In der Corona-Krise werden Videosprechstunden in der Psychotherapie reichlich genutzt - ganz zurückdrehen dürfte sich das Rad auch nach der Pandemie nicht.
In der Corona-Krise haben sich Psychotherapien zeitweise nur mit Hilfe von Videotechnik fortsetzen lassen. Angesichts dessen führte die Pandemie zu einem regelrechten Digitalisierungsschub bei rheinland-pfälzischen PsychotherapeutInnen. Vorher hätten vielleicht fünf Prozent auf Video-Sprechstunden gesetzt, mittlerweile böten sie ungefähr zwei Drittel an, sagte die Präsidentin der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz, Sabine Maur.
Lange Zeit hätten sich Praxen nicht bewegen müssen, die PatientInnen seien so oder so gekommen. Nun seien sehr viele neue Erfahrungen mit neuen Formaten gemacht worden. Maur kann sich vorstellen, dass dadurch neue Personenkreise für Therapien gewonnen werden können. Dass die Krise selbst auch Folgen für die Psyche mancher Menschen hat, zeigt derweil eine Online-Studie der Mainzer Johannes Gutenberg-Universität.
Kammer-Präsidentin Maur lobte, dass in für das Gesundheitswesen ungewohnt schneller Art auf die Einschränkungen der Pandemie reagiert worden und die komplette Umstellung auf Video-Sprechstunden ermöglicht worden sei - wenn auch zunächst befristet. Ihr erstes Fazit: Video-Sprechstunden funktionierten bei vielen Personen gut, bei manchen eingeschränkt und bei manchen gar nicht.
Vieles sei zuletzt "Learning-by-doing" gewesen, sagte Maur. "Das war oft der Sprung ins kalte Wasser." Noch basierten die Erfahrungen fast nur auf Sprechstunden mit schon bekannten PatientInnen. Wie das bei neuen Kontakten funktioniere, bleibe abzuwarten, hier sei künftig auch ein Mix aus Terminen in der Praxis und Online-Terminen denkbar.
Video-Sprechstunden könnten unter anderem Menschen mit körperlichen Einschränkungen helfen, die sonst nur schwer in Praxen kommen könnten, sagte die Kammer-Präsidentin. Erleichterungen könnten sie zudem für Menschen bringen, die sonst beispielsweise mit dem ÖPNV aus dem Hunsrück lange Zeit in eine Praxis in Mainz fahren müssten. Bei jungen Menschen könnte das Angebot mit Video-Sprechstunden die Schwelle senken, sich überhaupt in eine Therapie zu begeben.
Andererseits hätten Video-Sprechstunden auch Schwächen. Die TherapeutInnen empfänden sie als anstrengender, es sei schwieriger, Pausen oder Bewegungselemente einzubauen, es fehle an Elementen von non-verbaler Kommunikation. Teils könnten Video-Sprechstunden auch daran scheitern, dass es PatientInnen an technischer Ausstattung mangele oder die Internetverbindung zu schlecht sei. Und zu guter Letzt blicke man mit einer Video-Sprechstunde in das Wohnumfeld des Gegenübers. "Das ist ambivalent." Einerseits könne das wichtige Informationen bringen, andererseits gebe es eben Privatsphäre.
Einen Einblick in das individuelle Empfinden vieler Menschen in der Krise bietet eine Online-Studie des Psychologischen Instituts der Mainzer Johannes Gutenberg-Universität (JGU). Sie beschäftigte sich schon in der frühen Phase der Pandemie mit der Frage, wie sich Kontaktbeschränkungen auf die Psyche auswirken. Zwischen dem 25. März und dem 13. April beteiligten sich knapp 4.300 Menschen, mit so einer Resonanz sei nicht zu rechnen gewesen, sagte Studienleiter Michael Witthöft. Normalerweise meldeten sich bei Studien etwa 300 Menschen. Diese Studie sei zwar nicht repräsentativ gewesen, habe aber einen ersten Eindruck gegeben und wegen des frühen Zeitpunkts viel Beachtung gefunden.
Die Testpersonen beantworteten Fragen zu ihrer Mediennutzung, zu Emotionen und möglichen Konflikten. Über 40 Prozent zeigten Anzeichen emotionaler Beeinträchtigungen, empfanden Gefühle wie Einsamkeit, Traurigkeit oder Ärger. 17 Prozent sprachen in dieser recht frühen Pandemie-Phase von vermehrten häuslichen Konflikten. "Das enge Beisammensein und die intensive Kinderbetreuung nach Kita- oder Schulschließungen spielen hier wohl wichtige Rollen", sagte Witthöft. Das dürfte sich im weiteren Verlauf noch weiter gesteigert haben, vermutet er. Es sei aber eine falsche Lesart der Studie, zu sagen, dass die Krise sämtliche Bevölkerungsteile hart getroffen habe. Das Gros sei im Rahmen der Möglichkeiten zurechtgekommen.
"Die, die unter psychischen Störungen wie Angstzuständen leiden, waren stärker beeinträchtigt vom Social Distancing", erklärte Witthöft. Es brauche daher auch nicht weitere allgemeine Hilfsangebote, sondern Angebote für spezifische Gruppen. Es sei sehr wichtig, spezifisch hinzuschauen, welche Person welche Unterstützung brauche. "Hier müssen wir mehr tun." Witthöft und sein Team haben schon eine weitere Studie in Zusammenarbeit mit der Uni Konstanz und des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim gestartet - sie dreht sich um Krankheitsängste in Pandemie-Zeiten.