Niedrige Sauerstoffkonzentrationen in Tumoren fördern deren Neigung, in andere Gewebe zu streuen. LMU-Forscher um Professor Heiko Hermeking haben die Mechanismen entschlüsselt, die diesen Vorgang regulieren.
Viele Tumore sind schlecht durchblutet und weisen deshalb auch eine schlechte Sauerstoffversorgung - eine Hypoxie - auf. Der Sauerstoffmangel führt dazu, dass die Tumore schlecht auf Strahlen- und Chemotherapie ansprechen und fördert die Metastasierung. Forscher der Ludwig-Maximilians-Universität München haben nun die Mechanismen aufgeklärt, die diese fatale Ausbreitung der Tumorzellen vermitteln. Die Wissenschaftler zeigen, dass dabei ein kleines Molekül ausgebremst wird, das normalerweise einen Schutzmechanismus in Gang setzt. Über ihre Ergebnisse berichten sie im Fachmagazin Gastroenterology.
Krebs kann nur entstehen, wenn einige Schutzmechanismen der Zelle ausgeschaltet sind. Dazu gehört das Tumorsuppressorgen p53, das in mehr als der Hälfte aller Tumoren inaktiviert wird. Hermeking konnte bereits in früheren Studien zeigen, dass das von diesem Gen codierte Protein ein extrem kurzes RNA-Molekül – die sogenannte Mikro-RNA-34a (miR-34a) – direkt induziert, welches für die Tumorunterdrückung eine zentrale Rolle spielt. “An Darmkarzinomen haben wir beobachtet, dass miR-34a in metastasierenden Tumoren, in denen oft Sauerstoffmangel herrscht, besonders häufig inaktiviert wird“, sagt Hermeking.
Es konnte nachgewiesen werden, dass diese Inaktivierung direkt mit dem Sauerstoffmangel zusammenhängt: Die Tumorzellen produzieren bei niedrigen Sauerstoffgehalten den sogenannten Hypoxie-induzierten Faktor HIF1a, der das schützende RNA-Molekül direkt hemmt. Außerdem wird eine Reaktionskette in Gang gesetzt, die in ihrem Verlauf weitere Proteine hochreguliert und letztendlich einen Prozess anstößt, bei dem sich lokal wachsende, nicht-invasive Oberflächenzellen in aggressive Zellen verwandeln, die in andere Gewebe eindringen – der Tumor metastasiert. Dieser Prozess wird als epithial-mesenchymale Transition (EMT) bezeichnet und spielt auch bei der Wanderung von Zellen während der Embryonalentwicklung eine wichtige Rolle.
Eines der Proteine, das an dieser verhängnisvollen Reaktionskette beteiligt ist, ist das sogenannte PPP1R11. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass die Produktion dieses Proteins an der Invasionsfront von Tumoren, die schlecht mit Sauerstoff versorgt sind, besonders hoch ist. In normalen Zellen wird die Produktion von PPP1R11 direkt durch die Mikro-RNA miR-34a und somit indirekt auch durch den Tumorsuppressor p53 unterdrückt. Dadurch kann die Reaktionskette gewissermaßen umgekehrt und ein Schutzmechanismus ausgelöst werden, der bewirkt, dass die Zellen an Ort und Stelle bleiben und die Metastasierung gehemmt wird. “Vermutlich ist diese antagonistische Steuerung der Grund dafür, warum Tumorzellen, die metastasieren, daraufhin selektiert werden, den miR-34a-induzierenden Tumorsuppressor p53 auszuschalten“, sagt Hermeking.
Die neuen Erkenntnisse haben auch therapeutisches Potenzial. Sie deuten darauf hin, dass metastasierende Darmtumoren möglicherweise behandelt werden könnten, indem wichtige Proteine der aufgeklärten Reaktionskette gehemmt und parallel miR-34a aktiviert wird. “Insbesondere Moleküle, die miR-34a substituieren und deren Funktion übernehmen könnten, werden derzeit bereits in klinischen Studien untersucht“, sagt Hermeking. Die Mikro-RNA miR-34a ist auch deshalb besonders interessant, weil sie sehr viele Zielmoleküle ansteuert. Beispielsweise kann die Wiedereinführung von miR34a in Tumoren auch das Immunsystem des Patienten bei der Tumorabwehr stärken. Wie die neuen Ergebnisse nahelegen, wäre dies besonders für Tumore mit schlechter Sauerstoffversorgung relevant.
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