Hier ein Schokoriegel, dort ein paar Chips - viele Kinder im Freistaat Thüringen essen schlecht und bewegen sich wenig. Experten warnen vor großen Problem für das Gesundheitssystem. Und für die Betroffenen.
Wenn am Donnerstag mehr als 18.000 Thüringer i-Männchen zum ersten Mal ihren Schulranzen packen, haben viele ohnehin schon zu viel zu tragen. Mehr als jeder zehnte Erstklässler ist zu dick. Fachleute sprechen angesichts der Zahlen gar von einer Epidemie. Die Entwicklung der vergangenen Jahre macht nicht unbedingt Mut - dabei war der Bundestrend zuletzt sogar leicht rückläufig.
"Derzeit liegt der Anteil übergewichtiger Kinder je nach Bundesland zwischen 8,2 und 12 Prozent, darunter waren zwischen 2,8 und 5,3 Prozent adipös", teilte die Deutsche Gesellschaft für Ernährung im Februar für das gesamte Bundesgebiet mit. Und der Freistaat? Tummelt sich laut Daten des Thüringer Landesverwaltungsamts im Spitzenfeld.
12,1 Prozent - also mehr als 2.200 - der Erstklässler hatten im vergangenen Jahr zu viel auf den Rippen. 5,3 Prozent davon waren fettleibig. In den beiden Vorjahren lagen diese Werte bei 11,1 beziehungsweise 4,7 Prozent. Höher war die Quote der übergewichtigen Kinder zuletzt 2007 (12,5 Prozent), ein Jahr zuvor lag sie auf Rekordniveau (13,1 Prozent).
Das Problem ist lange bekannt, aber es ändert sich so gut wie nichts. Schlimmer noch: Mit steigendem Alter steigt auch der Anteil der Dicken. Thüringen wird dicker und dicker. In der achten Klasse ist schon jeder fünfte übergewichtig.
"Das ist eine Epidemie, die auf uns zugerollt kommt", sagt Axel Dost, Oberarzt an der Kinderklinik des Uniklinikums Jena. Er sieht im Übergewicht und seinen Folgen das Hauptproblem für das deutsche Gesundheitssystem der kommenden Jahrzehnte. Die adipösen, also krankhaft und besonders stark übergewichtigen, Kinder seien "typische Kandidaten für eine Typ-2-Diabetes". Hinzu kämen Altersbeschwerden wie Bluthochdruck oder Gelenkschmerzen. Und die restlichen Übergewichtigen? "Wenn die nichts machen mit ihrem Übergewicht, rutschen die auch in die falsche Richtung", sagt Dost.
"Die Kinder essen zu fettig und bewegen sich zu wenig", betont der Experte. Es bestehe ein klarer Zusammenhang zwischen Bildschirmzeit und Gewicht. Früher habe vor allem das Fernsehen die Kinder von der Bewegung abgehalten, heute seien es Smartphones und Computer. "Die Kleinen, die bewegen sich ja, die rennen rum - bis sie das Handy entdecken", sagt Dost.
Ebenso entscheidend sei die richtige Ernährung. Dost sieht in Ganztagsschulen eine Chance. "Wenn die Kinder da vernünftig ernährt werden, haben sie schon mal die Hälfte des Tages vernünftige Kost." Der Experte verweist aber auch auf die Verantwortung der Eltern. "Kinder lernen ja am Modell."
Gesunde Ernährung in der Schule? Möglich sei das, sagt Alexandra Lienig von der Thüringer Vernetzungsstelle Schulessen. Mittlerweile gebe es eine beachtliche Auswahl vegetarischer Speisen in den Schulmensen. Die Eltern müssten allerdings die richtige Wahl für ihre Kinder treffen - und das geschehe zu selten. Lienig kritisiert vor allem die Qualität der Fleisch-Mahlzeiten. Sie hätten zu oft einen hohen Fett- und Salzgehalt.
Fred Hamann vom Thüringer Lehrerverband sieht an seiner Grundschule in Gera täglich übergewichtige Kinder. Dass aber jeder zehnte Erstklässler zu dick sei - das sieht er nicht. "Ich halte es für ein Problem, aber ich halte es nicht für ein dramatisches Problem", sagt er. Die Schulen versuchten, mit gesunder Ernährung und ausreichend Bewegung gegenzuhalten. "Wir als Lehrer achten natürlich schon darauf und versuchen, da Einfluss zu nehmen", sagt Hamann. Dennoch gebe es zu viele Kinder, die für die Frühstückspause Schokoriegel statt Obst und Gemüse dabei hätten.
Laut Thüringer Bildungsministerium sind alle Schulen im Land gesetzlich verpflichtet, "ein Konzept zur Gesundhaltung und zur gesunden Lebensweise zu erstellen". Gesunde Ernährung sei ebenso Bestandteil des Unterrichts wie einheimische Kulturpflanzen oder Sexualkunde und "die Gesunderhaltung des menschlichen Körpers". Schule allein könne auf gesellschaftliche Herausforderungen jedoch nur bedingt reagieren. Auch die Eltern sind gefragt.