Endogene Retroviren beeinflussen Gedächtnis

Bis zu 40% des menschlichen Genoms sind Retrotransposons. Unter diesen finden sich auch Sequenzen, die retroviralen Partikeln nicht unähnlich sind: endogene Retroviren (ERV). Deren mögliche Rolle in der Entstehung von Demenzerkrankungen stand nun unlängst im Fokus einer neuen Arbeit im Mausmodell.

Endogene Retroviren machen 8% bis 10% des Genoms aus

Bis zu 40% des menschlichen Genoms sind Retrotransposons. Unter diesen finden sich auch Sequenzen, die retroviralen Partikeln nicht unähnlich sind: endogene Retroviren (ERV). Deren mögliche Rolle in der Entstehung von Demenzerkrankungen stand nun unlängst im Fokus einer neuen Arbeit im Mausmodell.

Sie sind häufig bereits vor Jahrmillionen ein Teil unserer DNA geworden: die endogenen Retroviren (ERV). Bisher wurden diese Sequenzen bei Menschen und auch z. B. innerhalb der Mäuse-DNA als bedeutungsloser "Unrat" der Evolution betrachtet. Doch mehrten sich in den vergangenen Jahren die Stimmen, die sagten, dass ERV durchaus ihre Rolle in Gesundheit und Krankheit zu spielen haben könnten.

Endogene Retroviren führen zu kognitiven Einschränkungen

So zeigten ForscherInnen in einer aktuell erschienenen Arbeit, dass chronisch aktivierte ERV im Gehirn u. a. mit kognitiven Einschränkungen im Zusammenhang stehen. Für diesen Nachweis nutzten die WissenschaftlerInnen Reaktionen des Hippocampus in einem etablierten Mausmodell. Insbesondere diejenigen Tiere fielen mit Einschränkungen auf, welche nachweislich kein mitochondriales antivirales Signalprotein (MAVS) mehr bilden konnten.

Seit Längerem ist bereits bekannt, dass sich ERV-Transkripte in den Gehirnen von Menschen und auch Mäusen finden lassen und das eine solche Reaktivierung von Retrotransposons in einem engen Zusammenhang mit Autoimmunreaktionen sowie mit neurodegenerativen Erkrankungen steht.

Pathophysiologie endogener Retroviren

Ganz allgmein betrachtet sind Retrotransposons eigentlich die "Spielweise der Evolution". Sollte jeder Abschnitt der DNA eines Organismus für dessen (Über-)Leben notwendig sein, würde jede zufällige Mutation in einer Katastrophe enden. Die Retrotransposons und auch die darunter befindlichen endogenen Retroviren bieten dahingegen die genetische Breite, um Neues "ausprobieren" zu können. Doch was ist die Folge, wenn diese "Uralt-DNA" plötzlich wieder selbst aktiv wird?

Normalerweise kontrollieren Mensch und Tier die Aktivität der Retrotransposons über eine Vielzahl von Mechanismen, die bekanntesten dabei z. B. DNA-Methylierung, DNase-Aktivität, Immunglobuline oder bestimmte Signalproteine. Werden diese Kontrollmechanismen gestört, kommt es zur Reaktivierung der Retrotransposon-Sequenzen, was das Mobiditäts- und sogar das Mortalitiätsrisiko durch Autoimmunreaktionen und maligne Tumoren erhöhen kann.

So treten plötzlich wieder freie retrovirale RNA-Genomstränge in den Zellen auf, die von zelleigenen Immunrezeptoren (toll-like receptors; TLR oder mitochondriales antivirales Signalprotein; MAVS) erkannt werden und über deren Aktivierung ein Entzündungsgeschehen auslösen.

Im Falle degenerativer Erkrankungen im Gehirn führten Studien zufolge sowohl akute als auch chronische Entzündungsreaktionen zur Zellschädigung und damit zum Verlust kognitiver Funktionen. Im Mausexperiment bestätigte sich dies in der aktuellen Arbeit, indem die untersuchten Mäuse mit endogener retroviraler "Reexpression" Defizite bei der Angstwahrnehmung und ebenso im räumlichen Umgebungslernen entwickelten.

Originalquelle:
Sankowski R et al., Endogenous retroviruses are associated with hippocampus-based memory impairment. PNAS 2019; pnas.org/content/pnas/early/2019/11/27/1822164116.full.pdf