Die Diabetologie lebt wie kaum ein anderes klinisches Fach der Medizin von der hohen Forschungsaktivität mit neuen Erkenntnissen, die translational zum Wohl der Patientinnen und Patienten angewandt werden können. In dem DDG-Symposium "Praxisrelevante Neuigkeiten aus der Forschung" wurden dazu neueste Erkenntnisse zusammengetragen. Zunächst referierte Eleanor Wheeler aus Cambridge, die ihren Vortrag mit "Genetics of type 2 diabetes" überschrieb.
Ihre positive Kernbotschaft: Durch neue molekulare Techniken ist es in den letzten Jahren gelungen, die genetischen Grundlagen für die Ausbildung von Übergewicht und Adipositas und des Typ-2-Diabetes im Rahmen des metabolischen Syndroms detaillierter zu erfassen. Dies bietet die Möglichkeit, die genetischen Komponenten von den Umweltkomponenten besser zu separieren und hier individuellere und präzisere Präventions- und Behandlungsprogramme für Menschen mit Übergewicht und Diabetes mellitus zu entwickeln.
Im zweiten Vortrag referierte Prof. Olga Kordonouri, ärztliche Direktorin des Kinder- und Jugendkrankenhauses auf der Bult in Hannover. Sie widmete sich den Bestrebungen, die Autoimmunität im Zusammenhang mit der Entwicklung eines Diabetes mellitus Typ 1 präventiv zu beeinflussen, um die Manifestation der Erkrankung hinauszuzögern, bzw. im Idealfall sogar zu verhindern. Gerade auf dem Gebiet der Immunprävention des Typ-1-Diabetes sind in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte erzielt worden. Welche Auswirkungen haben diese Erkenntnisse für die Prävention einer solchen Erkrankung bei Risikopersonen, wie beispielsweise Verwandten von Menschen mit Typ-1-Diabetes mit positiven Autoantikörpern? Der Traum von der Wiederherstellung der körpereigenen Insulinbiosynthese und Sekretion bei Diabetes mellitus wird weiter intensiv beforscht.
In ihrem Vortrag stellte Olga Kordonouri dazu einige vielversprechende Studien vor.
Ausgangspukt ist die Feststellung, dass es ziemlich lange dauert, bis man so wenig Insulin produziert, dass sich klinische Symptome zeigen. Wenn der Diabetes schon in der Kindheit auftritt, ist der Prozess dynamischer. Wenn der Diabetes später auftritt, verlangsamt sich die Entwicklung. Seit einigen Jahren gibt es daher eine neue Klassifikation des Typ 1 Diabetes der amerikanischen Diabetesgesellschaft.
zwei diabetesspezifische Autoantikörper vorhanden, Glukosewerte normal
Autoimmunität ausgebrochen, metabolische Zunahme der Dekompensation, entweder leicht erhöhe Nüchternblutzuckerwerte oder im oralen Glucostoleranztest zwei Stunden ein Wert von 140-199 mg/dl, HbA1c-Anstieg im grauen Bereich
Typische Symptome, anhaltende Hyperglykämie, Glucosewerte im OGTT 200 mg/dl, HvA1c Größer 6,5 % (48 mmol/mol)
Wo kann jeweils eine Typ 1 Diabetesprävention ansetzen?
Primäre Prävention:
sekundäre Prävention:
tertiäre Prävention:
Unter dem Motto "Früh erkennen, früh behandeln" hat ein europäisches Konsortium die Plattform GPPAD gebildet – mit Studienzentren in Deutschland, Polen, Belgien, Schweden, Großbritannien. Federführend ist das HelmholtzZentrum München. Ziel ist, frühzeitig zu erkennen, wer ein erhöhtes Risiko hat, früh im Leben eine Autoimmunität zu entwickeln. Die entsprechende Strategie: Im Rahmen des Neugeborenenscreenings direkt bei der Geburt anzusetzen, um festzustellen, ob Kinder ein über 10-prozentiges Risiko für eine Autoimmunität bis zum 6. Lebensjahr haben. Durch Aufklärung betroffener Familien soll erreicht werden, frühzeitig Symptome zu erkennen.
Point Studie
Eine primär präventive Studie mit 1.050 Kindern zwischen 4 und 7 Monaten mit hohem genetischem Risiko, bei der Insulin oral bis zum dritten Lebensjahr verabreicht wird, mit follow up bis zu 7,5 Jahren. Ergebnisse werden 2025 erwartet.
Sintia Studie
Ziel ist die rechtzeitige Supplementierung mit dem Bifidobakterium, also die Vorbereitung des Darmmikrobioms, Teilnehmer sind 1.144 Kinder zwischen 1 und 6 Wochen alt, Dauer: ein Jahr, placebokontrolliert, Nachverfolgung bis zum 6. Lebensjahr. Ergebnisse werden 2017 erwartet.
Dazu gibt es eine Phase II placebokontrollierte Studie mit einem Anti CD3 monoklonalen Antikörper, bei 14-tägiger Gabe i.V. von Teplizumab, Nachverfolgung OGITT alle 6 Monate.
Der Zeit bis zur Diagnose von T1D konnte um ca. 2 Jahre verhindert werden. Die Ergebnisse weiterer Studien mit ähnlichen Zielen werden in den nächsten Jahren erwartet.
Dadurch kommt es zu weniger akuten Komplikationen, wie schwere Hypoglykämien und weniger diabetesassoziierten, mikrovaskulären Komplikationen.
Die Intervention erfolgte durch den monoklonalen Antikörper Golimumab. Eingeschlossen in der randomisierten Studie waren 84 Kinder und junge Erwachsenen, zwischen 6 und 21 Jahren, primärer Endpunkt: endogene Insulinproduktion (4-Stunden-c-Pwptid AUC) in Woche 52.
Sekundärer Endpunkt: Insulinverbrauch, HbA1c, Anzahl der hypoglykämischen Ereignisse, Verhältnis von nüchtern-Proinsulin zu C-Peptid. Nach einem Jahr war tatsächlich signifikant mehr C-Peptid zu finden, der Insulinverbrauch war signifikant gesunken, keine Unterschiede gab es bei HbA1c.
Die internationale PROTECT Studie mit Teplizumab hat die Rekrutierung von 300 Patienten abgeschlossen. Die Ergebnisse sind 2023 zu erwarten.
Zum Schluss wies die Referentin auf die europäischen Netzwerke INNODIA und INNODIA HARVEST hin, die alle Wissenschaftler:innen, Forschende und Kliniker:innen im Bereich der T1D verbinden. Deren Ziel ist die Erzeugung vergleichbarer Daten.
Die internationale Vernetzung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet T1D ist sehr gut.
Es gibt klare Strategien und Fokussierung, sowie Präventionsansätze.
"2000 Jahre nach Erstdefinition der Diabeteserkrankung, 100 Jahre nach Entdeckung des Insulins, 40 Jahre nach Erstbeschreibung des Diabetes als Autoimmunerkrankung – ist der Weg ist noch (mittel)lang."
Quelle: Diabetes Herbsttagung 2021; DDG-Symposium "Praxisrelevante Neuigkeiten aus der Forschung"