die Zahl erfasster Corona-Infektionen je 100.000 EinwohnerInnen lässt auf ein weiter an Dynamik gewinnendes Infektionsgeschehen schließen. Für die vergangenen sieben Tage liegt der Wert inzwischen bei 120,1 (Stand 2.11. 00.00 Uhr), wie das Robert Koch-Institut RKI mitteilte. Am 30.10. hatte die 7-Tage-Inzidenz erstmals über 100 gelegen (104,9), vor vier Wochen (5.10.) hingegen bei gerade mal 16,8.
Besonders viele Neuinfektionen je 100.000 EinwohnerInnen in den vergangenen sieben Tagen erfassen den Daten vom 02.11. zufolge derzeit Bremen (189,4), Berlin (164,6), Hessen (160,8) und das Saarland (160,5). Bis sich die Wirkung des seit 02.11. greifenden Teil-Lockdowns bei den Infektionszahlen zeigt, dauert es wegen der Spannen von der Ansteckung zu Symptomen, Test und Erfassung nach RKI-Angaben zwei bis drei Wochen.
Die Zahl der intensivmedizinisch behandelten COVID-19-Fälle hat sich in den vergangenen zwei Wochen von 769 PatientInnen (18.10.) auf 2.061 PatientInnen (1.11.) fast verdreifacht, wie es im RKI-Lagebericht vom Abend des 01.11. heißt. Der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, rechnet mit einem neuen Höchststand an IntensivpatientInnen: "In zwei bis drei Wochen werden wir die Höchstzahl der Intensivpatienten aus dem April übertreffen - und das können wir gar nicht mehr verhindern. Wer bei uns in drei Wochen ins Krankenhaus eingeliefert wird, ist heute schon infiziert", sagte er.
Der bisherige Höchststand intensivmedizinisch behandelter COVID-19-Erkrankten hatte nach Daten der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) bei 2.933 am 18. April gelegen. Damals waren noch rund 3.400 der Betten in den Kliniken frei. Für den 1. November waren beim DIVI 2.061 solche PatientInnen und knapp 8.000 freie Plätze erfasst.
In der vergangenen Woche hatte auch DIVI-Präsident Uwe Janssens vor der sich zuspitzenden Lage gewarnt. "In 14 Tagen haben wir die schweren Krankheitsfälle, und unsere großen Zentren kommen unter Maximalbelastung", sagte er. Das Problem sei nicht so sehr die Zahl der Intensivbetten. "Wir haben mehr Betten und mehr Beatmungsgeräte als zu Beginn der Pandemie. Aber wir haben nicht eine müde Maus mehr beim Personal."
Gaß kündigte an, auch Pflegepersonal aus nicht-intensivmedizinischen Bereichen auf den Intensivstationen einzusetzen. "Das ist natürlich nicht optimal, aber in einer solchen Ausnahmesituation zu rechtfertigen."
Wie bei der Bevölkerung allgemein, steigt mit wachsenden Fallzahlen auch unter Klinik-MitarbeiterInnen der Anteil akut Infizierter, die am Arbeitsplatz fehlen. Das Schichtsystem auf Intensivstationen könne dann schnell aus den Fugen geraten, so Janssens. Ein beatmeter COVID-19-Patient braucht allein bis zu fünf Schwestern oder PflegerInnen.
Die Gesundheitsämter haben nach Angaben des Robert Koch-Instituts vom frühen Morgen des 02.11. 12.097 Corona-Neuinfektionen binnen eines Tages gemeldet. Erfahrungsgemäß sind die Fallzahlen an Montagen niedriger, auch weil an Wochenenden weniger getestet wird. Am Montag vor einer Woche hatte die Zahl der Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden bei 8.685 gelegen, vor zwei Wochen (19.10.) bei 4.325.
Insgesamt haben sich dem RKI zufolge seit Beginn der Pandemie bundesweit 532.930 Menschen mit dem Virus infiziert (Stand: 01.11., 00.00 Uhr). Die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus stieg bis Montag um 29 auf insgesamt 10.481. Das RKI schätzt, dass rund 355.900 Menschen inzwischen genesen sind.
Die Reproduktionszahl, kurz R-Wert, lag in Deutschland laut RKI-Lagebericht vom Sonntag bei 1,13 (Vortag: 1,13). Das bedeutet, dass zehn Infizierte etwa elf weitere Menschen anstecken. Der R-Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen etwa eineinhalb Wochen zuvor ab. Zudem gibt das RKI in seinem Lagebericht ein Sieben-Tage-R an. Der Wert bezieht sich auf einen längeren Zeitraum und unterliegt daher weniger tagesaktuellen Schwankungen. Nach RKI-Schätzungen lag dieser Wert am 01.11. ebenfalls bei 1,13 (Vortag: 1,13). Er zeigt das Infektionsgeschehen von vor 8 bis 16 Tagen.
"Die berichteten R-Werte lagen seit Anfang Oktober stabil deutlich über 1. Seit Anfang dieser Woche ist ein leichter Abwärtstrend zu verzeichnen", hieß es im Lagebericht des RKI vom 01.11.2020. Das könnte ein Anzeichen für eine Verminderung des Infektionsgeschehens sein.