Seit vielen Jahren stehen Doktorarbeiten in der Medizin wegen qualitativer Mängel in der Kritik. Aber bis Titel wieder entzogen werden, kann es dauern, wie neue Daten aus Berlin zeigen.
Wegen Plagiaten hat die Berliner Charité mehreren MedizinerInnen ihre Doktortitel entzogen. Von 34 Verdachtsfällen bei Dissertationen und Habilitationsschriften seien 20 abgeschlossen, davon sechs mit Titel-Entzug, teilte die Senatskanzlei - Wissenschaft und Forschung mit.
Elf Mal wurde laut der Senatsantwort eine Rüge ausgesprochen. Drei Verfahren wurden eingestellt, weil sich die Vorwürfe nicht oder nur teilweise bestätigten. 14 Verfahren laufen, darunter sind auch mehrere Klagen vor dem Verwaltungsgericht nach einem Titelentzug. Die Verdachtsfälle waren von den Plagiatsjägern von VroniPlag Wiki gemeldet worden, viele davon stammen von 2014. Pro Jahr werden an der Charité nach eigenen Angaben rund 500 Dissertationen und rund 50 Habilitationen erstellt.
"Die Charité ist dankbar für alle Hinweise auf wissenschaftliches Fehlverhalten und sieht sich verpflichtet, alle Fälle umfassend zu prüfen und aufzuarbeiten", heißt es. So würden die "seitens VroniPlag inkriminierten Fälle immer nochmals gegengeprüft und validiert". Insgesamt seien die Verfahren wegen rechtlicher Unsicherheiten meist "sehr langwierig". Generell würden Dissertationen und Habilitationen "regelhaft zumindest stichprobenartig auf Plagiate geprüft".
Die Berliner Plagiatsexpertin, Debora Weber-Wulff, die bei VroniPlag Wiki aktiv ist, sagte, sie gehe von noch viel mehr Plagiaten aus. "Es werden laufend Fälle geprüft." Allerdings nehme die penible Dokumentation auf ehrenamtlicher Basis sehr viel Zeit in Anspruch.
Auch nach einem Titelentzug dürfen MedizinerInnen praktizieren. Was genau eine Rüge bei einem bestätigten Plagiat zur Folge hat, ist laut Weber-Wulff unklar: "Das steht nicht in der Ordnung", sagte die Professorin der HTW Berlin. Nach ihrer Erfahrung stehen beanstandete Arbeiten manchmal weiter - ohne Kennzeichnung - in Bibliotheken.
Qualitätsprobleme bei Doktorarbeiten in der Medizin sind seit Jahren bekannt. "Sogenannte Doktorarbeiten der Medizin sind bestenfalls vergleichbar mit einer Seminararbeit in anderen Fächern", sagte Weber-Wulff. Teils handle es sich um "mini kleine Arbeiten" mit wenig Tiefgang - in einem ihr bekannten Extremfall mit drei Seiten.
Berlin sieht die Wissenschaftlerin nicht als besonderen Hotspot, zum Beispiel in Münster habe die Gruppe auch mehr als 20 Verdachtsfälle gemeldet: "Ich vermute, es ist überall." Betroffen sei auch nicht nur die Medizin. Sie bitte die Unis seit Jahren, aktiv zu werden, vermutet dort unter anderem aber auch Ängste vor Klagen.
Zahlen aus einer Antwort auf eine parlamentarischen Anfrage von 2018 zeigen, dass an Berliner Unis nicht in größerem Maßstab Doktortitel aberkannt wurden, viele Verfahren galten aber auch noch als anhängig. Neuere Daten liegen laut Wissenschaftsverwaltung nicht vor, eine Abfrage sei aber für den Herbst geplant. Derzeit gibt es in Berlin einen prominenten Verdachtsfall: Die FU prüft seit einigen Monaten die Doktorarbeit von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD). Wann mit einem Ergebnis zu rechnen ist, ist noch unklar.