Im Prozess um tausendfachen Abrechnungsbetrug von Pflegeleistungen hat die angeklagte Chefin mehrerer Pflegediensteinrichtungen die Vorwürfe eingeräumt. “Es werden mir in drei Anklagen über 1000 Fälle vorgeworfen, das trifft überwiegend zu”, sagte die frühere Geschäftsführerin von Bremerhavener und Cuxhavener Pflegediensteinrichtungen am Donnerstag vor dem Bremer Landgericht. “Ich stehe absolut dazu, was geschehen ist. Ich trage die Verantwortung für meine Mitarbeiter.”
Das Geständnis ist Teil der vor der Wirtschaftsstrafkammer von den Prozessbeteiligungen geschlossenen Verständigung auf einvernehmliche Verfahrenseinigung. Danach wird die 37 Jahre alte gebürtige Bremerhavenerin eine Freiheitsstrafe zwischen viereinhalb und fünfeinhalb Jahren wegen gewerbsmäßigen Betrugs erhalten. Außerdem muss sie eine Geldstrafe von mindestens 240 000 Euro bis maximal 360 000 Euro zahlen.
Die Abrechnungspraktiken seien auf ihre Veranlassung hin geschehen, sagte die Angeklagte weiter. “Insgesamt wurden die Leistungsträger von mir getäuscht”, sagte sie. “Wenn ich mir die Gesamtsumme anschaue, finde ich die Summe schon erschreckend.” Verschiedenen Krankenkassen wie der AOK Bremen/Bremerhaven und Niedersachsen, Pflegekassen und Sozialhilfeträgern soll nach Angaben der Staatsanwaltschaft in 1146 Fällen ein Gesamtschaden von mehr als 800 000 Euro entstanden sein. Die Abrechnungsbetrügereien liegen in einem Zeitraum von 2009 bis Mitte 2016.
Die Frau, die Ende des Jahres ihr erstes Kind erwartet, sagte, sie sei froh, “das der Leistungsdruck erstmal weg ist”. Im Jahr 2000 nach Abschluss ihrer Ausbildung zur examinierten Krankenschwester machte sie sich mit einer Pflegeeinrichtung selbstständig. “Ich war allein und hatte zunächst sechs Kunden.” Dann begann eine rasante Entwicklung: In Bremerhaven eröffnete sie im Dezember 2003 zusammen mit einem Investor einen Neubau für betreutes Wohnen mit 42 barrierefreien Mietwohnungen, Pflegeeinrichtungen und einem Restaurant im Erdgeschoss. Gut zwei Jahre später wurde mit einem anderen Investor in Cuxhaven eine Einrichtung mit 56 Wohnungen für betreutes Wohnen errichtet, 2008 kamen weitere 25 Wohnungen dazu. “Die Entwicklung kam wie ein Tsunami”, sagte die Angeklagte. Plötzlich waren es über 200 Mitarbeiter und 600 bis 700 Patienten am Tag.
Bei den Betrügereien ging es zunächst um erbrachte Leistungen für Kunden, die über die Pflegeversicherung nicht abzurechnen waren. “Es gibt viele Möglichkeiten in der Pflege Leistungen zu erbringen”, sagte die 37-Jährige. Dieser Spielraum habe die Möglichkeit gegeben, nicht abrechnungsfähige Leistungen zu geben und als etwas anderes Erbrachtes abzurechnen. “Das ist dann irgendwann aus dem Ruder gelaufen”, sagte der Vorsitzende Richter Thorsten Prange. “Dann seien Leistungen abgerechnet worden, die gar nicht erbracht wurden.” Die Angeklagte räumte das ein: “Ein Kunde kam viermal in die Tagespflege, bei der Abrechnung wurde dann der volle zur Verfügung stehende Satz abgerechnet.”
Für den Prozess sind drei weitere Verhandlungstage angesetzt. Dabei wird die Angeklagte auch Auskunft darüber geben müssen, wofür die auf diese Weise erhaltenen Gelder verwendet wurden.