Von 25.- bis 29. August 2018 werden in München auf dem Europäischen Kardiologiekongress 31.000 Teilnehmer aus 150 Ländern erwartet, was den Kongress der European Society of Cardiology (ESC) zu einem der weltweit größten Medizinkongresse macht. Kongress-Themen sind sämtliche Gesichtspunkte der modernen Herz-Medizin: Von der Verbreitung von Herz-Kreislauf-Krankheiten über Risikofaktoren und Prävention, bis hin zu den medikamentösen und nicht-medikamentösen Therapien, inklusive aller bahnbrechenden Innovationen in diesen Bereichen. Der Kongress bietet auch eine eindrucksvolle Leistungsschau der deutschen Herz-Medizin und kardiologischen Versorgung
"Der Jahreskongress der ESC ist der weltweit größte Kongress auf dem Gebiet der Herz-Kreislauf-Erkrankungen und damit das wesentliche Präsentations- und Diskussionsforum für die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse auf diesem Gebiet", sagt Prof. Dr. Stephan Achenbach, Vorsitzender des Congress Programme Committee, zukünftiger Präsident (President Elect) der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (Universitätsklinikum Erlangen). Neben dem Fortbildungsprogramm werden im "Abstract-based programme" 4.500 Studien vorgestellt, die vom Programmkomitee aus etwa 11.000 Beiträgen ausgewählt wurden, die von Forschern aus der ganzen Welt zu diesem Kongress eingereicht wurden. Insgesamt deckt der Kongress Themen aus allen Bereichen und Teilbereichen der kardiovaskulären Medizin ab. Wie jedes Jahr hat der Kongress ein Schwerpunktthema, dieses Jahr sind das "Valvular Heart Diseases": Die Bedeutung von Herzklappen-Erkrankungen hat für Kardiologen in den letzten Jahren immens zugenommen.
"Sehr intensiv werden wohl in der Fachwelt und später auch in der Öffentlichkeit die neuen europäischen Empfehlungen (Guidelines) zur Diagnose und Therapie des Bluthochdrucks diskutiert werden", ist Prof. Achenbach überzeugt. Bisher haben europäische Leitlinien "hohen Blutdruck", Behandlungsbedürftigkeit und Behandlungsziel mit einem Wert von 140/90 mmHg definiert. Seit vergangenem Jahr gelten in den USA aber neue Werte, wonach eine Hypertonie ab 130/80 mmHg gegeben ist. Diese Guidelines sind sehr strikt, sie haben die Definition der Hypertonie erweitert.
Die neuen ESC/ESH Guidelines zur Hypertonie werden in München erstmals im Detail vorgestellt. Sie sehen weiterhin einen Grenzwert von 140/90 mmHg vor, behalten dies auch als prinzipielles Behandlungsziel, aber bei gut tolerierter Therapie sollte 130 mmHg als systolischer Wert angestrebt werden. "Bei älteren Patienten werden höhere Schwellenwerte akzeptiert, zum Teil bis 160 mmHg, um unerwünschte Nebenwirkungen durch zu intensive medikamentöse Therapie zu vermeiden", so Prof. Achenbach.
"Dass sich die ESC dieses Jahr einmal mehr für den Standort Deutschland entschieden hat, ist auch eine Auszeichnung für die deutsche Herz-Medizin", sagt Prof. Dr. Andreas M. Zeiher, zukünftiger Präsident (President-Elect) der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (Universitätsklinikum Frankfurt). Von den insgesamt 4.500 auf dem Kongress in Abstract-Form präsentierten wissenschaftlichen Studien stammen rund 410 aus Deutschland.
Forschung kommt den Patienten messbar zu Gute und hat praktische Konsequenzen für die Gesundheit und Lebenserwartung in Deutschland. Dafür, dass letztere kontinuierlich steigt, sind ganz vorne die Fortschritte der modernen Kardiologie mitverantwortlich. "Im Vergleich zum Beginn der 1990er Jahre reduzierte sich bis zum Jahr 2015 die Herzinfarkt-Sterbeziffer bei Männern um fast 68 Prozent und bei Frauen um mehr als 57 Prozent", nennt Prof. Zeiher ein Beispiel. 1990 verstarben in Deutschland noch 85.625 Menschen an einem Herzinfarkt, 2015 waren es 49.210 – und das bei einer stark anwachsenden und älter werdenden Gesellschaft.
