Digitalisierung in der Medizin: Gestalten oder ertragen?

Was gestern noch wie Zukunftsmusik klang, ist vielfach technisch heute bereits möglich und wird andernorts auch umgesetzt – nur eben nicht in Deutschland. Die Eröffnungsveranstaltung des diesjährigen Hauptstadtkongresses bot Einblicke in das, was technisch schon geht, und in das, was den Fortschritt hemmt.

Ein Hauptstadtkongress der Visionen und Möglichkeiten

Überwachung von Herzpatienten per App, passgenaue Organe aus dem 3D-Drucker, Roboter in der Pflege. Was gestern noch wie Zukunftsmusik klang, ist vielfach technisch heute bereits möglich und wird andernorts auch umgesetzt – nur eben nicht in Deutschland. Die Eröffnungsveranstaltung des diesjährigen Hauptstadtkongresses bot Einblicke in das, was technisch schon geht, aber ebenso in die reichhaltige Ideenwelt kreativer deutscher Köpfe. Vor allem aber wurden Probleme und Hemmnisse benannt, die dazu führen, dass Deutschland zukünftig seine Vorreiterrolle in der Medizin an Konkurrenten aus dem Ausland verlieren könnte. "Wir können Digitalisierung gestalten oder sie von außen kommend ertragen", fasste Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Situation treffend zusammen.

Die Zeiten in der deutschen Medizinlandschaft könnten spannender kaum sein. Die digitale Revolution wird die medizinische Versorgung von Grund auf verändern. Schon heute sind Gesundheitsapps, Smartphones und Smart-Watches nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken. Mit ihrer Hilfe ist jeder Bürger in der Lage, Gesundheitsdaten seines Körpers jederzeit und bei jeder Gelegenheit zu erfassen und auszuwerten. Auf der Gegenseite trifft dieser potenzielle Patient jedoch hierzulande allzu oft auf ein Medizinsystem, welches viele seiner Daten noch auf Papier erfasst, wie z. B. in der Pflege, oder Daten nicht zwischen Arzt, Apotheke und Rehaklinik austauscht.

Was also bereits im Kleinen auf jedem Handy funktioniert, sollte doch auch im großen Rahmen Entlastung und Kommunikationsmöglichkeiten bringen sowie die Patientenversorgung vereinfachen können. Auf dem Weg in eine digitale Zukunft fehlt es in der Medizin jedoch noch immer an den richtigen gesetzlichen Rahmenbedingungen, z. B. beim Datenschutz und der Datensicherheit, einer ausreichenden Finanzierung – bestenfalls über ein eigenes Digitalbudget – und an der finalen Klärung der alles entscheidenden Frage, ob ambulante oder stationäre Dienste Leistungserbringer sein sollen.

Die gesundheitliche Versorgung in Deutschland ist gut

Grundsätzlich ist die ärztliche Versorgung bei uns gut, aber selbstverständlich gibt es auch Probleme, die es zu bewältigen gilt. Eines davon ist beispielsweise die mangelnde Vernetzung bzw. sektorenübergreifende Betreuung der Patienten. Eine intelligent ausgeführte Digitalisierung kann diese Mängel schnell abbauen helfen und fördert unter anderem die Kooperation beim Entlassungsmanagement und in der Notfallversorgung.

Am Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Potsdam werden die Chancen des digitalen Patienten genauer untersucht. Der Bürger und seine Daten stehen im Mittelpunkt der Zukunftsmedizin – auch in Deutschland. Die Forscher am HPI haben hierzu ihren Beitrag in Form einer non-profit Health-Cloud geleistet. Eine Kommerzialisierung von Patientendaten ist somit ausgeschlossen.

Der Datenschutz steht bei diesem Pilotprojekt an oberster Stelle, der Patient soll zu jeder Zeit die volle Kontrolle über seine Daten behalten. Er kann diese anschließend mit teilnehmenden Ärzten, Apothekern oder Pflegediensten teilen. "Digitalisierung bietet die große Chance, Kosten im Gesundheitswesen zu senken und die Versorgungsqualität nachhaltig zu verbessern", ist sich Prof. Dr.  h. c. mult. Hasso Plattner, der Gründer von SAP, sicher.

Anwendungsmöglichkeiten in der Diagnostik

Martin Hirsch, Gründer der Ada Health App, sieht die Hauptanwendungsmöglichkeiten von Digitalisierung gepaart mit Künstlicher Intelligenz (KI) in der Anamnese- und Diagnose-Unterstützung von Ärzten. Gerade die Symptome von bis zu 7.000 sehr seltenen Erkrankungen kann heute kein Mediziner wirklich im Kopf haben. Für die Patienten bedeutet dies zumeist einen langen Leidensweg bis zur Diagnose. Hirsch und seine Kollegen bieten die bisher fortschrittlichste KI-basierte Diagnose-Software weltweit an und möchten diese gern auch auf seltene Erkrankungen ausweiten.

Hirsch wünscht sich, dass solche Innovationen auch zukünftig noch "made in Germany" bleiben und nicht durch ausländische Investoren aufgekauft werden. Für die Weiterentwicklung und Implementierung müsse aber die Politik jetzt die Weichen stellen, denn sonst verpasst der Medizintechnik-Markt Deutschland den Anschluss. Entscheidungsfreude gepaart mit Verlässlichkeit wird die medizinische Digitalisierung voranbringen.

So sieht es auch Jens Spahn, Bundesminister für Gesundheit, der die Digitalisierung mit großen Schritten in Gang setzen möchte. Dabei stützt er seine Bemühungen auf vier wesentliche Punkte: die Digitalisierung und Vernetzung von Daten, eine Pflege-Offensive, welche den Beruf wieder attraktiv machen soll, eine Stärkung sektorenübergreifender Kooperationen sowie die finanzielle Sicherung von Vorsorge und Versorgung in der Medizin.

Die Antwort auf die Frage, die es dafür zu beantworten gilt – "Gestalten wir, oder ertragen wir?" – wird die Richtung der deutschen Politik in der Digitalisierung des Gesundheitswesens vorgeben. Es bleibt zu hoffen, dass die derzeitige Legislaturperiode genug Gestalter vereint, damit Gesundheit und Wohlstand auch in Zukunft Spitzenplätze in diesem Land einnehmen können.

Quelle:
Eröffnung des 21. Hauptstadtkongresses am 6. Juni 2018, Berlin