Die Antibabypille und der Suizid

Das BfArM hatte unlängst einen Warnhinweis herausgebracht, dass die Verwendung hormoneller Verhütungsmittel die Selbstmordgefahr erhöhen könnte. Grundlage dafür war ein Warnhinweis der EMA, der auf zwei dänischen Studien basierte; eine Meldung über die Kunst des gedankenlosen Abschreibens.

Erhebliche methodische Fehler, sodass die Studien wertlos sind

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hatte unlängst einen Warnhinweis herausgebracht, dass die Verwendung hormoneller Verhütungsmittel die Selbstmordgefahr erhöhen könnte. Grundlage dafür war ein Warnhinweis der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), der auf zwei dänischen Kohortenstudien basierte. Eine Meldung über die Kunst des gedankenlosen Abschreibens.

"Die dänischen Studien haben so erhebliche methodische Fehler, dass sie wertlos sind“, erläuterten Dr. med. Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte und Prof. Dr. med. Anton Scharl, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, gemeinsam Präsidenten des German Board and College of Obstetrics and Gynecology (GBCOG).

Auswertung nur aus Bevölkerungsregistern

Die Studien stützten sich lediglich auf Daten aus den dänischen Bevölkerungs- und Gesundheitsregistern. Darüber hinaus wurden keine ärztlichen Diagnosen in die Studie mit einbezogen. Die Studienautoren erklärten, dass Mädchen und Frauen, die aktuell hormonell verhüteten, häufiger Antidepressiva bekamen (2,2% gegenüber 1,7%) als Mädchen und Frauen ohne hormonelle Verhütung, und dass in der Gruppe der Frauen mit Pille häufiger Selbstmordversuche (0,15% gegenüber 0,18%) und Selbstmorde (0,0006% gegenüber 0,0019% pro Jahr) vorkamen.

Vergleich hormonelle Verhütung versus keine hormonelle Verhütung unvollständig

Junge Mädchen und Frauen, die hormonell verhüten, sind in der überwiegenden Zahl sexuell aktiv. Man kann davon ausgehen, dass junge Mädchen und Frauen, die nicht hormonell verhüten, in weit geringerem Maß sexuell aktiv sind. Im Grunde genommen wurde also in beiden dänischen Studien ein Vergleich gezogen zwischen sexuell aktiven und sexuell nicht aktiven Mädchen und Frauen und zwar mit völlig unklaren Überschneidungen.

Arztkontakte – wer, wann, wie oft?

Hormonelle Verhütungsmittel sind verschreibungspflichtig. Es sind deshalb regelmäßige Arztbesuche notwendig zur Verordnung und für Kontroll-Untersuchungen. Von den Mädchen und Frauen in den dänischen Studien, die keine hormonellen Verhütungsmittel verwendeten, ist unbekannt, ob und wie häufig sie einen Arzt aufsuchten. Bei regelmäßigen Arztbesuchen können auch weitere Diagnosen gestellt werden, von Bluthochdruck bis Depression. Bleiben Arztbesuche aus, werden diese Erkrankungen später oder gar nicht diagnostiziert.

Depressionen und Suizidalität von der Hormontyp und -dosis unabhängig

Wenn die Einwirkung der Hormone aus den Verhütungsmitteln eine depressive Symptomatik verstärken würde, dann müssten bei Mädchen und Frauen, die Arzneimittel mit einer höheren Dosierung erhalten, häufiger Depressionen zu sehen sein. Das ist nicht der Fall. Die Verordnung von Antidepressiva ist völlig unabhängig von der Hormondosis, die in den Verhütungsmitteln verwendet wurde.

Zudem haben unterschiedliche Östrogene und Gestagene auf die Psyche sehr unterschiedliche, teilweise gegensätzliche Wirkungen. Was das Selbstmordrisiko angeht, so wäre zu erwarten, dass Verhütungsmittel, von denen ein stärkerer Einfluss auf die Stimmung bekannt ist, zu einem höheren Suizidrisiko führen. Das ist nicht der Fall. Die Erhöhung der Selbstmordgefahr ist unabhängig davon, welche Hormondosierungen, welche Östrogen- und Gestagentypen verwendet wurden.