Für diese eindrucksvolle Entwicklung sind zahlreiche Faktoren verantwortlich: z. B. Herzinfarkt-Netzwerke, die eine schnelle und leitliniengerechte Therapie erleichtern. Eine wesentliche Rolle spielen Fortschritte in der Diagnostik und Behandlung. Maßgeblich ist hier die schonende Herzkatheter-Technik: Sie ermöglicht über einen biegsamen Schlauch das Untersuchen, Wiedereröffnen und Offenhalten verengter oder verschlossener Blutgefäße, das Implantieren von Gefäßstützen ("Stents"), aber auch von Herzklappen und bestimmten Herz-Schrittmachern, sowie Eingriffe bei Vorhofflimmern ("Ablation"). Dazu kommen Innovationen bei Medikamenten, zum Beispiel bei Blutgerinnungshemmern oder bei Medikamenten gegen Herzschwäche.
"Doch trotz aller Fortschritte bleibt die Krankheitslast durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Deutschland beträchtlich: Sie sind noch immer die Todesursache Nummer Eins", so Prof. Zeiher. Die im aktuellen "Deutschen Herzbericht" ausgewählten, am weitesten verbreiteten kardiologischen Diagnosen waren Todesursache von rund einem Viertel (24 Prozent) aller in Deutschland (2015) verstorbenen Menschen.
"In der kardiologischen Versorgung, insbesondere in der interventionellen Kardiologie, stehen wir in Deutschland auch im internationalen Vergleich sehr gut da", berichtete Univ.-Prof. Dr. Ulf Landmesser, lokaler Pressekoordinator des ESC in München (Klinikdirektor Kardiologie, Charité Universitätsmedizin Berlin und Ärztlicher Leiter des CharitéCentrum für Herz-, Kreislauf- und Gefäßmedizin).
Positive Entwicklungen gibt es auch in den Versorgungsstrukturen, zum Beispiel durch organisatorische Zusammenschlüsse von Leistungserbringern in qualitätsgesicherten Herzinsuffizienz-Netzwerken.
"Weit weniger gut aufgestellt sind wir in Deutschland in der Prävention und Gesundheitsförderung", so Prof. Landmesser. "Die kardiovaskuläre Prävention hat für die gesamte Bevölkerung in allen Lebensphasen Bedeutung. Hier entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die mit Engagement wahrgenommen werden muss."
"Wir stehen vor einem interessanten Phänomen: Die Diagnose- und Behandlungsmethoden werden immer besser, die Versorgung in Deutschland hat ein sehr hohes Niveau, und die Herz-Medizin trägt wie wohl kein anderes Fach der Medizin zur immer längeren Lebenserwartung bei. Trotz alledem stehen wir jetzt möglicherweise vor oder inmitten einer Trendwende", so Prof. Dr. Udo Sechtem, lokaler Pressekoordinator des ESC in München (Stuttgart). In Umkehr der Entwicklung der beiden vorausgegangenen Jahre gab es 2016 in Deutschland bei den meisten im "Herzbericht 2017" berücksichtigten Krankheiten keinen Rückgang, sondern teils deutliche Anstiege gegenüber 2015. Auch die Sterbeziffer ist bei den im Herzbericht erfassten Krankheiten zwischen 2014 und 2015 wieder gestiegen: Von 256,1 pro 100.000 Einwohner auf 269,6.
"Ein Grund kann sein, dass Übergewicht, Bewegungsarmut, Rauchen und Stress manchen Benefit der Herz-Medizin wieder neutralisieren", so Prof. Sechtem. Außerdem kennen viele Menschen ihre Blutdruck-, Cholesterin- und Blutzucker-Werte nicht, womit Risikofaktoren unentdeckt bleiben. "Erforderlich ist deshalb ein möglichst lückenloses Screening – damit die Leistungen der modernen Herz-Medizin auch bei möglichst vielen Menschen ankommen, die davon profitieren können. Jeder Mensch sollte seine Werte kennen und regelmäßig messen lassen!"