Disorazol wird von Myxobakterien produziert und hemmt die Teilung menschlicher und tierischer Zellen. Damit wäre der in der Natur vorkommende Wirkstoff ein vielversprechender Kandidat in der Krebstherapie. Doch weil Disorazol zu aktiv und unselektiv agiert und auch bei gesunden Zellen den Zelltod verursacht, ist es in seiner natürlichen Form ungeeignet. Nun wurde im Chemieinstitut der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg eine künstliche Variante nachgebaut, die Tumorzellen direkt angreifen könnte.
Das Chemikerteam Prof. Dieter Schinzer, Dr. Oliver Spieß und Luca Lizzadro hat die Synthese von Disorazol bereits beim Europäischen Patentamt angemeldet. Auf Grundlage des künstlichen Disorazols kann der Wirkmechanismus des Moleküls künftig so moduliert werden, dass er zielgerichtet Tumorzellen angreift. Dann könnte es als Entwicklungskandidat in der Krebstherapie geprüft werden. Das modelierte Molekül müsste zuerst an ein bestimmtes Protein, einen Antikörper, andocken und könnte damit zielgerichtet zum Tumor geführt werden. Dann würde der Wirkstoff freigesetzt werden und selektiv die Teilung kranker Tumorzellen hemmen. Der Zelltod, die Apoptose, würde dann nur dort ablaufen, wo er gewollt ist.
Bei der Synthese entsteht aus einzelnen Bausteinen eine neue Verbindung bzw. aus einfach gebauten Verbindungen ein komplexer neuer Stoff. Im Gegensatz zu einer Mischung können aus einer synthetisierten Verbindung die Ausgangsstoffe nicht wiedergewonnen werden.
Den WissenschaftlerInnen vom Lehrstuhl für Organische Chemie gelang es, innerhalb von weniger als 24 Monaten das Disorazol-Molekül synthetisch herzustellen. Zwar habe Disorazol bereis in früheren Versuchen anderer Forschende synthetisiert werden können, aber das in Magdeburg entwickelte Verfahren wurde so optimiert, dass eine hocheffiziente Herstellung mit einer großen Gesamtausbeute möglich werde, erklären Luca Lizzadro und sein Doktorvater Prof. Dr. Dieter Schinzer.
Im neuen Syntheseansatz der Magdeburger Forschenden werden durch robuste aufeinanderfolgende Reaktionen die einzelnen Molekülbausteine Schritt für Schritt aufgebaut und anschließend durch effiziente Verfahren zu einem Gesamtmolekül gekuppelt. Dabei werde laut Schinzer zuerst versucht, durch eine theoretische Analyse das Zielmolekül in einfache Bausteine zu zerlegen. Die eigentliche Herausforderung bestehe im zweiten Schritt darin, die Synthese, also den umgekehrten Weg von chemischen Reaktionen von den einzelnen Bausteinen hin zum Zielmolekül, dann wirklich im Labor durchzuführen. "Da die Bausteine immer komplexer werden, klappt es häufig nicht mehr mit theoretischen Vorhersagen, dann wird es kompliziert, da bestimmte Umwandlungen und Reaktionen von Molekülbausteinen, die man sich ausgedacht hat und die vielleicht auch in der Literatur beschrieben sind, einfach nicht funktionieren, da andere Teile im Molekül zerstört werden. Man braucht dann einen langen Atem." Alternativstrategien werden dann solange entwickelt, bis man endlich versteht, was im Einzelnen passiert.
Die bislang veröffentlichten drei anderen Synthesewege konnten nur sehr geringe Mengen des Naturstoffs erzeugen, so Schinzer, und eigneten sich daher wenig für eine breit angelegte biologische Testung dieser hoch aktiven Substanz und deren synthetischer Derivate.