Alle diese Faktoren sprechen dafür, dass es sich lediglich um einen zeitlichen Zusammenhang zwischen hormoneller Verhütung, Verordnung von Antidepressiva bzw. Suizidalität handelt, dass aber keine ursächlichen Zusammenhänge bestehen.

Depressivität – zu selten diagnostiziert

Depressionen treten bei Jugendlichen und jungen Frauen in einer Häufigkeit von über 10% auf, wie eine sehr sorgfältige Studie des Robert-Koch-Instituts gezeigt hat. Aber sie können nur diagnostiziert und behandelt werden, wenn sich die Erkrankten bei einem Arzt vorstellen. Da der Krankheitswert der Depression oft gar nicht von den Betroffenen selbst erkannt wird, wird die Diagnose häufig anlässlich eines Arztkontaktes aus einem anderen Grund gestellt. In der dänischen Studie von 2016 nahmen 2,2% der Frauen, die hormonell verhüteten, Antidepressiva ein, dagegen nur 1,7% derer, die nicht hormonell verhüteten. Auch wenn die Verordnung eines Antidepressivums nicht bei allen depressiven Erkrankungen indiziert ist, kann man aus diesen Zahlen vermuten, dass bei Frauen, die sich nicht bei einem Arzt vorstellen, bei Weitem zu selten die Diagnose "Depressive Erkrankung" gestellt wurde.

Selbstmord – Pille oder Gewalt?

Bei Jugendlichen, die einen Suizidversuch unternehmen, ist fast immer eine Krisensituation voraus-gegangen. Häufig werden Trennungen der Eltern, Drogen- und Alkoholkonsum, Gewalt und sexueller Missbrauch als auslösendes Ereignis angegeben.

Die dänische Studie aus 2017 ist nicht in der Lage, zwischen Krisensituationen im Zusammenhang mit Partnerschaften und sexueller Aktivität einerseits und hormoneller Verhütung andererseits zu unterscheiden.

Fazit

"Die Zahlen aus den beiden dänischen Studien beschreiben einen zeitlichen Zusammenhang, aber mehr auch nicht", erläutert Dr. med. Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte. "Um die Frage zu beantworten, ob ein Arzneimittel bestimmte Nebenwirkungen hervorruft, und um dabei zufällige Zusammenhänge auszuschließen, muss man aufwendige, am besten doppelblinde Studien durchführen", erläuterte Prof. Dr. med. Anton Scharl, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe.

In solchen Studien, die es auch für hormonelle Verhütungsmittel durchaus gibt, wurden bisher widersprüchliche Ergebnisse gefunden, sowohl positive als auch negative Veränderungen. Es konnte aber auch gezeigt werden, dass sich vor allem Frauen, bei denen bereits vor der Behandlung eine depressive Verstimmung oder ein starkes prämenstruelles Syndrom vorhanden war, die psychischen Symptome verstärken konnten – andererseits aber kann eine geeignete hormonelle Verhütung bei schwerem prämenstruellem Dysphorie-Syndrom auch hilfreich sein.

"Es gibt sehr unterschiedliche hormonelle Verhütungsmittel mit Wirkstoffen, die sehr unterschiedlich auf die Psyche wirken können", wie Prof. Dr. med. Diethelm Wallwiener, Sprecher des GBCOG, zusammenfassend betonte. Wenn ein Mädchen oder eine Frau unter einer bestimmten Art der Verhütung Stimmungsveränderungen beobachtet, dann sollte sie das mit ihrer Frauenärztin oder ihrem Frauenarzt besprechen, sodass eine andere, möglichst ebenso zuverlässige Verhütung gefunden werden kann. Mehr dazu finden Sie auch in unserem aktuellen Podcast zur hormonellen Verhütung.